FYI.

This story is over 5 years old.

New music

Eurosonic, Tag 1—Einhörner, Mammuts und blutjunge Spanierinnen

Wir sind auf dem Eurosonic, um für euch die Trends 2015 zu erkunden.

Unser Chef Jonas ist noch bis Samstag beim Eurosonic Festival in Groningen, um für euch herauszufinden, was das Jahr 2015 musikalisch bringen wird. An dieser Stelle beschreibt er jeden Tag, was er sich angeschaut hat und warum das scheiße war.

Offiziell ist das Eurosonic das wichtigste Showcase-Festival in Europa, an dem zahllose Bands an drei Tagen vor noch zahlloseren Promotern, Journalisten und Bookern Kurzgigs absolvieren, um sich eine glänzende Zukunft zu erspielen. Der Vergleich mit einem Viehmarkt bietet sich an und ist auch nicht so abwegig.

Anzeige

Inoffiziell sieht die Sache aber ganz anders aus. Denn die Tatsache, dass sich jedes Jahr dieselben Promoter, Journalisten und Booker für drei alkoholreiche Tage in der niederländischen Studentenstadt Groningen versammeln, macht das Eurosonic zum Summercamp der Musikbranche. Man sieht sich einmal im Jahr, umarmt seine Camp Buddys, erzählt sich was in den letzten 12 Monaten passiert ist und rekapituliert Geschichten der letzten Jahre („De Spieghel? Die Venue kenn ich nicht.“ „Das ist dort, wo die eine letztes Jahr mit diesem Deutschen geschmust hat.“). Ja, geschmust wird auch viel. Kurzgesagt: Tagsüber haben alle Meetings, und abends benehmen sich alle wie Teenager.

Zum Glück habe ich eigentlich eher weniger Meetings, sondern bin eigentlich wegen zwei Dingen hier: Erstens will ich neue Bands entdecken bzw. herausfinden, ob die angekündigten Hypes des Jahres 2015 wirklich stattfinden. Und zweitens will ich erneut den verzweifelten Versuch starten, von 0,2l Grolsch in Plastikbechern betrunken zu werden.

Wir nehmen von Wien den späteren Flieger und verpassen so „leider“ die Verleihung der European Festival Awards. Das ist zum einen ein bisschen schade, weil Klangkarussell einen dieser Preise verliehen bekommen, und es nicht oft passiert, dass Österreicher darunter sind. Das ist aber zum Anderen gut, weil alle Delegates diese Verleihung hassen, aber glauben hin zu müssen. Wir sitzen währenddessen in einer Pizzeria, verspeisen das letzte Essen der kommenden Tage, das nicht frittiert ist, und vergleichen wie aufgeregte Teenagerinnen die Liste an Bands, die wir uns jeweils anschauen wollen.

Anzeige

The Hearing - Nothing Special from Gaea Booking & Records on Vimeo.

Die erste Band, zu der wir es dann wirklich schaffen, ist The Hearing. Eine ungewöhnlich charmante, blonde Finnin, die sich nach eigenen Angaben für jede ihrer Live-Shows ein Tattoo stechen lässt—Spoiler: Es sind eigentlich noch gar nicht so viele—und versucht das Publikum zu becircen, in dem sie das Wort „unverbindlich“ sehr niederländisch ausspricht („unvabindlik“). Aber man muss sagen, dass The Hearing ein paar wirklich schöne Nummern hat, die live sogar noch besser funktionieren als wenn man sie googlet. Man wird sie wohl zukünftig öfters im Vorprogramm oder auf kleineren Festivals in Europa sehen.

Später begeben wir uns ins Grand Theatre zu Mammút, einer isländischen Band. Island ist beim Eurosonic 2015 Focus Country—das heißt, dass ein ganze Reihe von isländischen Bands spielen. 2014 war übrigens Österreich Focus Country, damals waren es 15 Bands aus der Alpenrepublik. Man kann über die isländische Musikszene gute und schlechte Dinge sagen. Zwar sagen meist alle nur gutes, aber das hängt auch damit zusammen, dass die meisten Leute keine Ahnung haben. Ja, Island hat eine wahnsinnig vielfältige und großartige Musikszene, die für die Größe des Landes absurd umfangreich ist. Wenn man aber mal in Island auf einem Musikfestival mit einem höheren Anteil an einheimischen Bands war, ist man fast beruhigt, dass es in Island auch einen ganzen Haufen beschissener Bands gibt, die man im Resteuropa nicht kennt, weil sie halt nie den Sprung über die Grenzen hinaus machen. Ein bisschen so ist das auch mit Mammút. OK, das ist unfair: Schlecht ist die Band nicht. Aber dass sie 2014 mehrere isländische Music Awards gewonnen haben (u.a. beste Band), spricht nicht zwingend für Island. Die Stimme der Sängerin ist live ein bisschen dürr. Ich tu ihnen glaube ich gerade ein bisschen unrecht, sie sind auf Platte schon deutlich besser. Irgendein Promoter murmelt mir „Die klingt ja wie Björk“ zu, und ich muss mich zusammennehmen, ihm dafür keine reinzuhauen. Das ist erstens eine Beleidigung für Björk und zweitens würde das nie jemand auch nur andenken, wenn Mammut nicht aus Island kämen.

Anzeige

Soak spielt im kleinen Saal des Theaters, da ist aber eine halbe Stunde vor Beginn schon alles dicht. Also mach ich mich auf den Weg zu Hinds—einer Band, die bis vor kurzem noch The Deers hieß und vor der in letzter Zeit alle reden. Hinds sind vier blutjunge, hübsche Spanierinnen, die ein bisschen auf Haim machen. Und genau wie bei Haim gefällt einem das, obwohl man gar nicht so richtig sagen kann, wieso. Der Auftritt von Hinds an dem Abend ist allerdings der absolute Alptraum. Der Sound ist katastrophal, das Team der Soundtechniker sind völlig überfordert, die 18jährigen auf der Bühne kennen sich nicht aus und geben den Männern hinterm FOH die ganze Zeit die falschen Anweisungen. Die ersten 15 Minuten sind eine Katastrophe, die Band bricht mehrfach ab. Das ist sehr ärgerlich, wenn im Raum gerade u.a. die Booker vom Iceland Airwaves, dem Reeperbahn Festival, der c/o Pop und dem Waves Vienna stehen. Aber man darf das auch nicht überschätzen: Qualität setzt sich am Ende durch. Auch Ja, Panik haben letztes Jahr ein furchtbares Set beim Eurosonic gespielt, und es hat ihnen in the long run nicht geschadet. Hinds sind jung, sie werden es überleben und daran wachsen.

Ich springe ein bisschen herum: Erst zu der recht gehypten Londonerin Shura—um mir drei Songs anzuhören, die wie drei unterschiedliche Chillwave-Remixes desselben Lorde-Songs klingen—und dann zum Iren Kormac, der offenbar eine Menge Parov Stelar-Platten im Schrank hat. Die erste Band, die mir danach wirklich von vorne bis hinten gefällt, sind die Isländer von Vök. Ganz großartiger, unterkühlter Elektropop, den die Skandinavier halt einfach besser können als alle anderen. Das muss in den Genen liegen, um hier mal kurz etwas rassistisches zu sagen. Die Männer von Vök schauen so aus, als seien sie die jungen GusGus, die Sängerin wie die uneheliche Tochter von Tilda Swinton. Vök spielen am 30.1. übrigens beim JaJaJa-Festival in Wien, das sollte man sich nicht entgehen lassen.

Anzeige

Der Mittwoch ist der Aufwärmtag, und er neigt sich bereits langsam dem Ende zu. Die letzte Band, die ich mir an diesem Abend anschaue, sind Samaris. Drei Isländer: Die eine singt, die andere spielt Klarinette, der andere spielt Laptop. Schöne Geschichte am Rande: Bei der Award Show am frühen Abend ist wohl ein Duo akustisch aufgetreten und hatte trotzdem den obligaten Laptop dabei. „Eine Gitarristin, ein Bassist und ein Typ, der seine Mails checkt“, wie es ein Delegate treffend ausdrückt. Die Sängerin von Samaris trägt ein goldenes Kostüm, windet sich, haucht, säuselt, wie man es von einer Isländerin erwarten würde. Eigentlich schon ziemlich cool das Ganze. Die Freundin, die neben mir steht, erklärt mir währenddessen zum wiederholten Mal ihre Theorie, dass jeder Mensch entweder ein Einhorn oder ein Golden Retriever wäre, und dass die Samaris-Sängerin eindeutig ein Einhorn sei. Spätestens jetzt ist es Zeit ins Bett zu gehen.

Folgt Jonas für noch mehr unqualifizierte Meinungen auf Twitter: @L4ndvogt

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.