FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Braucht Wien den Bodyguard für den Heimweg?

Ab dem 28. Januar wird es in Wien die Möglichkeit geben, eine Begleitperson für den Heimweg in Anspruch zu nehmen. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Foto via Flickr | Blondinrikard Fröberg | CC BY 2.0

Vor ein paar Jahren kam ein Mädchen, das mir sehr am Herzen liegt, verwirrt, zerzaust und blass in meine Wohnung. Es war früher Abend im Herbst, draußen war es feucht, Wien zeigte sich von seiner liebsten Seite: der tristen. Das Mädchen—nennen wir es Sophia, was nicht sein richtiger Name ist—zitterte am ganzen Körper und in den ersten Minuten konnte ich nichts tun, außer es in den Armen zu halten. Sophia sagte nichts, weinte aber auch nicht. Sie stand unter Schock. Zwei Straßen von meiner damaligen Wohnung entfernt hatte ein Typ versucht sie in einen Häusereingang zu zerren und sie zu vergewaltigen. Ich kann nicht sagen wie froh ich bin, dass es nur bei einem Versuch bliebt. Irgendwie hat sie es geschafft, sich loszureißen und zu mir zu kommen.

Leider ist das in meinem engeren Umfeld nicht der einzige Vorfall dieser Richtung. Nicht nur das, sexueller Belästigung bin ich sogar schon sehr früh begegnet—diese Begegnung hält leider bis heute an. Die Vorfälle in Köln an Silvester waren ein Schlag ins Gesicht jeder Frau und eines jedem, der meinte, dass es kein „anderes Geschlecht“ mehr gäbe. Narben wurden aufgerissen—aus dem Grab der Frauenfeindlichkeit, das wir seit Jahrzehnten versuchen zuzuschütten, wurde Erde geklaut und die Trauergesellschaft schaut dem Dieb zu, unfähig, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Dass sexuelle Übergriffe aber vor keinem Geschlecht Halt machen, darf man nicht vergessen. Mit Köln wurde die Angst vieler Menschen—ja, vor allem von Frauen—größer, die Nachfrage nach dem Schutz der eigenen Person groß.

Anzeige

Foto via Flickr | Alyssa L. Miller | CC BY 2.0

Wie der Kurier berichtete, wird die Non-Profit-Organisation „Weisser Flügel“ ab dem 28. Jänner ausgebildete Personen zur Verfügung stellen, die Menschen, die sich unsicher fühlen, nachhause begleiten sollen. Laut Bericht stehen derzeit 20 „Beschützer“ in Ausbildung. Ziel ist es, die Zahl auf 1.000 zu erhöhen. Die Ausbildung der zukünftigen Bodyguards geht über mehrere Wochen und die Vorlage eines Leumundszeugnisses ist verpflichtend. Der „Service“ ist für alle Altersgruppen und sowohl für Frauen als auch für Männer gedacht. Was nötig ist, um ihn zu nutzen, ist Angst. Wenn du nach dem Ausgehen auf Nummer sicher gehen möchtest, kannst du mit einer Begleitperson eine Uhrzeit und einen Ort vereinbaren. Der Begleitschutz ist kostenlos—die Organisation wird durch Spenden und Sponsoren finanziert. So weit, so—ja, was eigentlich? Gut einmal sicher nicht.

Diese Meldung zu lesen, hat verschiedene, ja, auch ambivalente Gedanken und Gefühle bei mir ausgelöst. Zum einen frage ich mich, ob das nicht Produkt einer Hysterie ist. Die Idee hinter „Weisser Flügel“ gibt es zwar nicht erst seit Köln, die Nachfrage danach ist seitdem aber um einiges gestiegen. Ist es nicht ein Schritt rückwärts, der Opferrolle wieder Raum geben zu müssen? Geben wir damit nicht zu, dass wir klein, verletzlich sind? Ist das nicht ein Einverständnis, dass unsere Gesellschaft nicht funktioniert? Gesellschaftlich gesehen ist das ein Schritt rückwärts. Es zeigt, dass fehlende Zivilcourage noch immer ein großes Thema ist—auch wenn „Weisser Flügel“ ein gutes Beispiel für genau diese Zivilcourage ist.

Anzeige

Wäre es nicht der richtige Ansatz, inmitten der Gesellschaft anzufangen, anstatt aufzugeben? Vielleicht helfen mehr Zeichen gegen Gewalt im öffentlichen Raum. Vielleicht helfen kurze Werbefilme oder Plakate, die uns daran erinnern zu helfen, wenn es notwendig ist. Vielleicht würde es helfen, wenn die Polizei potentiellen Brennpunkten mehr Aufmerksamkeit widmen würde. Ich weiß es nicht. Ich hab keine Patentlösung. Hätte ich diese, würde ich nicht diesen Artikel schreiben, sondern für den Nationalrat kandidieren. Was ich aber weiß: Ich bin wütend.

Foto via Flickr | x1klima | CC BY-ND 2.0

Ich möchte auf die Straße gehen können, wann auch immer mir danach ist. Ohne mir Gedanken um mögliche Szenarien machen zu müssen. Ist das nicht mein Recht? Ist es nicht mein Recht, angstfrei durch die Nacht zu spazieren? Offensichtlich nicht. Aber das ist doch kompletter Bullshit. Noch dazu in Wien, in einer vergleichsweise sicheren Stadt.

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn man sich nur noch in Begleitung sicher fühlt? Was sagt es über eine Gesellschaft aus, vom Schlimmsten auszugehen und hinter jeder Hausmauer Gefahr zu fürchten? Irgendwer hat da kräftig versagt, und ich kann noch nicht mal genau sagen, wer. Vielleicht die Gesellschaft im Ganzen. Und der „Weisse Flügel“ beweist, dass dieses Versagen hingenommen wird. Wieder einmal—siehe Train Of Hope—werden die falschen aus der Pflicht genommen. Wenn es zur Regel wird, dass es solche Organisationen braucht, weiß ich nicht, wie man gegenüber den Verantwortlichen Respekt aufrecht erhalten soll. Dass Gewalt ein komplexes Thema und keines ist, dass mit einem „Heute verlernen wir Gewalt“-Kurs gegessen ist, ist klar. Die Wurzeln dieser Thematik reichen zu tief in die Geschichte der Menschheit. Sich als Frau sicher zu fühlen, sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft möglich sein. Dass Männer (nicht nur, aber man werfe einmal einen Blick auf eine einschlägige Statistik) Leben von Frauen zerstören, zeigt dass diese Gesellschaft nicht genügend von dieser Aufklärung im System hat. Vielleicht könnte man hier beginnen. Vielleicht muss der sich der Staat auch überlegen, wo es sonst noch kränkelt.

Versteht mich bitte nicht falsch: Nicht „Weisser Flügel“ ist zu kritisieren. Organisationen wie diese sind im Endeffekt ein Hilfeschrei eines zu reparierenden Systems. Es sind auch nicht die Leute zu kritisieren, die diesen Service in Anspruch nehmen. Jeder, der schon einmal in so einer Situation war, weiß, wie schwer es ist wieder Fuß zu fassen. Wie schwer es ist, sich wieder raus zu trauen und vor allem, Vertrauen neu zu erlernen. Genau für Opfer von Gewalttaten kann eine Schutzpersonen eine Brücke zurück in einen gefühlt sicheren Alltag sein. Die Frage, die bleibt: Was können wir tun? Wir dürfen nicht wegschauen, wenn wir sehen, dass jemand bedroht wird. Wir müssen helfen. Irgendwo müssen wir ja anfangen.

Isabella auf Twitter: @isaykah

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.