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Tua Week: Das Porträt, 2/3

Zum Release von Tuas neuer EP ‚Stevia‘ haben wir uns auf das längste Interview aller Zeiten mit dem Ausnahmekünstler getroffen. Heute gibt es den zweiten Teil des Porträts.

Fotos: © Jan Kapitän

Wirft man einen kurzen Blick auf den Steckbrief von Tuas Karriere, dann sieht das Vorliegende mehr als anprechend aus. Mitglied bei den Orsons, einer der bekanntesten Deutschrap-Bands—beim vielleicht erfolgreichsten, definitiv aber familienfreundlichsten Indielabel Deutschlands (Chimperator) unter Vertrag—dazu hängt mit Grau solo ein echter Underground-Klassiker in seiner Diskografie, für den man bei Ebay gerne mal 89 Euro latzen kann. Ganz zu schweigen von den Lobpreisungen unter Kritikern, Fans und Musikkollegen.

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Nur ein Punkt wird vermisst: „Star“. Liegt das an Tuas Kontrollwahn, seiner Sturheit oder dem vielleicht schon verselbstständigten Bild des musikalischen Asis? Tua selbst verneint nichts davon. Darin könnte ein weiteres Problem liegen, nämlich dass er wohl zu oft das sagt, was er denkt und dabei noch höchst selbstkritisch ist. Für kommerziell höhere Gewässer ist das wenig zuträglich. Wohl aber für ein unglaublich ehrliches Gespräch. Hier gibt es den zweiten Teil unseres großen Tua-Porträts.

Auch wenn Tua heute alle Möglichkeiten des digitalen Zeitalters für sein musikalisches Schaffen zu nutzen vermag, so begann seine Karriere klassisch sehr analog. Im Jahr 2004 bildete er mit Kaas, den er seit Jugendtagen aus Reutlingen kannte und Sucuk Ufuk die Rap-Crew Bassquiat. Das waren noch die Zeiten, als man als aufstrebender Rapper Demos an Label, Rapper und Magazine verschicken musste und gespannt vor seinem Email-Postfach auf Antwort wartete. Das besagte Demotape schicken Ufuk und Tua an die Juice, wo es gleich zum Demo des Monats gekürt wird.

Es ist der Deutschrap-Vater schlechthin, der daraufhin auf den jungen Tua aufmerksam wird. Staiger nimmt den 18-Jährigen bei seinem Untergrund-Label Royal Bunker unter Vertrag. Dieser bricht daraufhin die Schule ab und fährt angetrieben von größenwahnsinnigen Fantasien nach Berlin. „Ich war wahnsinnig naiv damals. Ich habe gedacht: Ich mache jetzt eine gute CD und werde Millionär,“ erinnert er sich. „Natürlich war das überhaupt nicht so, es kam kein Cent dabei rum.“ Mister Tua, so nennt er sich damals, ist unzufrieden, dass im Chaotenladen Royal Bunker offensichtlich niemand in der Lage ist, sein Album Nacht so zu vermarkten, dass es eine breite Hörerschaft findet.

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2006 macht Staiger den Bunker dicht, woraufhin Tua von Samy Deluxe einen Anruf bekommt, der ihn bei seinem Label Deluxe-Records signt. Eine versessene Zeit, wie er im Nachhinein feststellt. Bei Deluxe wissen sie nicht, was sie mit dem schwierigen Reutlinger anfangen sollen. Es fehlt an Geld und Manpower, um Tua vernünftig zu pushen. 2009 erscheint Grau—heute für Kenner ein Gamechanger, damals für Tua eine einzige große Enttäuschung. „Ich weiß noch, wie ich am Releasetag übelst krank geworden bin und eine Woche lang das Fieber des Jahrhunderts hatte.“

So sieht wohl ein schlechtes Omen aus. Grau chartet nicht und versinkt sang- und klanglos in der kollektiven Wahrnehmung des HipHop-Publikums. „Beim Bunker hatte ich schon die Schuld von mir gewiesen und meinte: Nacht war voll das geile Album, hätte man da richtig Geld reingesteckt, wäre das voll groß geworden… Stimmt doch gar nicht! Es war auch einfach nicht so geil,“ erinnert er sich „Bei Grau sage ich, dass es schon ziemlich geil war, aber wiederum nicht bis zu Ende gedacht. Hätte man es gut vermarkten wollen, hätte ich damals ein Aussehen gebraucht, dass ich wirklich durchziehen kann. Am Ende sind diese 30er Jahre-Bilder von mir entstanden, aber das war es auch nicht, was es hätte sein sollen.“

Tuas erste Soloschritte verlaufen mehr als holprig, weil die eigenen Fähigkeiten und Erwartungen mit Umfeldern kollidierten, die überhaupt nicht die Möglichkeiten und Muße hatten, sich mit Tua genau auseinander zu setzen.

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Konträr dazu zeigte sich von Anfang an, dass aus den Orsons eine Erfolgsgeschichte werden würde. Grundstein dafür war die Idee von Chimperator, Mackes & Plan B gemeinsam mit Bassquiat auf Tour zu schicken. „Nach einer neunstündigen Busfahrt nach Österreich waren wir Freunde,“ grinst Tua. „Wir haben gemerkt, dass wir vom Intellekt und Humor her auf einem Level sind“. Mit viel Alkohol und Weed schließen sich die heutigen Orsons in ein Studio ein und fragen bei den Produzenten nach den „wacksten Beats“. Die daraus entstandenen Quatsch-Tracks übers Schaukelbauen sollen aber eigentlich nie rauskommen. Doch als sich Chimperator das Zeug anhört, sind sie ob der Möglichkeiten völlig aus dem Häuschen. In ihren Augen können die Orsons das Gegenformat zu dem damals übermächtigen Genre Gangstarap bilden.

Aus einer Mischung von Perspektivlosigkeit und „Wir finden es irgendwie auch lustig“ lassen sich die Jungs überreden, ein Album rauszubringen. Von da an läuft es fast wie von selbst. Die ironischen Texte im Bandgefüge von den vier sehr eigenen Typen sorgen für viel Aufmerksamkeit, die von einem Orsons-Album zum nächsten immer größer wird.

Tua jedoch wirkt in diesem Spaß-Kollektiv zunehmend unzufriedener und hat keine Lust auf die Erwartungen, die an ihn gestellt werden. „HipHop ging und geht mir unfassbar auf den Sack. Vor allem immer nur darauf beschränkt zu werden. Ich habe kein Problem damit zu rappen, aber ich habe ein Problem, wenn alle immer zumachen und mir den Rapperstempel aufdrücken,“ sagt er „Wahrscheinlich bin ich selber Schuld, weil ich mich geprügelt habe und besoffen in Interviews dumme Scheiße gequatscht habe, aber trotzdem finde ich, dass mir das nicht gerecht wurde.“

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Die 2012 erschienene EP Raus fängt genau diese Stimmung ein. Tua rappt darauf überhaupt nicht mehr und liefert ein schwer zugängliches Klangbild aus Dubstep-Elementen und breiten Synthiepassagen. Obwohl vom Publikum respektiert ist auch dieses Projekt im Endeffekt eine Enttäuschung. „Meine Ambitionen sind immer größer als überhaupt die Möglichkeiten, die drin stecken. Bei Raus hatte ich mehr Videos, Making-Offs und Interviews als manche Leute, die ihr Major-Release rausbringen. So ein Aufwand für 2000 oder 3000 limitierte CDs. Das ist Unsinn,“ sagt er. „Aber ich denke dann immer: Wenn ich schon an meine Musik glaube, dann mache ich alles, was geht.“

Wenn du schon bereit bist, so einen Aufwand zu betreiben, warum machst du nicht noch drei Songs mehr und nennst es Album, frage ich. „Die Frage wird mir immer gestellt. Das ist was Ideelles bei mir, Raus war einfach nicht das neue Album, Stevia ist es auch nicht. Das sind nicht die Nachfolger von Grau, bei denen ich alles sagen will, was in meinem Innenleben stattfindet. Das ist nicht das nächste große Ding—Tua auf den Punkt gebracht. Das sind Momentaufnahmen.“ Er wirkt fast schon etwas genervt. „Es ist auch nicht so einfach, neben einer Bandkarriere mit Auftritten und Alben nebenbei noch eine richtige Solokarriere zu machen, ohne dabei abzukacken.“

Dennoch weiß er selber, dass zum großen Durchbruch wahrscheinlich nur das eine große Album fehle. Er fühle sich dazu bereit, es sei eben nur eine Zeitfrage. Kann er sich denn überhaupt dem Mainstream anpassen und immernoch komplett dahinter stehen? „Im Endeffekt bedeutet Popmusik eben auch, ein Image zu haben. Das hört sich immer so schlimm an, aber eigentlich bedeutet das nur, Dinge wegzulassen.“ Man muss Tua zugestehen, dass er ehrlich zugibt, als Solokünstler mehr Erfolg haben zu wollen. Doch er ist auch reflektiert genug, zu wissen, dass das so einfach auch nicht funktioniert. Zu einem gewissen Grad ist das Streben nach Popruhm eine Entscheidung, aber irgendwann auch nicht mehr. Selbst wenn er wollte, könnte Tua nicht Cro sein. Umgekehrt ist es das Gleiche. Auch im Pop kann man nur ein gewisses Spektrum abdecken, dass man darstellen will, sonst wirkt es irgendwann aufgesetzt. Hinzu kommt, dass bei Tua die Schmerzgrenze ziemlich niedrig ist.

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Für uns Musikliebhaber sind das eigentlich gute Nachrichten. Tua ist für uns einer dieser Fixpunkte, wenn es um von der Mainstreammaschinerie unberührte künstlerische Qualität geht. Trotzdem möchte man ihm den ganz großen Erfolg, wie er ihn schon mit den Orsons hat, gönnen. Sollte er das schaffen, dann können wir ganz beruhigt sein, dass seine Musik das mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ schaffen wird.

Am Freitag gibt es den letzten Teil von Tuas Portät, in dem es um Stevia und den typischen Tua-Sound gehen soll.

Außerdem erscheint am Freitag Tuas EP Stevia bei Chimperator. Ihr bekommt sie digital bei Amazon oder iTunes und als limitierte CD exklusiv bei Chimperator.

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