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Thump

Wie es ist, als junge Blinde feiernzugehen

"Die meisten meiner Freunde lassen sich durch ihre Einschränkung nicht unterkriegen. Wir erobern sie!"

Still/YouTube.com

In Jose Saramagos Roman Die Stadt der Blinden von 1995 erblinden die Einwohner eines Landes plötzlich. Die, die es zuerst trifft, werden von der Regierung in ein verlassenes Irrenhaus eingeliefert. Innerhalb von Wochen bricht totale Anarchie aus und das Chaos regiert. Es ist eine Welt ohne Tag oder Nacht, ein Leben ohne Rückgriff auf jegliche Art von visuellem Referenzpunkt. Das, so impliziert Samargo, ist der schlimmste und vollständigste Kontrollverlust, der vorstellbar ist.

Laut Statistiken der britischen Royal Nation Of Blind People (RNIB) leiden in Großbritannien derzeit zwei Millionen Menschen unter einer Form des Verlusts der Sehkraft, etwa 360.000 davon sind bei den lokalen Gesundheitsbehörden als blind oder sehbehindert gemeldet. Die Hilfsorganisation glaubt außerdem, dass sich diese Zahl aufgrund der alternden Gesellschaft bis 2050 verdoppeln wird. Laut Mikrozensus-Zusatzfragen im 4. Quartal 2007 waren 3.000 Personen in Österreich blind. Insgesamt gab es allerdings 318.000 Personen mit einer dauerhaften Sehbeeinträchtigung.

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Österreichische aber auch britische Wohltätigkeitsorganisationen wie die RNIB, die Royal London Society for Blind People (RLSB), Action For Blind People oder der Thomas Pocklington Trust—um nur einige zu nennen— bieten alle Initiativen, die darauf abzielen, junge Sehbehinderte oder Blinde mit ihren sehenden Altersgenossen in Kontakt zu bringen. Eine Beeinträchtigung der Sicht hat natürlich massive Auswirkungen und zwei Drittel der gemeldeten blinden oder sehbehinderten Menschen im arbeitsfähigen Alter stehen in keinem bezahlten Arbeitsverhältnis. 90% derer, die ihre Sicht in der Jugend verlieren, arbeiten in ihrem Leben nicht länger als sechs Monate.

So entmutigend dies auch ist—besonders wenn du die Tatsache mit einbeziehst, dass ein Verlust der Sehkraft durch Probleme wie Diabetes und Übergewicht ausgelöst werden kann, die ebenfalls zunehmen—so bedeutet eine teilweise oder vollständige Erblindung nicht unbedingt die albtraumhafte Vision, die Saramagos (überwiegend) allegorischer Roman zeichnet. Trotzdem lassen sich die Hürden nicht ignorieren, die denjenigen mit teilweiser oder totaler Erblindung im echten Leben im Weg stehen. Ich frage mich schon seit einer Weile, wie Großbritanniens junge Blinde und Sehbehinderte das Nachtleben erleben. Die Antwort, die ich bekam, klang zum Glück ungefähr so: "Es ist eigentlich ziemlich großartig, danke, dass du fragst. Jetzt geh mir bitte aus dem Weg, damit ich mir einen Drink kaufen kann."

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Ein Repräsentant der RLSB stellte den Kontakt zu einer sehbehinderten 21-jährigen Frau namens Joy Addo her. Joy war bereit, mir zu erzählen, wie eine Nacht auf dem Dancefloor für einen jungen Menschen ist, der die Welt mit eingeschränkter Sehkraft erlebt. Mit Joy zu sprechen war in gewisser Weise eine Offenbarung. Mein Vorurteil, dass ein Verlust der Sehkraft gleichbedeutend mit dem Ausschluss von der Art von Ausgeherlebnis, das die meisten von uns als selbstverständlich ansehen, ist, wurde zerstört.

Für Joy ist es für jeden, der die Nacht in einer Umgebung verbringen will, die die meisten von uns ohne Bedenken betreten, von größter Bedeutung, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. "Viele von den Dingen, die du machen musst, um im Nachtleben Spaß zu haben, finden im Dunkeln statt, und das finde ich ein bisschen unangenehm", sagte sie mir. "Du musst es entweder erobern oder es zieht dich runter."

"Die Leute sagen, ich sei selbstbewusst", so Joy, "aber das war nicht immer so". Selbstbewusstsein ist, wie wir alle wissen, nicht unbedingt die einfachste Eigenschaft, die es aufzubringen gilt. Viele von uns, vielleicht sogar die meisten, stolpern in einem anhaltenden Zustand der Unsicherheit bezüglich uns selbst und wo wir hingehören durch das Leben. Joys Rat? Tu einfach so als ob. "Du musst es machen. Du täuschst es vor, bis du es selbst glaubst. Ich hatte solche Angst auszugehen. Ich hatte Angst, gegen Dinge zu laufen, solche Sachen. Ich verlor meine Sehkraft und dachte, ich sei die einzige blinde Person auf der Welt."

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Joys erste echten Erfahrungen mit Clubs glichen denen vieler anderer junger Leute, die die Universität besucht haben. Sie verließ ihre Heimatstadt, um in Leeds zu studieren. "Ich erinnere mich, dass ich mit meinen Mitbewohnern ausgegangen bin und dachte: 'Ich will nicht die Blinde sein, die nichts machen kann'", sagte sie. "Aber sie waren so nett und hilfsbereit. Es waren sowieso alle betrunken." Die Betrunkenheit, so sagt sie mir, wirkte als eine Art Gleichmacher, denn "betrunkene Leute sind eigentlich so etwas wie ähnliches wie blind."

Ein Video von einer der ersten Dancing in the Dark-Partys der RLSB in London

Auch wenn das vielleicht ein wenig abschreckend klingt, so betont Joy, dass Clubs dadurch, dass es dunkle, oft sehr hektische Orte sind, auch unglaublich non-visuelle Orte sind. "Es gibt dort nicht wirklich viel zu sehen, so lange du also eine Gruppe von Freunden hast, die bei dir bleiben, ist es in Ordnung." Das Element der Unterstützung ist essentiell dafür, dass diejenigen mit eingeschränkter oder fehlender Sehkraft sich nicht von einer Erfahrung ausgeschlossen fühlen, die wohl ein elementarer Teil des frühen Erwachsenenlebens ist. "Die meisten meiner Freunde lassen sich durch ihre Einschränkung nicht unterkriegen. Wir erobern sie. Ich gehe mit einer Freundin aus und sie ist vollständig blind und wir machen Dinge zusammen. Uns hält nichts auf. Meine Freunde unterstützen uns sehr, weil sie ähnliche Dinge durchmachen und ja, meine sehenden Freunde unterstützen mich auch sehr."

Joy, die im Dans Le Noir arbeitet, einem Restaurant in London, in dem die Gäste in vollständiger Dunkelheit essen, erzählte mir von einer Veranstaltungsreihe namens Dancing in the Dark, die von der RLSB veranstaltet wird, und die sie als "Londons einzigen Gig mit verbundenen Augen" bezeichnet. Bei dem Event werden sehenden Besuchern die Augen verbunden, was ihnen die Chance gibt, die Art von Nacht zu erleben, die für Joy und andere Sehbehinderte die Normalität ist. Diese sensorischen und geselligen Events wurden mir von einem Sprecher der Wohltätigkeitsorganisation als Möglichkeit beschrieben, bei der "sowohl sehende als auch blinde junge Menschen Seite an Seite ihre Erfahrungen teilen. Das Feedback zu diesem Event war extrem positiv und blinde junge Menschen schätzen, dass wir die Öffentlichkeit auf positive Weise darauf aufmerksam machen."

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Die RLSB hat das Gefühl, dass Dancing in the Dark, und auf größerer Ebene das Projekt London Without Limits, den Glauben an sich selbst unter Londons jungen sehbehinderten und blinden Menschen stärkt. Und nicht nur London, auch im Rest Großbritanniens entstehen solche Projekte. Clubs und Festivals werden zugänglicher als je zuvor.

Für die meisten von uns bedeutet der Gedanke an den Verlust der Sehkraft einen leidvollen Trip in das Undenkbare—und das Unbekannte. Und Joy denkt, dass es das Unbekannte ist, das den Leuten Angst macht. "Die Menschen fürchten das Unbekannte. Wenn du keine blinden Freunde oder Verwandten hast, dann hast du vielleicht Angst. Befrei dich von dieser Angst und lass sie wissen, dass wir ausgehen und Spaß haben."

Genau wie du und ich sind Londons blinde Clubgänger da, um eine gute Zeit zu haben. Und hey, wenn das bedeutet, dass sie nicht sehen müssen, wie du Freitagnacht besoffen durch den Club stolperst, verpassen sie eigentlich gar nicht so viel.

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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