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Das hier ist die beste Geschichte über Dorian Concept, die ihr lesen werdet

Zumindest glauben wir das.

Alle Fotos: Julian Haas

Das hier ist die beste Geschichte zu Dorian Concept. In der letzten Mail von Noisey an mich stand: „Du, das muss die beste Geschichte zu Dorian Concept werden.“ Unter Druck, so sagt man, passieren oft die besten Dinge, also auch die besten Dorian-Concept-Geschichten. Dass ich manchmal mit dem einen von Noisey Karaoke singe oder ein Bier trinke, ist schlecht für den einen von Noisey, ganz gut für mich und am schlimmsten für die Deadlines und den Veröffentlichungsplan. Dass ich manchmal mit Oliver Johnson aka Dorian Concept Laserquest spielen gehe oder Bier trinke, ist wiederum gut für Noisey, dafür aber schlecht für die journalistische Objektivität. „Du, aber das muss wirklich zum angekündigten Zeitpunkt raus,“ stand weiter in der Mail. Klar. Es sind die Nähen, die die Tiefen schaffen.

Zum Interviewtermin mit Dorian Concept komme ich zu spät. Der eine von Noisey sagt kurz: „Hallo“, ich begrüße Jamal Hachem von Affine Records und Oliver Johnson. Die Interviewsituation ist schrecklich: Der grelle Raum erinnert an ein Fortbildungsseminar des WIFI, es darf nicht geraucht werden, vor dem Fenster trommelt ein Presslufthammer und es gibt Wasser in Tassen. Um Eile vorzutäuschen, bin ich zuvor die letzten Meter zum Termin gelaufen. Jetzt schwitze ich, will eine Zigarette und fühle mich komisch. „Irgendwie ist das schräg“, versuche ich mich zu rechtfertigen. Der eine von Noisey legt zwei(!) Aufnahmegeräte auf den Tisch und fragt: „Weshalb schräg?“ Ich blicke kurz zu Oliver, der schon das zweite Interview an diesem Tag gibt, und mir wird bewusst, dass es schwieriger ist, journalistische Distanz zu heucheln, als in Wien Nähe herzustellen. Journalismus-Puristen werfen jetzt mit Steinen, Wolfgang Fellner klopft mir auf die Schulter. In der letzten Mail von Noisey stand: „Du, das muss die beste Geschichte zu Dorian Concept werden.“

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„Bei Boiler Room war ich am Anfang schon nervös. Es ist schließlich eine ziemlich große Plattform. Und gerade bei den Kommentaren und Live-Chats sind die Stimmen ganz besonders kritisch und gnadenlos,“ erinnert sich Dorian Concept, also Oliver Johnson an den Gig in Wien vor ein paar Wochen. Es war gleichzeitig ein Vorgeschmack auf das neue Album Joined Ends und unter der Hand auch seine Geburtstagsparty. Im Celeste duftete es damals familiär, es stank aber auch irgendwie elitär. Die Wiener Clubszene, die unter gar keinen Umständen eine Szene sein will, hatte sich versammelt, um eines ihrer Aushängeschilder zu huldigen. Ein Gin Tonic hier, eine Zigarette da. Man kennt sich zumindest vom Wegschauen. Oliver sieht auch nicht gerne hin. Zumindest, wenn er auf der Bühne steht: „Ich bin ja eigentlich froh, dass ich als Live-Musiker nicht zwingend ins Publikum blicken muss. Das ist zum Beispiel beim Theater sicher anders. Ich habe das im Celeste dann irgendwann ausblenden können, aber der Gedanke, dass dir potenziell die gesamte Welt zuschaut, ist schon schräg.“ Im Celeste wurde brav zugesehen und zugehört. Gejubelt und getanzt wurde auch—und zum Schluss „Happy Birthday“ gesungen. Das war zu erwarten.

Erwartungen spielen im Leben von Oliver Johnson eine entscheidende Rolle. Seien es Erwartungen an sich selbst, das Publikum oder seine Musik. Enttäuschungen sind dabei ein willkommener Teil: „Ich spiele sehr gerne mit der gesunden Enttäuschung—sowohl bei Live-Auftritten als auch beim Produzieren. Die musikalische Formel des Drops hat sich für mich überholt. Hudson Mohawke hat auf seiner neuen EP eine Nummer, die fast nur aus Synthchords besteht. Viele seiner Fans, die ihn von seinen Produktionen für Kanye West kennen, haben seitenweise nach dem ‚Drop‘ geschrien. Das ganze ist ein didaktischer Prozess, um ein bisschen mit den Strukturen populärer Musik zu brechen,“ sagt der 30-Jährige. Rhythmus sei demnach schon wichtig, aber nicht notwendigerweise das tragende Konstrukt zu eh allem. Beim Interview wirkt Oliver souverän. Die Antworten sind ausführlich, bescheiden und humorvoll. Aufreger und Punchlines fehlen: auch hier keine Drops. Draußen pocht der Presslufthammer.

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Er verrät uns, dass die Show im Celeste vorerst eine der letzten am microKORG war. Es mache weniger Sinn das neue Album mit Laptop und Mini-Keyboard zu spielen, stattdessen springen Jugendfreunde CidRim und The cloniOUs für die Liveperformance an Bord. Mit dem microKORG streift Dorian Concept die Siebenmeilenstiefel ab, die ihn in die künstlerische Gegenwart getragen haben. Die befindet sich jetzt irgendwo zwischen dem Londoner Label Ninja Tune, Patronanzen bei der Red Bull Music Academy und weltweitem Touren. Den Anfängen in kleinen Wiener Tschumsen, folgten Einladungen nach London, ein Album, eine EP auf Ninja Tune, Shoutouts von JuzBlaze und ein Status Quo, der ihn getrost mit Erwartungen spielen lassen kann.

Das großartige erste Dorian Concept-Album ist jetzt schon eine Weile her. Fünf Jahre musste man auf Joined Ends warten, obwohl seit mindestens zwei Jahren in regelmäßigen Abständen irgendwer wusste, dass es dann und dann „wirklich kommt“. Dementsprechend ist es fast schon wieder ein Debüt. In der Zwischenzeit ist viel passiert, auch mit großen Namen. Flying Lotus zum Beispiel. Aufgewachsen ist Oliver Johnson nicht nur mit CidRim und The cloniOUs, sondern auch mit österreichischem HipHop. Dass man ihn heute oft mit Jazz in Verbindung bringt, hat vor allem mit einem Kid Koala & Bullfrog-Konzert im WUK zu tun, bei dem die drei das erste Mal eine WOW!-Erfahrung mit Band hatten. Da war Oliver ungefähr 17 Jahre alt. Und wenn man 17 ist und es noch kein Web 2.0 gibt, schreibt man halt auch mal dem Saxophonisten von Cinematric Orchestra ein Mail und fragt nach Einflüssen. Das ist alles schon ziemlich lang her. Der Plattenladen „Red Octopus“, in dem sich Dorian Concept Coltranes Live at Birdland—die Antwort des Saxophonisten—auf CD kaufte, ist mittlerweile ein Blumenladen.

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Wenn Dorian Concept einen seiner mittlerweile seltenen Auftritte in Wien hat, lächelt die Stadt. Ich erinnere mich an den Boiler Room: Auch dort wurde gelächelt. Die Erwartungen schienen im Publikum eine untergeordnete Rolle zu spielen, zu verlockend und warm ist es im Kielwasser des internationalen Erfolges. Ähnlich dem Gefühl, wenn man am Montag den Kicker aufschlägt, nach den österreichischen Legionären sucht und sich insgeheim auf eine räudig-patriotische Art freut, wenn einer ein Tor in der kasachischen Liga geschossen hat. Gut hat er das gemacht, der Bub.

Beim Interview haben wir das Fenster mittlerweile geschlossen und ich endlich meinen Pullover ausgezogen. Rauchen geht immer noch nicht. Dorian Concept erzählt von der Entstehung des Albums, seinen ersten Ausflügen nach London und wie es sich anfühlt, erstmals mit der eigenen Stimme als Vocals zu arbeiten. Beide Aufnahmegeräte leuchten noch. „Erfolg“, sagt er, „ist für mich fragwürdig. Habe ich Erfolg, wenn ich mit meiner Musik viele Leute erreiche, dafür aber in eine Schublade gesteckt werde? Also scheitere ich, wenn ich ein Album nach meinen Vorstellungen mache und damit niemanden erreiche? Das eine kann ohne das andere nicht existieren.“ Der Erfolg und das Scheitern geben ihm recht.

Recht will Oliver gar nicht immer haben. Er schiebt sich selbst die Rolle des Kritikers zu, die größte Angst sei die Sicherheit: „Das Schlimmste für mich wäre, wenn ich auf meinem Weg irgendwo ankommen würde, wo ich mich sicher fühle. Das ist wie ein Gefängnis. Vor allem weil man dann die Leute nicht mehr überraschen kann.“ Sicher ist „Joined Ends“ nicht. Das Album fordert die Erwartungen heraus, bricht mit der Vergangenheit und der Zukunft ohne sich dabei in der Eigenständigkeit zu verlieren. Es ist keine musikalische Kehrtwendung, sondern eine Bestandsaufnahme. Die dann doch schon wieder ein Jahr zurückliegt: „Es ist ja schon ein Jahr fertig und ich bin schon wieder weiter. Zu sicher ist es wohl nicht. Einerseits sind da die Leute, die sich weniger mit Musik beschäftigen und mir sagen, dass es einfach schön ist und auf der anderen Seite sind da die, die es schon ziemlich nerdig finden. Ich wollte auch aus dem latenten Autismus der früheren Sachen ausbrechen, “ sagt er.

Alle haben genug und wollen rauchen. Ich frage Oliver mit welchem Instrument ich die besten Chancen habe, ein ausgeglichener, 60-jähriger Jazzmusiker zu werden. Er sagt, ich solle lieber mit 60 über Jazz schreiben und ich bin ein bisschen enttäuscht. Ob er das so wollte, weiß ich nicht.

Vielleicht ist das nicht die beste Geschichte zu Dorian Concept. Vielleicht hätte ich erzählen sollen, wie viele Zigaretten sich Oliver Johnson gleichzeitig ins Gesicht stecken kann. Wolfgang Fellner hätte mich umarmt. Vielleicht hätte es aber auch eine objektive Review über Dorian Concepts großartiges Album getan. Die Puristen hätten mit Felsen geworfen. Erwartungen sind da, um sie zu enttäuschen.

Dorian Concept spielt Ende November beim Red Bull Weekender in Wien. Dieser Text wurde einen Tag NACH der vereinbarten Abgabe an den einen von Noisey geschickt.