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You Need to Hear This

In FKA twigs' Musik geht es gar nicht nur um Sex

…Aber schon relativ viel. Im Interview sprachen wir mit twigs über ihre steile Karriere, den Stress des Künstlerdaseins und wie ihre Mutter sie über MySpace verkuppeln wollte.

Wenn man nach musikalischen Hypes und deren Erfüllung sucht, dann wird früher oder später die BBC „Sound Of …“-Liste angeführt. Einmal jährlich schwingt sich die britische Funk- und Fernseh-Institution zum Gralsritter in Sachen Pop und Derivate auf und verkündet, wen es im Kalenderjahr zu ‚beobachten‘ gelte. Bei Erscheinen der 2014er-Ausgabe stand auf Platz Acht FKA twigs—im Sandwich zwischen Leuten wie Sam Smith und Banks bzw. Jungle und Kelela. Eigentlich viel zu spät, schließlich hätte schon 2013 das Jahr der Tahliah Barnett sein können.

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Unter ihrem Künstlernamen FKA twigs hatte die 1988 in Gloucestershire geborene Britin mit jamaikanisch-spanischen Wurzeln schon zwei EPs veröffentlicht, mit denen alleine sie die Popwelt im Sturm hätte nehmen können—aber auch 2014 ist das Album das Maß aller Dinge. Nun erscheint es endlich unter dem prgrammatischen Titel LP1, mit dem nicht nur die BBC Recht behält, sondern auch twigs mit ihrer einzigartigen Mischung aus Leftfield-Glitch-Electronica und Neo-Soul und -R&B den sich bereits abzeichnenden, wohlverdienten Erfolg einfahren kann.

Im Interview sprachen wir mit twigs über ihre recht steile Musikkarriere, den Stress des Künstlerdaseins in London und wie ihre Mutter twigs über MySpace mit einem New Romantic-Punk zu verkuppeln versuchte.

Noisey: Wie läuft's momentan so in Sachen Presse, nachdem du die letzten Jahre überals Mensch hinter der Musikweitgehend abseits der Öffentlichkeit stattgefunden hast? Oder dich zumindest der Öffentlichkeit in Sachen Interviews entzogen hast …
FKA twigs: Ich musste mich auf meine Musik konzentrieren, das war meine höchste Priorität. Und wenn man dann anfängt, Interviews zu geben, Fotoshoots zu machen, Kampagnen für Designer durchzuziehen … dann lenkt das von der Musik ab. Ich hab' ja auch meinen eigenen Kopf und finde mich selbst eigentlich ziemlich langweilig. Wenn dann ein Pressetag wie heute stattfindet, muss ich den ganzen Tag über mich sprechen. Also konzentriere ich mich lieber auf die Musik, statt auf das ganze Drumherum.

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Wann hast du mit der Arbeit an deinem Album LP1 begonnen?
So ungefähr vor eineinhalb Jahren. Aber eigentlich habe ich schon mein ganzes—musikalisches—Leben darauf hingearbeitet. Wenn man Anfangs mit Musik machen anfängt, dann ist ein Album noch sehr weit weg. Aber in Sachen konkreter Songs war ich eineinhalb Jahre mit der Platte beschäftigt.

Auf dem Album finden sich nur neue Stücke, keine Stücke von deinen vorangegangenen EPs—lass sie uns Hits nennen, denn das sind sie ja immer noch. Aber es klingt alles sehr konsistent und in Linie mit dem, was du vorher veröffentlicht hast.
Klar, es kommt ja von mir und viel ändere ich an meinem Stil nicht mehr. Aber natürlich gab's eine Entwicklung: Für das Album habe ich alles selbst produziert—meinen ganz eigenen Sound abzüglich dessen, was von meinen früheren Kollaborateuren stammte. Meine eigene kleine Blase. Ich stehe natürlich zu meinen älteren Sachen, man kann meine Vergangenheit gut raushören, denke ich. Das ist eine gute Sache: Seine eigene Soundsignatur zu definieren. Das hat Spaß gemacht.

Du arbeitest nicht mehr mit Arca?
Gut, das ganze, ganze Album habe ich nicht alleine produziert. Arca hat „Lights On“ produziert. Inc. haben die Keyboards in „Kick“ eingespielt, das Material habe ich dann weiter bearbeitet. Mit Sampha habe ich an „Numbers“ gearbeitet, und dann gab's noch Paul Epworth und Emile Haynie. Vier Stücke stammen aber alleine von mir. Die meisten Leute denken ja, ich sei nur eine Sängerin und ein Typ produziere alles für mich.

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Warum ist Sex im Hellen so eine große Sache?
Sex im Hellen?

Wir sprechen über dein neues Stück „Lights On“ …
Ach, das muss sich nicht auf Sex reduzieren. Wenn ich dir vertraue, dann lass ich dich mein wahres Ich sehen. Das passiert gerne, dass man mich und meine Musik zu sehr beim Wort nimmt und denkt, es ginge immer nur um Sex. Klar, immer wieder geht es um Eindeutigkeiten. Wenn man Musik schreibt, dann geht's um's Leben, eine kleine Referenz hier und da. Mit Sex im Hellen hab ich gar kein Problem. Aber wenn man Vertrauen zueinander hat, dann zeigt sich das wahre Wesen, die echte Seite, dann verrate ich dir all meine Geheimnisse. Wenn du Typ X bist, dann lass ich dich nicht in meine Nähe. Wenn du Typ Y bist, lernst du meine andere Seite kennen.

Das mit der Eins-zu-Eins-Interpretation ging mir dann auch bei „Kicks“ so: Das muss sich um Selbstbefriedigung drehen …
Auf gewisse Weise ja. Aber es gibt auch eine emotionale Ebene: Ich mag meine eigene Berührung; ich bin mir selbst die beste Gesellschaft; ich kann mein eigener Schnuller sein. So kann man's auch sehen. Die Frage ist: Wie geht's mir, wenn du nicht da bist? Dann sitz' ich hier und weine, denke an dich, schreibe dir SMS und ruf dich an? Nein, mir geht's wunderbar auch ohne Gesellschaft. Ich bin ein Einzelkind und verbringe gerne Zeit mit mir selbst. Und das ist dann die Feststellung: Du brauchst nicht ständig Leute um dich rum. Du kennst dich selbst ja eh am Besten. Ob das jetzt was physisches—wie Masturbation—oder etwas emotionales ist. Du weißt selbst am Besten, aus welcher Tasse du am liebsten deinen Tee trinkst, oder welche Serie du unter welcher Decke sehen möchtest. Das ist deine ganz eigene Sache. Darum geht's in „Kicks“.

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Wieviel Zeit verbringst du dieser Tage mit dir selbst? Ist das noch drin?
Ich liebe es total! Mein Manager ist eine große Hilfe. Ich arbeite mit ihm seit ich 19 bin. Heute bin ich 26 Jahre alt. Er hatte jetzt rund sieben Jahre Zeit, mich kennen zu lernen—und er weiß, dass ich Zeit für mich brauche. Er weiß, dass er mich nicht wegen jeder Kleinigkeit ansprechen muss. Und aus diesen abgeschiedenen Momenten ziehe ich für mich als Künstlerin auch am Meisten.

Tanzt du noch professionell? Du hast mal Ballett getanzt—braucht doch recht viel Disziplin, wenn ich nicht irre.
Ich tanze immer noch und ich bin sehr diszipliniert. Heute arbeite ich gerne mit spaßigen, entspannten Leuten, damit alles gut läuft. Aber es gibt diesen Arbeitsethos: Ich habe nur einmal im Leben diese Energie. Eines Tages werde ich eine Mama sein, mich den ganzen Tag müde fühlen und als Allerletztes bis drei Uhr Morgens im Studio an einer beknackten Hi-Hat arbeiten. Jetzt, wo ich jung bin und Kraft habe, will ich so viel wie möglich machen. Das schließt Tanztraining ein, aber auch mich in Sachen Instrumentierung, Produktion und so zu verbessern. Mich immer ein bisschen weiter zu pushen.

Neulich habe ich mit Waacking und Voguing angefangen. Solche Tänze habe ich schon immer irgendwie gemacht, hab es aber nie ernst genommen, sondern nur Elemente in eine Impro reingeworfen. Jetzt nehme ich das aber ernster: Ich lerne die Technik, die Wurzeln, also zurück dahin, wo das alles ursprünglich herkam. Voguing und Waacking sieht total lustig aus, hat aber einen ernsten Hintergrund. Teil eines Voguing-Houses zu sein bedeutete ursprünglich, einen gewissen Schutz zu genießen. Eine Art von Familie, die junge Leute—oder Jungs eben—von der Straße holte und sie an etwas größerem teilhaben ließ. Das finde ich großartig. Man muss immer die Wurzeln kennen.

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Eigentlich muss man Anfangs richtig mies sein, um etwas lernen zu können. Sobald man den Lerneffekt spürt, diesen Wendepunkt, den Aha-Effekt, dann … und damit sind wir wieder bei LP1. Songwriting ging mir immer leicht von der Hand, und ich fand's auch immer toll, am Knopf eines Effektgerätes zu drehen und eine Veränderung zu bemerken. Aber um das Album zu produzieren musste ich erst einmal lernen, wie man überhaupt produziert. Wie man mit Ableton arbeitet—das hat ein Jahr gedauert. Cyan—er spielt in meiner Band—hab ich oft genug Spätnachts angerufen und so Sachen gefragt wie: „Stell dir einen Zauberer vor. Er schwingt ein Schwert durch die Luft, wird dabei aber von einer Horde von Bienen verfolgten Elefanten angegriffen …“

Das klingt ehrlich gesagt nach einem sehr merkwürdigen Song …

Total! Aber er hat mich sehr unterstützt, bestärkt, alles gezeigt und vor allem zugehört. Und beim nächsten Mal musste ich dann alles selbst hinkriegen. Ohne seine Anleitung auf technischer Seite hätte ich das Album nicht hinbekommen. Und das hat nichts mit Angst zu tun. Ich lerne schnell und bin praktisch veranlagt. Viele Leute finden das abschreckend, dann will man anderen auf einmal nicht zeigen, wie die Sache eigentlich läuft. Ich gebe und teile gerne.

Wie lange kanntet ihr euch schon?
Seit gefühlten Ewigkeiten. Wir waren diese Art ‚Weird New Romantic‘-Kids. Er hatte grüne Haare, ich trug zuviele Muster in meinen Outfits. Kennengelernt haben wir uns—kein Scherz—über meine Mom. Sie war in einem Café in Südlondon, sowas wie Starbucks. Sie holte sich einen Kaffee und sah da diesen Typen mit grünem Haar, seinen lustigen Hosen, Shirt und Krawatte, die nicht zueinander passten. Und sie ging zu ihm hin und meinte: „Oh, du ziehst dich genau wie meine Tochter an. Ihr solltet Freunde werden.“ Und er so: „Errrrr…“ Sie so—das war zu MySpace-Zeiten: „Ihr seid beide saubere Punks, das gefällt mir. Ihr solltet euch anfreunden.“ Und dann sagte sie später zu mir, ich solle ihn treffen. Und dann lag sie mir zwei Tage lang in den Ohren, ob ich ihm denn schon geschrieben habe. Und dann schrieb ich ihm halt, sie wollte es sogar nochmal lesen. Wir trafen uns dann, machten zusammen Musik—aber die war so schrecklich. Ich war wohl 21 und er 19.

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Klingt eigentlich nach der coolsten Mom ever.
Ich hab die coolste Mom ever! Ich sagte Cyan dann auch immer wieder, er solle in meiner Band spielen, sollte ich mal eine haben. Und dann hat er mir immer wieder geholfen, bei allem, bei dem ich Hilfe brauchte.

Wissensteilung ist ja eh Bestandteil unserer DNA—das sollte der Normalzustand sein.
Aber manche Leute sind dafür nicht offen, die machen dann schnell zu, wenn sie merken, dass man schnell lernt. Das ist der Vorteil an einem Plattenvertrag: Man kann sich die Leute aussuchen, mit denen man arbeiten möchte. Und es wird immer dann besser, wenn man geben und nehmen kann. Ich hoffe, das hört man dem Album an: Wie fließend der Prozess war, und wie viel ich gelernt, mich verbessert und gearbeitet habe. Trotz allem Spaß war es ja schließlich nicht immer leicht.

Ich würde gerne nochmal in die Textebene absteigen und mit dir über „Video Girl“ sprechen. Es klingt so nach einer, naja, nicht Beschwerde, aber nach einer Reflektion deiner medialen, visuellen Präsenz.
Nah dran, aber anders. Es geht um mich als 19- bis 22-Jährige. Damals musste ich in Musikvideos auftauchen und meine eigene Karriere voranzubringen. Ich geriet dann in die Situation, dass ich nirgendwo mehr vortanzen musste, sondern gleich für ein Musikvideo gebucht wurde. Und sogar besser als andere Leute bezahlt wurde. Dann gaben mir die Regisseure Anweisungen und das zog ich dann durch. „Sag mir was, ich mach's—beim ersten Take.“ Das verschaffte mir dann den Ruf als das Mädchen, das man vor die Kamera stellt und die das dann einfach durchzieht. Und dann fragten mich Leute auf der Straße: „Bist du die Kleine aus dem Musikvideo?“ Das war merkwürdig, weil dieser Lebensstil—alles, was ich verdiente, steckte ich in meine eigene Musik—irgendwie beschämend war.

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Ich war wegen meiner eigenen Karriere darauf angewiesen, hasste es aber. Der Song dreht sich um diesen Hunger nach Erfolg, Anerkennung und Selbstverwirklichung. Deshalb heißt es am Ende „I can't recognize me“. Wenn ich heute zurückblicke kann ich mir das kaum noch vorstellen—wobei ich immer noch viel arbeite und drei Tage lang im Videoschnitt sitze. Aber das war damals mein Alltag: Videos zu machen, um meinen Alltag zu bestreiten. Das hörte dann auf. Selbst als mich eine Produktion mit viel mehr Geld locken wollte.

War dieser Moment, diese Entscheidung eine Erleichterung?
Ich verdiente danach nur noch die Hälfte dessen, was ich zuvor hatte—und tanzte dazu noch in einer Show mit drei Auftritten am Tag, kam um sechs Uhr morgens ins Bett. Und dann stand ich am nächsten Tag im Studio, um EP1 aufzunehmen. „Video Girl“ ist einfach eine sehr persönliche Erinnerung an die damalige Knochenmühle. Autobiografischer wird es auf dem Album nicht mehr.

FKA twigs, LP1, Young Turks / XL Recordings, 8. August 2014, auch auf iTunes.

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