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2015 war das Jahr des koreanischen Raps

2015 war das Jahr, in dem die K-Rap-Szene derartig gigantische Ausmaße annahm, dass selbst der Pazifik sie nicht mehr im Zaum halten konnte.

Wenn 2014 das Jahr war, in dem der Mainstream auf koreanischen Underground-Rap aufmerksam wurde, dann war 2015 das Jahr, in dem die Szene derartig gigantische Ausmaße annahm, dass selbst der Pazifik sie nicht mehr im Zaum halten konnte. Während der HipHop-Trend in Südkorea immer ernster (und kommerzieller) wurde, erkundeten die Fans aus dem Ursprungsland des HipHops koreanischen Rap mit der gleichen Abenteuerlust, die auch Popfans aus der ganzen Welt zu K-Pop führte. Für einige liegt der Reiz darin, typisch-amerikanischen Rap in einer anderen Sprache zu hören, oder darin, wie nicht-Muttersprachler mit der englischen Sprache hantieren. Viele der Tracks sind aber schlicht und einfach gute Songs, die jeder wertschätzen kann.

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Rap ist schon seit Langem ein fester Bestandteil koreanischer Popmusik—der erste koreanische Popsong mit Rap-Parts war das Tom Tom Club-esque „Kim Satgat“ des Rockmusikers Hong Seo-beom von 1989. Und auch die frühen Idol-Stars wie Seo Taiji and Boys und Sechs Kies bauten ihre ganze Karriere darauf auf, den amerikanischen HipHop der 90er zu simulieren. Außerdem gab es diverse Rap-Kombos, die Mitte der 2000er Mainstream-Erfolge landen konnten, wie Epik High und Supreme Team. Seit die HipHop-Boyband Big Bang 2006 ihr Debüt veröffentlichte, tauchen beständig neue K-Pop Idol-Gruppen mit einem ganz ähnlichen Pop-Rap-Sound auf, wie zum Beispiel Block B (die 2011 auf der Bildfläche erschienen), B.A.P. (2012) und BTS (2013).

2014 erreichte dann das lange schon brodelnde Interesse für K-Rap endlich seinen Siedepunkt mit der dritten Staffel der Rap-Competition-Serie Show Me the Money, in der Rapper aus unterschiedlichsten Hintergründen unter der Anleitung von bekannten Künstlern gegeneinander antreten. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Staffeln, die nicht wirklich viel Beachtung fanden, wurde Show Me the Money im ganzen Land ein großer Erfolg. Songs aus der Show verbuchten regelmäßig gute Plätze in den landesweiten Digtialcharts und aus Zitaten wurden beliebte Memes. Es war dann auch nicht wirklich verwunderlich, dass sich mehr als 7.000 Menschen—und damit 4.000 mehr als im Jahr davor—für die vierte Staffel bewarben, die im Sommer 2015 ausgestrahlt wurde und bislang die höchsten Einschaltquoten und die ersten Nummer eins Singles für die Serie erzielen konnte.

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Eine wichtige Sache, die ebenfalls 2015 aus Show Me the Money hervorgegangen war, ist der erste auf weibliche Rapper ausgelegte Spin-Off Unpretty Rapstar des Musiksenders Mnet. In der Hauptsendung werden die Teilnehmerinnen nämlich unglaublich schlecht behandelt. Bei ihren Erzählsträngen dreht sich eigentlich alles um ihr Aussehen, wohingegen ihre Skills komplett vernachlässigt werden. Bislang konnten nur sehr wenige koreanische Rapperinnen im Mainstream oder Underground Erfolge feiern und selbst im K-Pop ist es wahrscheinlicher, dass in Boygroups gerappt wird als in Girlgroups. Die erste Staffel von Unpretty Rapstar wurde im Januar 2015 ausgestrahlt. Das Teilnehmerfeld setzte sich dabei aus abgewiesenen Mitstreiterinnen von Show Me the Money 3, Underground-Rapperinnen und der Sängerin einer Idol-Group zusammen, die jede Folge gegeneinander antraten, um in einem Track eines Gastproduzenten gefeatured zu werden. Auch wenn die Sendung vor allem darauf ausgelegt war, Konflikte zwischen den Teilnehmerinnen anzuheizen, und die Gastkünstler und Jury-Mitglieder vor allem Männer waren, wurde das Format ein voller Erfolg und direkt mehrere Songs aus der Sendung schafften es in die Top fünf der Charts. Der Trend schien dann aber auch so schnell wieder zu verschwinden wie er aufgetaucht war: Die zweite Staffel der Show, die nur wenige Monate später im September des gleichen Jahres ausgestrahlt wurde, schnitt viel schlechter ab (kein einziger Song schaffte es in den Charts höher als Platz 16) und selbst eine Teilnehmerin, Yezi von der Girlgroup FIESTAR, kritisierte die Produzenten der Sendung in einem Freestyle während der Aufzeichnung.

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Koreanische Rapper sind aber nicht bloß in ihrer Heimat erfolgreich, sondern erfreuen sich auch im Ausland wachsender Beliebtheit und die Auswirkungen der neuen Mainstream-Popularität des koreanischen Raps auf K-Pop Fans in der ganzen Welt lässt sich einfach nicht von der Hand weisen. Weltweit sind viele auf den koreanischen Rap-Zug aufgesprungen, nachdem sie entsprechende Musik und Künstler durch die sich zunehmend verflüssigenden Grenzen zwischen K-Rap und K-Pop entdeckt haben. Selbst Idol-Künstler, die keine Rapper sind, featuren mittlerweile regelmäßig in HipHop-Songs—sei es als Publicity-Stunt in Sendungen wie Unpretty Rapstar oder indem sie mit erfolgreichen Produzenten wie Primary zusammenarbeiten. (Mit seinem aktuellsten Album 2 hat Primary Choa von AOA und Rap Moster von BTS zu seiner langen Liste von Kollaborateuren hinzugefügt.)

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Einige Songs sind aber auf ganz klassische Weise groß geworden—will sagen: viral gegangen. Genau das passierte zum Beispiel bei der größten koreanischen Rapsensation von 2014, „YGGR“ von Illionaire Records, nachdem das Video einer Performance des Songs auf Reddit gepostet worden war—nicht nur weil der Kontrast zwischen den Rappern auf der Bühne und dem in feinste Abendgraderobe gekleideten Publikum unglaublich absurd anmutet, sondern auch weil der Song einfach richtig abgeht. Eine ähnliche Kombination aus unfreiwilliger Komik und beabsichtigter Power führte auch dazu, dass der Zero-Budget Track „It G Ma“ auf Vine durch die Decke ging. (Dass der Song dann auch noch dafür in die Geschichtsbücher eingehen sollte, dass koreanische und japanische Rapper daran mitwirkten, ist reiner Zufall.) Und das Internet als Ideengeber funktioniert in beide Richtungen. Wenn man bedenkt, dass der koreanische Rap erst 2001 erkannte, was ein Binnenreim ist, würde das Land wahrscheinlich noch Jahre hinterherhinken, wenn es nicht die beschleunigte Kommunikation des Internets geben würde, die es The Cohort erlaubt, OG Macos „U Guessed It“ zu hören (oder Illionaire Rae Sremmurd) und andersherum. Während die meisten amerikanischen Rapper Repräsentanten eines speziellen Genres sind, umfassen einige der bekanntesten koreanischen Rap-Alben, die 2015 erschienen sind (von Yankie, Olltii und Jay Park) gleich mehrere Genres, als hätten sie ihre musikalische Inspiration nicht aus ihrer Szene, sondern aus ihrer Playlist gezogen.

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Jetzt wo 2016 angebrochen ist, stellt sich unweigerlich die Frage: Rollt die koreanische Rap-Welle in diesem Tempo weiter oder hat sie ihren Scheitelpunkt schon erreicht? In seiner Heimat hat der Trend bereits solche Ausmaße angenommen, dass er die Glaubwürdigkeit des Genres riskieren könnte. Zu Beginn des letzten Jahres schrieb eine Frau an die Talkshow Hello Counselor von ihrer 38 Jahre alten Tochter, die ihren Job und ihre Familienpflichten aufgegeben hatte, um sich ihren Traum von einer Rapkarriere zu erfüllen, und sowohl Szene-Veteran E-Sens als auch Newcomer Keith Ape haben schon mehrfach ihre Verachtung für den Großteil der koreanischen Rapszene bekundet (E-Sens weil sich alles zu sehr ums Geld dreht, Keith Ape weil „sie richtig beschissen ist“). Die schlechten Einschaltquoten für Unpretty Rapstar suggerieren, dass in der breiten Öffentlichkeit das Interesse am Rap langsam erlischt. Aber auch wenn das Interesse verschwindet, bleiben die Songs und der Trend, die 2015 prägten, weiter bestehen. Hier unten sind sechs Tracks, die 2015 im koreanischen HipHop präsentieren.

Keith Ape feat. JayAllDay, Loota, Okasian und Kohh – „It G Ma“

Es gibt wahrscheinlich keinen Song, der 2015 die Lager mehr gespalten hat. Und alles, was seine Kritiker sagen, ist wahr: Es klingt wie ein SeaWorld-Abklatsch von OG Maco; die Hook ist ein flackerndes GIF; Okasian klingt tot; der Track ist gefühlte 20 Minuten lang. Aber seit das Video am 1. Januar 2015 hochgeladen wurde, hat „It G Ma“ Keith Ape und The Cohort nach Amerika gebracht, wo sie New York lahmlegten und Waka Flocka für einen Remix gewinnen konnten. Zuhause in Seoul inspirierten sie obendrein einen Haufen kläffender und mit Hashtags um sich werfender Wannabes. Wenn wir hier über das Jahr sprechen würden, in dem koreanischer Rap die Grenzen durchbrach, dann wäre die Liste an dieser Stelle auch schon wieder vorbei.

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Rap Monster – „Do You“

Rap Monster, Leadsänger der Boyband BTS, hat im koreanischen Rap eine der größten Erfolgsgeschichten des Jahres hingelegt. Vom Idol-Rapper-Lehrling mauserte er sich zum Warren G Kollaborateur und erntete in der HipHop-Community für sein Mixtape RM viel Aufsehen. RM ist sowohl wegen der Reime als auch wegen der Beatauswahl interessant, für die sich der Rapper bei seinen Vorbildern bedient hatte: Drake, Big K.R.I.T., Run The Jewels. „Do You“ zeigt Rap Monster in Topform und Pharrells monotone Lines aus dem Original lässt er dabei um Längen hinter sich. Der Track sticht nicht nur auf dem Mixtape heraus, sondern im ganzen Jahr.

Diplo, CL, Riff Raff, OG Maco – „Doctor Pepper“

2015 war das Jahr, in dem K-Pop Beobachter endlich Zeuge von dem werden konnten, auf das sie seit Jahren gewartet hatten: CL von 2Ne1 schaffte ganz allein mit dieser Allstar-Kollaboration den Durchbruch in Amerika. Wie es heißt, kam auch CL selber mit der Punchline Hook an, während sie wütend mit einer Cola-Dose rumfuchtelte, nachdem Diplo (ein langjähriger Freund ihres Labels YG) zu spät zu einer Session gekommen war. Wenn man sich diesen und ihren neusten Track „Hello Bitches“ anschaut, wird klar, dass sich CL für eine Mission auf beiden Seiten des Pazifiks verpflichtet hat.

Jimin – „Puss (feat. Iron)“

Es sollte eigentlich niemanden wundern, dass der kommerziell erfolgreichste Song von Unpretty Rapstar vom Mitglied einer der bekanntesten Girlgroups des Landes stammt—Jimin von AOA (die 2014 mit „Miniskirt“ über Nacht zu Stars wurden). Und noch weniger sollte einen das wundern, wenn man den Song gehört hat. Der Track ist ein dröhnender und vor Kraftausdrücken nur so strotzender Banger, der wie nichts klingt, was jemals unter dem Banner AOA veröffentlicht werden würde. Damit ist der Track auch eine der besten Sachen, die aus dem Rapperinnen-Trend des letzten Jahres hervorgegangen ist: Er hat die Bandbreite von Musik erweitert, die in den Augen des koreanischen Publikums von Frauen gemacht werden kann.

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Incredivile, Jinusean, Tablo – „Oppa’s Car“

„Oppa’s Car“ ist wahrscheinlich der bescheuertste Song, den Show Me the Money je hervorgebracht hat, und deswegen war sein unglaublicher Erfolg im letzten Sommer auch so großartig. Zum einen wird die Punchline Incredivles Karriere bis zu ihrem Ende verfolgen, zum anderen ist es ein spaßiger Track zum rumcruisen, der ganz im Zeichen des 90s-Rap-Revivals steht, das Südkorea momentan erfasst hat (siehe auch: Jinueseans anderer Hit des Jahres oder Kirins komplette Karriere). Und schauen wir der Wahrheit doch ins Gesicht: Mit dem ständigen Gekabbel darum, wer jetzt am realsten ist, wird der Ton in der koreanischen HipHop-Szene schnell viel zu ernst. Es ist also recht erfrischend, dass auch ein bescheuerter und großartiger Popsong zum Hit werden kann.

E-Sens – „The Anecdote“

2015 war auch das Jahr, in dem das ehemalige Supreme Team Mitglied E-Sens zum ersten südkoreanischen Rapper wurde, der ein Album aus dem Gefängnis heraus veröffentlichte, wo er einsaß, während er gegen seine Strafe für Drogenbesitz und -konsum in Berufung gegangen war (die hat er übrigens verloren). Wie auch sein Titeltrack ist The Anecdote ein textlich unglaublich komplexes Album voll mit stimmungsvollen, verschachtelten Beats, die die Lyrics ergänzen—und nicht andersherum. Außerdem kommt das Album ohne jeglichen Trap-Einfluss aus. E-Sens hatte seinen Abschied von Supreme Team damit begründet, dass er keinen Pop mehr machen will. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen schaffte es The Anecdote in den Charts auf den ersten Platz.

Madeleine Lee erwartet mit Sorge die südkoreanische Version von Ma$e. Folgt ihr bei Twitter—@descriptivist

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