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Interviews

East India Youth trickst seine Hörer aus

East India Youth klingt, als ob man klassische Musik ins Elektronische transkribiert hätte. Dabei fordert er seine Hörer heraus und trickst sie manchmal auch aus.

Fotos: Rebecca Miller

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich bei einem Interview total underdressed gefühlt. Es sind knapp 30 Grad draußen, der erste, richtig heiße Tag des Jahres. Also sitze ich in einem luftigen, ungebügelten Hemd, Jeans und Sneaker im Café Südblock in der Sonne und warte auf William Doyle, der in der Elektronik-Szene als East India Youth bekannt ist.

Durch meine Recherchen weiß ich, dass William ein ziemlich stylischer Anzug-Liebhaber ist, aber wer kommt bei dem Wetter schon im Anzug zu einem Musik-Interview? William Doyle natürlich! Schmale, dunkelgraue Krawatte, dunkelgraues Hemd, schwarzer Anzug, schwarze Anzughose—es ist verrückt. Auf seiner Stirn ist kein Tropfen Schweiß zu sehen, obwohl er sowohl in seiner Linken, als auch in seiner Rechten einen riesigen Koffer voller Equipment vom Taxi bis zum Café schleppt. Sein Manager ist auch dabei, ebenfalls im Anzug.

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Eigentlich war William früher in der Indieband Doyle & The Fourfathers und obwohl die Gruppe langsam begann, erste Erfolge zu feiern, fühlte sich William nie in seinem Element. Er wollte lieber alleine arbeiten, lieber alleine produzieren, ohne seine kreative Freiheit mit anderen teilen zu müssen. Also fasste er den Entschluss, bei Doyle & The Fourfathers auszusteigen und weiter in seinem Zimmer am Computer Musik zu machen. Das Resultat: Total Strife Forever. Ein Album, das einen glauben lässt, William hätte klassische Musik ins Elektronische transkribiert und den Hörer mit verschiedenen Höhen und Tiefen mal zum Tanzen und mal zum Träumen verleiten wollen.

Noisey: Das erste, woran ich denken musste, als ich Total Strife Forever gehört habe, war klassische Musik. Ich finde, dass Klassik so viele verschiedene Emotionen im Hörer hervorbringen kann, was mit anderen Genres einfach nicht vergleichbar ist. Die elektronische Musik, die du machst, tut das genauso.
William Doyle: Die Zeit, in der ich das Album produziert habe, war sehr dynamisch für mich. Seelisch war es eine ziemlich heftige Phase, privat und beruflich. Ich war in einer Band, die sich irgendwann auflöste und nebenbei ging in meinem Leben so viel ab, dass ich das Gefühlt hatte, musikalisch alles rauslassen zu müssen. Daher auch dieses sehr emotionale Album.

Es ist schon ein großer Schritt vom Mitglied einer Indieband zum Elektro-Produzenten, oder?
Ist es schon, aber es war keineswegs plötzlich. Es war eine sehr langatmige Entwicklung, weil ich schon vor Doyle & The Fourfathers Elektro gemacht habe. Ich habe bereits mit 13 Jahren angefangen, am Computer Musik zu machen. Die war damals zwar nicht sehr gut, weil ich zu der Zeit erst anfing, mit dem Ganzen herumzuexperimentieren. Als die Band noch zusammen war, habe ich nebenbei viel an eigenen Songs gearbeitet, ohne eine Ahnung zu haben, was ich aus den Tracks machen würde. Als wir uns dann auflösten, wurde mir klar, dass mir die Arbeit, die ich über die Jahre alleine gemacht hatte, sehr gut gefiel und wirklich mein Ding war. Die Musik war viel besser und hat mir mehr Spaß bereitet.

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Warum?
Irgendwie bin ich ein Kontrollfreak. Ich liebe es, mit anderen Musikern zu spielen, aber wenn es darum geht, Kreativität zu teilen, wird es schwierig, weil ich von Anfang an meine eigenen Ideen habe. In einer Band geht das aber nicht, da muss sich jeder nach jedem richten. Sich damit auseinanderzusetzen ist für mich schwierig, vor allem, wenn die anderen Bandmitglieder Freunde von dir sind.

Welche Rolle hattest du in der Band?
Ich war der Sänger und habe die meisten Songs auf Gitarre geschrieben.

Aber du bist nicht für East India Youth aus der Band ausgestiegen.
Nein. Aber ich wusste, dass es anfing, bergab zu gehen und die Musik, die ich begann zu machen, mir kreativ einfach wichtiger war. Aber die Band hat sich nicht aufgelöst, damit ich East India Youth machen kann.

Was fasziniert dich denn an elektronischer Musik?
Das Mysterium. Ich hatte am Anfang keine Ahnung, wie ich diese Musik machen soll, und wusste überhaupt nicht, was ich da genau mache. Ich habe in den letzten Jahren erst gelernt, was ein Filter ist und wie man ihn benutzt und immer nur herumexperimentiert. Das Schaffen von elektronischer Musik hat für mich etwas Mysteriöses. Das fasziniert mich.

Wann wusstest du, dass du den richtigen Sound für dein Album gefunden hast?
Hauptsächlich durch meine Arbeiten an „Total Strife Forever“ I - IV. Davon habe ich „Total Strife Forever III“ zuerst aufgenommen. Eines Morgens bin ich mit einem bestimmten Sound im Kopf aufgewacht und habe dann auf meinem Computer ein paar Midi-Sequenzen zusammengestellt. Damit habe ich ein bisschen herumgespielt, ein paar Stunden später wusste ich: „Das ist der Loop“. „Total Strife Forever“ I - IV haben alle den gleichen Loop, manche sind aber kürzer und etwas anders gestaltet. Diesen ersten Loop habe ich mir stundenlang an dem Morgen angehört. Es war vor ein paar Jahren im Dezember, draußen hat es unglaublich geschneit und die Landschaft war wunderschön. Es hat einfach alles gepasst und obwohl ich nicht an diese Art „göttliche Inspiration“ glaube, wusste ich sofort, dass das die Musik war, die ich machen möchte. Es fühlte sich sehr befreiend an.

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Die Lyrics auf dem Album hast du auch in ein paar Stunden geschrieben…
Stimmt, (lacht) die Lyrics kamen wirklich schnell zusammen. Früher habe ich über Monate an Lyrics gearbeitet, das wollte ich für Total Strife Forever aber nicht. Für das Projekt wollte ich genau das Gegenteil. Ich wollte improvisiert über die Instrumentals singen, um dadurch ein besseres Verständnis davon zu bekommen, was ich eigentlich sagen möchte. Falls das Sinn macht.

Meinst du Improvisation ist besser als monatelanges Lyrics-Schreiben?
Mich hat es irgendwann einfach genervt, das als Arbeitsprozess zu sehen. Ich wollte, dass das Schreiben von Lyrics einem Ausströmen an Emotionen gleicht, das in einem Stück passiert. Je mehr Zeit ich mit Lyrics verbrachte, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich den wesentlichen Kern verliere. Für dieses Album hat Improvisation und das schnelle Schreiben von Lyrics also sehr gut geklappt. Gerade weil es auf dem Album nicht so viele Lyrics gibt, wollte ich erst Recht emotional so verbunden wie möglich mit ihnen sein.

Wie schafft man es, sich emotional so zu binden, dass man in nur wenigen Stunden die Lyrics zu einem Album schreiben kann?
Das kann von allen möglichen Faktoren motiviert sein: der Temperatur, den Gebäuden, die um dich herum stehen. Ich habe relativ nahe an Londons Innenstadt gewohnt, trotzdem fühlte sich mein Standort ziemlich isoliert an. Ich war in der Nähe vom Wasser, um mich herum standen viele Baustellen, wo neue Gebäude gebaut wurden und so weiter. Im Großen und Ganzen war nicht nur die Zeit, sondern auch die Umgebung sehr grau. Ich habe wirklich versucht, die Atmosphäre der Außenwelt und die Atmosphäre der Tracks zu verbinden.

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Die Gesangsparts auf dem Album kommen sehr abrupt und sind ziemlich überraschend.
Das Album beginnt mit zwei Instrumentals, danach kommt ein Track mit Vocals. Als ich mich entscheiden musste, welche Reihenfolge die Tracks haben sollten, wollte ich den ersten Vocal-Track erst als drittes auf dem Album haben. Ich mag es, den Hörer herauszufordern. Ich wollte ein paar Überraschungen in mein Werk schmeißen, ich wollte den Hörer in etwas hineintricksen, sodass er glaubt, ein Instrumental-Album zu hören und ihn dann plötzlich mit Gesangssequenzen überraschen.

Für mich war es auf jeden Fall eine Überraschung. Ich war mir sogar nicht sicher, ob du da auch singst.
Das war ich. Aber genau das wollte ich beim Hörer auslösen, das war alles so durchdacht, die Leute ein bisschen zu ärgern (lacht). Musik muss eine Herausforderung sein.

Gibt es außer der Überraschung noch andere Emotionen, die du beim Hörer auslösen wolltest?
Kurz bevor ich mit dem Album fertig war, war mein Leben eine Mischung aus Höhen und Tiefen. Das Album sollte eine Reflektion davon sein. Der Hörer sollte auf eine ähnliche Reise befördert werden. Es ist aber nicht meine Absicht, im Hörer konkrete Gefühle auszulösen.Wenn Menschen überhaupt etwas fühlen, wenn sie meine Musik hören, habe ich meinen Job getan.

Du hast mal gesagt, dass du elektronischer Musik ein Gesicht geben willst, weil für dich alles zu unpersönlich ist.
Versteh mich nicht falsch, ich höre viel elektronische Musik und finde, dass in viel Musik sehr viel Emotion steckt. Aber es ist zum Trend geworden, sehr anonyme Musik zu machen. Oft ist die Produktion sehr gut, aber ich finde keine Emotionen in den Dingen, die ich höre. Ich wollte also etwas kreieren, dass organisch und nicht nur programmiert und steif klingt. Weißt du, was ich meine?

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Auf jeden Fall. Aber wie überzeust du den Hörer davon, dass gerade deine Musik organisch und persönlich ist?
Solange du Geist und Seele in die Dinge steckst, die du machst, ist das super. Äh, jetzt merke ich gerade, wie schwer deine Frage ist. Das hat mich noch nie jemand gefragt.

Ich kann verstehen, was du mit organischer Musik meinst, schließlich höre nicht nur ich, sondern auch andere Leute das in deiner Musik und haben sogar darüber geschrieben.
Ich bin einfach überzeugt davon, dass meine Musik organisch und persönlich ist, will damit aber keinswegs behaupten, dass manch anderer Künstler das nicht ist. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.

Dann lass uns doch mal über deine nächste Platte sprechen, schließlich ist Total Strife Forever bereits im Januar erschienen.
Ich arbeite an ganz vielen Sachen, das nächste Album ist auf dem Weg. 15 Tracks sind schon fertig, ich will noch 15 machen und dann sehen, was aufs Album kommt. Es ist total anders als Total Strife Forever. Viel mehr Pop. Ich wollte was anderes machen, ein ähnliches Album wie mein Debüt wäre nicht möglich gewesen. Das ist Vergangenheit. Das Beste für mich wäre jetzt, ein Vocal-Album zu machen. Ein eigenartiger Sound bleibt aber trotzdem dabei.

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