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Erste gewalttätige Gorilla-Gang in Aktion beobachtet

Boxen sich die Gang-Gorillas, die eigentlich nicht zu kollektiver Gewaltanwendung veranlagt sind, gerade auf eine neue Evolutionsstufe?

Sie hielten seine Arme und Beine fest am Boden und warteten, bis die anderen hinzu stießen. Am Ende war Inshuti von 26 Gorillas umzingelt, unfähig sich zu befreien oder sich auch nur zu bewegen. Das Leittier war das gewalttätigste von allen: Während die anderen sich darauf konzentierten, Inshutis Haare herauszureißen, ihn zu schlagen und zu treten, bohrte der Alpha-Gorilla seine Zähne in den Körper des wehrlosen Opfers, und schüttelte dabei seinen Kopf hin und her, als würde er seine Beute reißen. Nach drei bis vier Minuten endete das Schauspiel, die Prügelbande hörte wie auf Kommando auf und machte sich aus dem Staub. Inshuti verschwand ebenfalls im Dschungel, blutend, aber am Leben.

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Der Angriff auf Inshuti, beobachtet im Jahr 2004 im ruandischen Vulkan-Nationalpark, ist der erste dokumentierte Fall von Gruppengewalt bei Gorillas überhaupt—nun wurde er in einem wissenschaftlichen Paper im Nature-Magazin veröffentlicht. „Es war die überraschendste und beunruhigendste Sache, die ich jemals in meinen Jahren im Urwald gesehen habe", so die Primatologin Stacy Rosenbaum, eine der Studien-Autorinnen, gegenüber dem Tech-Magazin ArsTechnica.

Was also brachte die Meute dazu, auf Inshuti so lange einzudreschen, bis er „stark blutete", wie der Opferbericht später festhielt? Der Vorfall, der sich 2010 und 2013 wiederholte, stellt die Wissenschaftler vor ein Rätsel.

Tatsächlich sind Gorillas bei weitem keine Engel und können in Konflikten einen Artgenossen schon mal töten. Allerdings nur in Ausnahmefällen: Meistens beschränkt sich ihre Aggression darauf, laut zu schreien und sich wild auf die Brust zu trommeln. Und sollte es doch mal zu Handgreiflichkeiten zwischen Berggorillas kommen, bleibt es in der Regel bei einer Art High Noon im Urwald: Der Kampf findet zwischen zwei Männchen statt, der Rest der Gruppe bleibt außen vor.

Dazu weist der rätselhafte Vorfall im ruandischen Urwald nun einen entscheidenden Unterschied auf: Bisher hat noch kein Forscher beobachten können, dass sich Gorillas in einem Mob zusammenschließen, um einen kollektiven Angriff auf einen Außenseiter auszuführen.

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Anders verhält es sich beispielsweise bei Schimpansen, die—wie Menschen—dafür bekannt sind, sich mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe zu verabreden, um koordinierte Attacken auf Artgenossen durchzuführen. Die kollektive Aggression hat in evolutionsbiologischer Hinsicht den Vorzug, das individuelle Risiko bei einem Kampf zu sterben oder verletzt zu werden, signifikant zu verringern—in einer Population mit vielen männlichen Exemplaren eine Möglichkeit, sich seiner Konkurrenz zu entledigen.

Bei Berggorillas dagegen galt organisierte Gewalt gegen andere Männchen lange Zeit als nutzlos, was Primatenforscher an ihren spezifischen Lebensumständen fest machten: Entweder sie fristen, wie Inshuti, als einsame Silberrücken ihr Dasein und verfügen daher gar nicht über ausreichend Personal für eine Mob-Attacke. Oder sie haben sich in einem harem-ähnlichen Lebensumfeld eingerichtet, in dem ein Männchen mit mehreren Weibchen inklusive Nachwuchs zusammenlebt. Männliche Konkurrenten—oder mögliche Koalitionspartner für einen koordinierten Angriff—innerhalb des Verbandes kennt das Alphatier nicht, die Koalitionsfrage stellt sich daher in der Regel nicht.

In den 90er Jahren jedoch beobachteten die Primatologen des Karisoke Forschungszentrums in Ruanda einschneidende Veränderungen im Gruppenverhalten der Berggorilla: Sie sahen Gorilla-Verbände, die zahlenmäßig „dramatisch anwuchsen" und mehrere Männchen innerhalb eines Verbandes duldeten. Es sei kein Zufall, schließen Rosenbaum und ihre zwei Mitautorinnen nun in ihrem Paper, dass ungefähr zur selben Zeit die ersten Fälle organisierter Gorilla-Gewalt auftauchen: 2004, 2010 und 2013.

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Es gibt jedoch auch eine Reihe anderer Erklärungen dafür, dass die Gruppe sich kurzerhand zu einem gewalttätigen Mob formierte, vier Minuten auf Inshuti einhämmerte und dann ebenso schnell wieder damit aufhörte.

Inshuti hat die zweifelhafte Ehre, das Opfer der weltweit ersten dokumentierten Prügelattacke einer Gorilla-Gang zu sein. Bild: Nature.

Eine davon ist Inshuti selbst. „Was zur Hölle ist los mit Inshuti?" fragt Rosenbaum und verweist auf die Tatsache, dass bei zwei der drei jemals dokumentierten Fällen von Gorilla-Gruppengewalt Inshuti das Ziel des Angriffes war. Denn für die Rolle des armen Opfers taugt der einsame Silberrücken, der keinem Verband angehört, nicht unbedingt. Inshuti ist bei Gorillas wie bei Forschern für seine aggressiven Ausfälle berüchtigt. Obwohl er alleine unterwegs ist, nähert es sich immer wieder einer Gruppe an und provoziert sie. „Er ist ein bekanntes Tier im Urwald", sagt Rosenbaum, er gelte als besonders hartnäckig. Es könnte daher sein, dass die anderen Gorillas wissen, dass er immer wieder kommen wird, „wenn sie nicht etwas dagegen tun."

Noch grübeln die Forscher über die Frage, was die erneute Prügelattacke gegen Inshitu eigentlich bedeutet. Ob sie strukturelle Veränderungen im Verhalten der Tiere andeutet, ob die Spezies gerade Gruppengewalt als neue evolutionäre Waffe entdeckt, um sich interner Konkurrenten zu entledigen, oder ob Inshitu seine Artgenossen so dermaßen auf die Palme bringt, dass diese rein situativ auf alternative Mittel zurückgreifen.

Der Primatenforscher Thad Bartlett warnt vor allzu voreiligen Schlüssen aus den Ereignissen. Rosenbaums Studie sei zwar ein „wichtiger Beitrag zur Literatur", so Bartlett gegenüber ArsTechnica, jedoch sei es zu früh, um wissenschaftliche Erkenntnisse über das Phänomen kollektiver Tötung bei Gorillas abzuleiten. „Wir haben es bisher nur dreimal beobachtet," so Bartlett.

Denn es sei „durchaus möglich, dass es keine evolutionären Konsequenzen hat, dass der Tod einiger weniger einsamer Männchen nichts aus einer genetischen Perspektive bedeutet und dass das Verhalten so schnell verschwindet, wie es erschien." Für Inshuti und all' die anderen einsam umherstreifenden Silberrücken, die sich partout nicht verkneifen können ihre Artgenossen zu provozieren, wäre das zu hoffen.