Mexikanische Trüffel

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Mexikanische Trüffel

Der Pilz Ustilago maydis, der oft als mexikanischer Trüffel bezeichnet wird, führt ein Doppelleben als Krankheit und als Spezialität. Er wird aufgrund seines starken Umamigeschmacks hoch geschätzt und ist mittlerweile lukrativer, als Mais, den der Pilz...

Die starken Regenschauer in Mexiko-Stadt während der Regenzeit bringen mehr als nur nasse Schuhe und die Notwendigkeit, permanent einen Regenschirm dabei zu haben, mit sich. La temporada de lluvias, wie sie heißt, sorgt auf den Märkten der Stadt für eine Flut von verschiedenen, regional angebauten Pilzen—von Juni bis August. Unter den Pfifferlingen, clavitos, Austernpilzen und pambazos findet sich auch der huitlacoche, einer der am meisten geschätzten und geheimnisvollsten Pilze.

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Ustilago maydis, der oft als mexikanischer Trüffel oder als Maisbeulenbrand bezeichnet wird, führt ein Doppelleben als Krankheit und als Spezialität und ist ein anachronistischer Pilz, der natürlich auf Maisfeldern im ganzen Land vorkommt. Der Brand befällt ausschließlich Mais und infiziert die Pflanze, bevor die Kolben wachsen. Die aufkommenden Kerne verfärben sich und schwellen wie elephantiasisartige Tumore an.

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Der Großteil des in Mexiko-Stadt verkauften huitlacoche wird auf kleinen Farmen in den Randgebieten der Zersiedlung angebaut. In nahegelegenen Städten wie Tepotztlan und Toluca wird er geerntet und in den Central de Abasto mercado geliefert, ein gigantischer Großhandelsmarkt in Iztapalapa, der Japans Tsukiji-Fischmarkt wie ein kleiner Zwerg aussehen lässt. Von dort kaufen Händler den huitlacoche, um ihn bei kleineren Märkten und tianguis in der ganzen Stadt zu verkaufen. Die rußigen, blaugrauen Pilze, die vom Mais heruntergerissen und von den Händlern zu Hügeln getürmt werden, sehen—um es gelinde auszudrücken—nicht gerade sehr appetitlich aus.

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Beim tiangui am Dienstag in Condesa sind Julio Luciano und seine Mutter Victoria Fermin eine kleines Unikat. Alle Produkte, die sie verkaufen, haben sie auch selbst angebaut. Seit über 30 Jahren treten sie den Weg von Atlacomulco zum exakt selben Ort an und verkaufen Kürbisblüten, wilde Kräuter, Rohmilch in alten Sprite-Flaschen und huitlacoche, wunderschön marmoriert und derformiert.

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„Fakt ist," sagt Luciano, „huitlacoche ist eine Infektion und kommt deshalb einfach in den Maisfeldern vor. Es ist etwas Natürliches und es liegt nicht in unserer Hand, mehr davon zu produzieren." Er spricht die natürliche Spannung um huitlacoche in der Neuzeit an: Wie können wir etwas produzieren, das natürlich und von selbst auftritt?

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Die Azteken erkannten huitlacoche als genießbares Nahrungsmittel, aber die USA verfolgten einen ganz anderen Ansatz. Für die Bauern, die diese geschwülstartigen, schwarzen Auswüchse an ihren wertvollen Maiskolben fanden, war es verständlich, dass die USA Milliarden von Dollar im Laufe des 20. Jahrhunderts ausgab, um diese Krankheit auszulöschen. Erst in den letzten 20 Jahren gab es einen drastischen Umschwung zur kommerziellen Produktion der Pilze. Der Markt für Spezialitätenpilze, der noch ein relativ junges kommerzielles Unternehmen ist, wird immer größer, weil die Leute realisieren, dass diese Pilze—so unansprechend sie auch aussehen mögen—essbar sind. Aufgrund der steigenden mexikanischen und mexikanisch-amerikanischen Bevölkerung in den USA und der damit einhergehenden Nachfrage nach neuen saisonalen Produkten, steigt das Interesse an huitlacoche auf beiden Seiten der Grenze rasant an.

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„Ich weiß nicht genau, wie die größeren Produzenten es anstellen", sagt Luciano. „Vielleicht setzen sie die Sporen in der Luft frei oder so." Damit liegt er gar nicht so weit von der Realität entfernt. Die gewerblichen huitlacoche-Produzenten setzen eine Technik ein, bei der eine Injektion als eine Art künstlicher Verstärker wirkt oder die Pfanze abschabt, was die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches erhöht, dass sich die Pflanze mit Maisbeulenbrand infiziert. Die natürliche Produktion ohne künstliche Hilfe machen für Bauern wie Luciano „ungefähr ein bis zwei Prozent unseres gesamten Feldes" aus.

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Auch mit der künstlichen Impfung erreicht die Produktion keine konstanten Werte und Wissenschaftler, Akademiker und phytopathologische Forscher drängen darauf, einen Weg zu finden, den Ertrag zu erhöhen. Große landwirtschaftliche Konglomerate investieren in die Forschung; die Kellogg Foundation schloss sich kürzlich für einen Versuch, huitlacoche auf regionalen Farmen zu züchten, mit der University of Wisconsin-Madison zusammen. Interessanterweise haben manche Gegenden in den USA eine längere Geschichte mit huitlacoche. Der Pilz wurde vom Hidatsa-Volk in Missouri verzehrt und auf Grundstücken von Gainesville, Florida bis Upstate New York verkaufen kleine Biobauern, die die schwarzen, knolligen Auswüchse als seltenes Nahrungsmittel ansehen, an Köche und Restaurant im Umkreis. Nach einer deutlichen Trendwende im Bemühen der USA, die Krankheit auszulöschen, wird huitlacoche mittlerweile als lukrativeren Auswuchs als der Mais, den der Pilz zerstört, angesehen.

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Huitlacoche hat in den USA noch einen langen Weg vor sich (der Großteil des huitlacoche wird in den USA immer noch tiefgekühlt oder in Dosen verkauft), aber in Mexiko gibt es ihn an jeder Straßenecke. Die schwarzen, angebratenen Pilze sind eine beliebte Füllung bei tausenden von antojito-Ständen, puestos und fondas. Es ist ein erdiges Phänomen mit starkem Umamigeschmack und eine Erinnerung an die lange Geschichte, die in einem Mais-Quesadilla steckt. Ob der Pilz nun natürlich entsteht oder künstlich kultiviert wird, Mexiko lässt sich den huitlacoche mit seinem unvergleichbaren Geschmack schmecken, während die USA diesem uralten Essen noch weit hinterherhinkt.