Ein verlassener Wasserpark in Rotterdam ist jetzt eine Pilzfarm

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Ein verlassener Wasserpark in Rotterdam ist jetzt eine Pilzfarm

Zwei Männer haben einen traurigen, verlassenen Wasserpark in Rotterdam zu einer Austernpilzfarm gemacht und verwenden die alten feuchten, nasskalten Umkleidekabinen, um Säcke voller Kaffeesatz aufzuhängen, in denen die Pilze wachsen.

Du musst nur Tropicana, den Namen einer ehemaligen subtropischen Badelandschaft in der Mitte von Rotterdam, vor einem 80-Jahre-Kind erwähnen und die Person wird dir nostalgisch und mit leuchtenden Augen von den heftigen Wildwasserbahnen, den Wasserbomben und von Unterwasserzungenküssen erzählen. Der Wasserpark schloss im Jahr 2010 seine Tore und fällt seither dem Besitzer und dem Stadtrat zur Last. Die Einheimischen wundern sich seit Jahren, was mit dem verlassenen Ort passieren wird—wird der Wasserpark abgerissen und schicke Apartments gebaut? Oder wird daraus gar ein hässliches Unterhaltungszentrum mit einem Kino und ein paar beschissenen Kettenrestaurants?

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Ginge es nach Siemen Cox und Mark Slegers von RotterZwam, die Typen, die das Gebäude derzeit unter einem Anti-Squatting-Vertrag pachten, würde aus Tropicana etwas komplett anderes werden—ein Vorzeigeprojekt für Urban Farming und Selbstversorgung. Cox fuhr vor einem Jahr an dem verlassenen Pool vorbei und bemerkte, dass das Gebäude wie ein riesiges Treibhaus aussieht. Er hatte gerade The Blue Economy von Gunter Pauli gelesen und die Vorstellung, Kaffeeabfälle dazu zu verwenden, um Pilze zu züchten, fesselte ihn. Mit der Hilfe von Slegers bemühte er sich also darum, einen Pachtvertrag für das Gebäude zu bekommen und so ihrem grünen Traum von einer Pilzfarm in der Großstadt zu verwirklichen.

MUNCHIES besuchte das alte Wasserparadies und fragte das pilzverrückte Duo, was es denn genau mit seiner Farm auf sich hat.

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Alle Bilder vom Autor.

MUNCHIES: Wie einfach war es, RotterZwam hier aufzubauen? Siemen Cox: Eigentlich war es ganz einfach, weil außer uns keiner in einem leeren Schwimmbad arbeiten will. Wir machten den Besitzer über LinkedIn ausfindig und innerhalb einer Woche hatte wir einen Besichtigungstermin. Zwei Wochen später hielten wir die Schlüssel in den Händen.

Wieso wurde Tropicana ursprünglich geschlossen? Das ist eine lange Geschichte. Der vorherige Besitzer ging im Jahr 2010 nach einer schwierigen Zeit mit Berichten über schlechte Hygienestandards, eines tätlichen Übergriffs und anderen Vorfällen pleite. Die Nachbarn waren außerdem überhaupt nicht glücklich mit dieser Einrichtung.

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Oje. Wie genau verwendet ihr den Park, um Pilze zu züchten? Wir haben hier sehr viele Möglichkeiten. Die Leute stellen sich oft vor, dass wir den Swimmingpool für die Pilze verwenden, was nicht der Fall ist. Wir hoffen aber, dass aus dem Hauptraum mit dem Swimmingpool bald ein Treibhaus wird. Die Pilze mögen diffuses Licht und Feuchtigkeit, der Pool ist viel zu hell und trocken. Die Umkleideräume und der Keller sind aber perfekt dafür. Wir füllen Säcke mit Kaffeeabfällen, Pilzmycel, Bohnenschalen and Calcic [Kalziumsalz] und verwenden die alten Kleiderbügel des Tropicana, um sie aufzuhängen. Manchmal nennen die Leute die Pilzsäcke auch Würstchen, weil sie die Art, wie sie aufgehängt werden, an eine Metzgerei erinnert. Eine vegetarische Metzgerei natürlich.

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Wie funktioniert das mit dem Kaffee? Kaffeesatz ist ein universeller Boden für Pilze. Austernpilze wachsen sehr schnell darauf, sie sind ein bisschen aggressiv und unkrautartig und brauchen nur fünf Wochen zum Wachsen. Was bei uns Menschen im Magen passiert, macht das Wurzelsystem eines Pilzes nach außen—es scheidet Enzyme aus, um das Umfeld abzubauen. Es ist im Grunde wie ein Magen, der von innen nach außen gekehrt ist. Sie mögen die Kaffeeabfälle wirklich sehr, obwohl sie Kaffee nicht mögen würden.

Abfälle sind ein ziemlich wichtiges Thema für euch, stimmt's? Ja. Wir bilden hier eine komplett neue Wertschöpfungskette, die keine Abfälle produziert. Wir sammeln den Kaffeesatz von den Cafés in der Umgebung und bringen ihn mit unserem Transportfahrrad hierher—alles wird in einem Umkreis von drei Kilometern produziert und konsumiert. Unsere Würmer kompostieren die Reste und wir sehen uns derzeit auch verschiedene Arten an, wie man Enzyme entziehen kann, um Bioplastik herzustellen oder sie für Biofermentation zu verwenden. Derzeit produzieren wir für jedes Abfallprodukt fünf neue Produkte—Pilze, Kompost, Würmer, Wurmtee [im Prinzip flüssiger Wurmhumus] und Enzyme.

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Wurmtee, wow. Woher kommt die Leidenschaft für dieses Thema? Städte wir Rotterdam bringen nichts außer Müll und Pendlern hervor. Dieser Freizeitpark spiegelt das perfekt wider—wir bauen Dinge und wenn wir sie nicht mehr wollen, müssen andere den Dreck wegräumen. So funktioniert die Natur nicht. In der Natur gibt es keinen Müll. In diesem Gebäude kaufen wir fast nie etwas, weil alles, was wir brauchen, schon hier ist.

Wie viele Pilze produziert ihr? Die Menge von Austernpilzen, die wir produzieren, verändert sich sehr schnell. Wir produzieren ungefähr 20 kg in der Woche, möchten das aber bald auf 50 kg erhöhen. Zur Zeit ist die Nachfrage von regionalen Food Truck-Unternehmern, Restaurants und Bäckereien größer als unser Angebot. Obwohl wir auch viele Anfragen bekommen, beliefern wir keine Orte außerhalb der Stadt. Dabei möchten wir es auch belassen.

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RotterZwams Siemen Cox und Mark Slegers.

Klingt nach einem guten Geschäft. Es läuft ganz gut und wir helfen gerne Leuten in anderen Städten dasselbe mit ihrem Kaffeesatz zu tun. Wenn ich mir die Menge an Kaffee ansehe, die die Leute in Rotterdam trinken, könnte es allein in dieser Stadt wahrscheinlich zehn solcher Orte wie unseren geben. Deshalb bringen wir gegen Ende des Monats ein Eigenzucht-Kit heraus, weil wir nicht mitansehen können, wie viel Kaffeesatz in Haushalten verschwendet wird. Wir finden es sehr interessant, einen Nutzen daraus zu ziehen und so einen Beitrag zur Lösung des Müllproblems zu leisten, weil die Niederlande bis 2020 50 Prozent ihres Abfalls reduzieren möchte. 30 Prozent aller Haushaltsabfälle sind biologisch und wir arbeiten derzeit an einem neuen Modell, wie wir diese Abfälle nutzen können.

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Was würden wir hier auffinden, wenn wir in einem Jahr zurückkommen würden? Hm, das ist sehr schwer zu sagen. Die Pläne für diesen Park ändern sich alle eineinhalb Monate. Wir hoffen sehr, dass ein Investor kommt und erkennt, dass es der perfekte Ort für ein Vorzeigeprojekt für Urban Farming ist. Schau es dir nur mal an! Du könntest Algen züchten, aquaponische Systeme bauen, die Wände für Vertical Farming verwenden, Regenwasser im Keller reinigen und vieles mehr. Obwohl der Ort eine etwas fragwürdige Vergangenheit hat, mögen ihn die meisten Leute immer noch sehr. Jeden Tag scharen sich die Leute vor dem Eingang und schießen Fotos und jede Woche kriegen wir bestimmt fünf Emails mit Anfragen für Besuche. Ach ja, und dann gibt es auch immer wieder mal eine Gruppe von Touristen in Badekleidung.