FYI.

This story is over 5 years old.

Berlin

Zwei Berlinerinnen machen aus hässlichen Karotten Käsekuchen

Bauern und Lebensmittelhändler werfen eine unglaubliche Menge an Essen weg, nur weil es nicht irgendwelchen komischen Standards pflanzlicher Schönheit entspricht. Das Berliner Unternehmen Culinary Misfits verwandelt dieses hässliche Gemüse in...

Warum sehen eigentlich Gurken im Supermarkt immer aus wie eine Armee von identischen Soldaten? Warum haben eigentlich alle Erdbeeren die gleiche wunderschöne Herzform? Und warum hat ein Kohlrabi fast exakt die gleich Form wie ein Tennisball? Hast du schon mal eine dreibeinige Karotte oder eine blaue Kartoffel aus der Nähe gesehen?

Nein? Ich auch nicht.

Das ist aber nicht die Schuld von Mutter Natur, sondern von Bauern und Händlern, die die Vorstellung vertreten, dass Konsumenten Früchte und Gemüse nicht kaufen wollen, die nicht perfekt aussehen. Mehr als ein Drittel der gesamten Ernte von komplett gesundem Gemüse wird aussortiert, weil es irgendwelchen willkürlichen Schönheitsstandards nicht entspricht. Laut einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 landen 1,3 Milliarden Tonnen der jährlich produzierten Lebensmittel im Müll, während Millionen von Menschen auf der Welt Hunger leiden.

Anzeige

Lea Brumsack und Tanja Krakowski möchten dieser Mentalität Abhilfe schaffen. Die zwei jungen Frauen haben Culinary Misfits gegründet, eine Firma mit Sitz in Berlin, die leckere Mahlzeiten aus „hässlichem" Gemüse zubereitet und liefert. Ich traf Lea und Tanja in ihrem neu eröffneten Shop in Kreuzberg und sprach mit ihnen über ihren Ansatz gegen die Lebensmittelverschwendung.

DSC_0182

Culinary Misfits' neuer Shop in Berlin. Alle Fotos von Culinary Misfits.

MUNCHIES: Das Gemüse, das ihr verwendet, ist nicht schön genug für den Supermarkt und wäre normalerweise weggeschmissen worden. Ist eine krumme Karotte billiger als eine gerade? Lea Brumstack: Unsere Händler bieten uns sehr faire Preise für ihre Produkte. Nicht alles, was wir verwenden, wäre im Müll gelandet. Wir verwenden beispielsweise auch historische Sorten, die eine Delikatesse sind, weil sie nicht mehr im normalen Handel angeboten werden, wie die blaue Kartoffelsorte „Blauer Schwede". Zu „Misfits" gehören auch viele Außenseiter—beispielsweise Brot vom Vortag. Es ist gar nicht alt, sondern eigentlich perfekt zur Weiterverarbeitung.

Was können Konsumenten dafür tun, dass diese Sonderlinge nicht mehr als schlechtere Produkte angesehen werden? Tanja Krakowski: Du kannst deine Produkte direkt von Bauern beziehen, die normalerweise die gesamte Ernte weiterverkaufen und nicht nur den Teil, der den Schönheitsstandards der Supermärkte entspricht. In Geschäften von Whole Foods und auf regionalen Bauernmärkten solltest du außerdem auch den ein oder anderen Sonderling finden. Je öfter du als Konsument Gemüse kaufst, das nicht unbedingt schön aussieht, desto öfter sieht der Verkäufer, dass nicht alles genormt sein muss, um gekauft zu werden. Mit strategischem Konsum können wir schon viel bewirken. Wenn du dich immer nur für die „schönen" Produkte entscheidest, bemerkt der Händler, dass die nicht so schönen sich nicht gut verkaufen und beim nächsten Mal wird er sie davor schon aussortieren.

Anzeige
DSC_0176

Gemüse, das bei Culinary Misfits verwendet wird.

Was sollte sich eurer Meinung nach im Hinblick auf Lebensmittelverordnungen ändern? Tanja: Viele der EU-Normen wurden schon vor langer Zeit abgeschafft, aber die Standards existieren immer noch in unseren Köpfen. Das Denken der Großhändler, der Supermarktbetreiber und der Konsumenten muss sich verändern. Wir sind alle dazu aufgerufen umzudenken und den Sonderlingen eine Chance zu geben.

Lea: Wir brauchen definitiv härtere Gesetze im Hinblick auf Samen. Monsanto-Produkte sollten nicht erlaubt sein. Umso mehr die natürliche Biodiversität unterdrückt wird, umso weniger gesunde Diversität gibt es auf unserem Planeten.

DSC_0288

Ein zitroniger schwarzer Linsensalat mit Radieschen und Rosenkohl.

Vor eurem Restaurant hattet ihr einen Markstand, an dem ihr kulinarische Sonderlinge an Leute verkauft habt, die davor noch nie davon gehört hatten. Wie war die Reaktion?

Tanja: Jemand fragte uns mal, ob wir die dreibeinige Karotte so geschnitzt haben.

Lea: Viele der Leute sahen in den Sonderlingen irgendwelche Charaktere—menschenähnliche Figuren oder Tiere.

Tanja: Es war immer besonders schön, wenn Leute sich daran erinnert haben, wie Gemüse eigentlich wirklich aussieht. Viele von ihnen hatten früher in ihrer Kindheit am Land schon die ganze Ernte gesehen. Wenn wir immer nur das genormte Gemüse im Supermarkt sehen, vergessen wir, wie sie ursprünglich ausgesehen haben.

DSC_0962

Cheesecake mit Topping aus krummen Karotten.

Habt ihr ein Lieblingslebensmittel oder -essen, das euch komplett überrascht hat? Lea: Bunte Pommes! Die sind großartig! Pommes aus pinken, lila und gelben Kartoffeln.

Anzeige

Tanja: Ich finde Leas „Rote Bete-Curry" immer noch unglaublich lecker. Und unser Cheesecake ist auch großartig. Der Boden besteht aus zerbröselten Keksen, dann kommen Frischkäse und verschiedene Toppings darauf. Heute haben wir ein Topping aus krummen Karotten.

Wieso habt ihr eure Jobs als Produktdesigner an den Nagel gehängt und seid in die Essenswelt eingestiegen? Lea: Wie haben beide in der Vergangenheit mit vielen ökologischen Designaspekten gearbeitet und sind dabei auf das Thema nachhaltiges Essen und Regionalismus gestoßen. So haben wir zueinander gefunden und wollten gemeinsam ein Projekt angehen.

_HHH8170

Wie zeigt sich euer Designstudium in eurer derzeitigen Arbeit? Lea: Wir verbinden Dinge auf überraschende Art und Weise, wir arbeiten viel mit Dingen, die wir finden, statt mit High-Tech. Wir besinnen uns eher auf's Wesentliche.

Tanja: Wir waren immer schon mehr daran interessiert, was du im Rahmen einer kleinen Werkstätte machen kannst, im Vergleich zu großen Fabriken. Und das gilt auch fürs Kochen. Wir wenden unser Design-Wissen außerdem an, indem wir den „Culinary Misfits Store" nicht nur als Restaurant begreifen, sondern auch als kulinarischen Raum. Wir bieten Workshops und verschiedene Dinnerformate an, bei denen Design eine wichtige Rolle spielt.

DSC_0270 2

Ofenzeit, eine Casserole mit buntem Gemüse.

Wie laufen die Workshops ab? Lea: Wir lassen die Teilnehmer an verschiedenen Gerichten und Säften riechen und wir lassen sie probieren. Oft sind sie von den Zutaten überrascht. Das Hauptziel ist es, die Sinne wieder wahrzunehmen. Welchen Einfluss hat der Geruch und das Aussehen von Essen letztendlich auf den Geschmack? Wir bereiten Gerichte mit Zutaten zu, mit denen die Leute nicht gerechnet hätten: rote Bete in einem Dessert zum Beispiel. Dann sprechen wir über Reife und die Erntezeit der Gemüse und darüber, warum eine normale Karotte krumm und nicht gerade wächst. Wir vergleichen dabei immer konventionelles mit biologisch kultiviertem Essen.

DSC_0005

Rote Bete und Couscous-Salat mit wilden Kräutern und Blumen.

Eure Kreationen sehen wie kleine Kunstwerke aus. Kommen euch die Ideen zu diesen Gerichten spontan, wenn ihr Sonderlinge seht oder versucht ihr sie im Vorhinein vorzubereiten? Tanja: Natürlich müssen wir immer ein bisschen vorausplanen, aber wenn am Morgen die Lieferung kommt, sehen wir plötzlich Dinge im Gemüse, aus denen sich spontane Ideen für Kreationen entwickeln.

Lea: Manche Gerichte gibt es bei uns immer, damit sich unsere Kunden darauf verlassen können. Spontane Kreationen sind aber für beide Seiten interessant.

Gibt es Momente, in denen ihr einen Sonderling seht und denkt, „Uah, das esse ich nicht"? Lea: [lacht] Ja, vielleicht mit ein paar Pastinaken, die irgendwie eingewachsen sind. Aber die meisten Sonderlinge finden wir eher ansprechend, interessant und liebenswert.