FYI.

This story is over 5 years old.

Expo

Ich habe einen Tag in Massimo Botturas ZERO WASTE-Küche in Mailand gearbeitet

Ich arbeitete ehrenamtlich in Massimo Botturas Food for Soul Kitchen, um den Müll der Expo 2015 in Mahlzeiten für Bedürftige zu verwandeln.

Ich habe einen Tag in Massimo Botturas ZERO WASTE-Küche auf der EXPO gearbeitet.

Der Herd mit den acht Platten und der riesige Gastrosuppentopf leuchteten im Licht, das die gewölbte Kupferdecke abwarf, orange. Alles war hoch modern: Die Vakuumverpackmaschine, der Kombidämpfer, die Espressomaschine. Durch das Plexiglas fiel mein Blick auf die einfachen Holzwände und -tische des Speiseraums, die einen Kontrast zu den gelegentlichen zeitgenössischen objets d'art standen, die allgemeine Stimmung war gleichzeitig heilig und bescheiden.

Anzeige
copper kitchen

Ich arbeitete ehrenamtlich in Massimo Botturas Food for Soul Kitchen (aka Refettorio Ambrosiano), einem Theater mit Speisesaal aus den 1930ern, das von Italiens besten Designern renoviert wurde, um den Müll der Expo 2015 in Mahlzeiten für Bedürftige zu verwandeln—die Interpretations der italienischen Modehaupstadt einer Suppenküche. Wer irgendetwas über die zeitgenössische italienische Küche weiß, der kennt Massimo Bottura.

DENKEN: Früher wollte niemand bei mir essen gehen

Er ist der launische postmoderne Koch, der Italiens kulinarische Tradition zertrümmerte, um sie vom Aussterben zu retten. Bottura ist Chefkoch und Besitzer der Osteria Francescana in Modena und er hat die agrarindustrielle Vorstellung der Weltausstellung einer nachhaltigen Zukunft radikal in Frage gestellt, indem er die Lebensmittelabfälle jeden Tag in seiner Food for Soul Kitchen zu leckeren Mahlzeiten verwandelte. Die Idee dahinter: Köche aus der ganzen Welt kommen für ein oder zwei Tage und stellen sich der kreativen Herausforderung, ausschließlich aus dem vorhandenen Müll und ein paar Grundnahrungsmitteln etwas zu kochen.

USA pavillon

Bottura, Rebell wie eh und je, kam die Idee dieser Gemeinschaftscafeteria als Reaktion auf die unverhohlene Grünfärberei der Weltausstellung, dessen Motto dieses Jahr „Feeding the Planet, Energy for Life" lautet, während die Hauptsponsoren jedoch McDonald's und Coca-Cola sind. Massimos ursprüngliche Idee war, den „Müll" (z.B. die Schalen von Früchten, unerwünschte Fleischschnitte, usw.) von den Küchen der Pavillons einzusammeln, Obst und Gemüse im vertikalen Garten im amerikanischen Pavillon anzubauen und diese Produkte dann zu einfachen Mahlzeiten für Bedürftige zu verarbeiten. Am Ende war das jedoch aufgrund von strengen Hygienevorschriften nicht umsetzbar und Bottura und sein Team gingen stattdessen eine Partnerschaft mit COOP, einer großen Supermarktkette, ein, um Nahrungsmittel, die nahe am Ablaufdatum sind und nicht mehr verkauft werden dürfen, zu verwerten.

Anzeige
unloading

Die Lastwagen voller abgepackter und kaum minderwertiger Lebensmittel, die jeden Tag vor der Küche des Refettorio ihre Waren ausladen, sind ein Beleg für die Verschwendung unserer Gesellschaft und Makel in einem privilegierten und wohlgenährten Leben. Aber unser Snobismus gegenüber Essen und Sauberkeit und das Konzept von „Müll" sind durch und durch moderne Phänomene. „In der italienischen Küche gibt es zahlreiche Rezepte, die Geiz begünstigen", sagt Bottura. „Einige der ikonischsten italienischen Rezepte sind Teil der cucina povera, bei der es darum geht, nichts zu verschwenden. Diese Lektionen sind zeitlos, aber man vergisst sie schnell. Es ist unsere Aufgabe, eine Generation oder zwei zurückzublicken und uns die alltäglichen Praktiken unserer Eltern und Großeltern ansehen, um unseren Kindern den Wert von Essen zu zeigen."

dining hall

Und genau das passiert im Botturas Restaurant jeden Mittag. Um die 100 Schulkinder kommen zum Mittagessen ins Refettorio, wo sie eine Lektion zum Thema Lebensmittelabfälle sowie Drei-Gänge-Menüs bekommen. „Wir wollen Kindern zeigen, dass hässliche, überreife und alte Nahrungsmittel immer noch einen Zweck erfüllen können", sagte Cristina Reni, die Managerin des Speiseraums. Die Gäste sitzen an 12 Gemeinschaftstischen, die von einigen von Italiens besten Künstlern entworfen wurden. „Unsere Gäste sind keine Fremden, wir kennen sie beim Namen", sagt Bottura. „Wir hoffen, dass sie sich in dieser Umgebung mit Kunst und Design, Schönheit und Licht gut, umsorgt und als Teil einer größeren Gemeinschaft fühlen. Wir glauben wirklich in die Kraft von Schönheit und Kunst."

Anzeige

Diese ästhetische Transformation betrifft nicht nur das Essen sondern auch die Gäste selbst. An dem Tag, als ich mir die Schürze überwarf, hatte ich die Ehre, mit Yoshihiro Narisawa zu kochen (oder eher ihm zuzuschauen). Er ist Koch im Les Créations de Narisawa in Tokio, hat zwei Michelin-Sterne und ist bekannt dafür, die Biobewegung in Japan ins Leben gerufen zu haben. Zwischen Narisawa und Yoji Tokuyoshi, Botturas rechter Hand in der Osteria Francescana, war ich ein bisschen eingeschüchtert, um es gelinde auszudrücken. Nachdem wir die Parmesanrinden, Fruchtsäfte und Mangosteens und literweise Milch ausgeladen hatten, legten wir mit dem Kochen los. Auf der Tageskarte stand eine Art zuppa di latte mit Gemüse, Burger mit Pilz-Teriyaki-Sauce und eine Art Brotpudding als altem Brot in Schokoladenmilch eingelegt, darauf Fruchtsalat und Sorbet frisch aus der Eismaschine.

dessert

Ich half beim Dessert, indem ich die Kruste vom Brot schnitt und die Puddings backte, während das Sorbet in der Eismaschine war. Trotz ihres unglaublichen Rufs war der Umgang mit den Köchen sehr locker und auch ich entspannte mich, obwohl die Sprachbarriere unseren Small Talk ziemlich einschränkte. Jedes Mal, wenn ein Gang serviert wurde, hörten wir lautes Gelächter aus dem Speiseraum, während Cristina den MC spielte und die Kinder zu einem Lernspiel zum Thema Essen motivierte. Ich und ein anderer Freiwilliger nahmen immer wieder kleine Bissen vom Schokoladen-Brot-Pudding, wenn die Köche nicht hinschauten. Irgendwie fühlte es sich mehr an, als würden wir einer nonna in der Küche aushelfen als mit den Haien der gastronomischen Welt schwimmen.

Während wir warteten, bis die Kinder fertig gegessen hatten, erfreute ich mich an Geschichten über die kulinarischen Zaubertricks, mit denen Köche versuchten, die ungewöhnlichsten Nahrungsmittel von der Mülltonne zu retten, an Geschichten über die undenkbarsten Eiscremesorten, über Brühen, die mit wirklich allem außer dem Waschbecken gekocht wurden und darüber, wie Rene Redzepi Popcorn statt Pinienkernen verwendete, um Pesto zu machen. Ein Thema kam aber immer wieder vor: Die Küche war voll von altem Brot. Es gab so viel, dass die Köche nicht wussten, was damit anfangen, trotz ihrer unendlichen Methoden, es süß oder pikant zu verarbeiten. „Das Brot des Lebens" kam mir plötzlich in den Sinn und der Satz klammerte sich in meinem schuldbewussten Gewissen fest wie die Kakaoflecken auf meinen Schuhen. Was sagt das über uns als Gesellschaft aus, wenn wir dieses zeitlose Nahrungsmittel, das so symbolisch und grundlegend für das Leben selbst ist, verschwenden?

Pope

Dann bemerkte ich plötzlich Papst Franziskus, der mich anstarrte und seine Hand segnend ausstreckte (hoffe ich zumindest …). „Not by Bread Alone" stand auf dem Magnet auf der Küchentüre. Später fand ich heraus, dass der Pavillon des Vatikans diese Papstmagnete haufenweise verteilte, aber dass mein Blick genau bei diesem Gedanken darauf fiel, fühlte sich zu diesem Zeitpunkt besonders passend an. Die Food for Soul Kitchen beweist, dass Nachhaltigkeit viel mehr als nur ein leeres Wort auf einem Etikett sein kann. Es ist ein Lebensstil—ich bin mir sicher, der Papst würde zustimmen—und zwar einer, der sich recht einfach umsetzen lässt, wenn wir an die mannigfaltigen täglichen Handlungen denken, die in unserer Macht stehen.

Der Slogan über einem Fenster des Refettorio sagt alles: „NO MORE EXCUSES", keine Ausreden mehr. Besonders wenn Müll so lecker sein kann.