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Essbare kunst

Essen für die Götter— Saturnaliendinner

Die Saturnalien waren das beliebteste und tagelange Fest im alten Rom. Das Ganze begann mit einem Tieropfer zu Ehren des Gottes Saturn, der Gott des Acker- und Weinbaus, und einem großen Gelage. Wer nüchtern blieb, fiel auf.

Ein Abend, in dessen Erinnerung ich besonders gerne schwelge, fand im vorweihnachtlichen Wien in der Galerie Konzett statt, wo anstelle der inflationären Weihnachtsfeier, zur „Wiederauferstehung der Saturnalien" eingeladen wurde, was auch der dritte Part der „interdisziplinären Konzeptreihe" KKK Konzett Konzept Konzert war.

Die Saturnalien waren das beliebteste Fest im alten Rom und zogen sich vom 17.-23. Dezember. Das Ganze begann mit einem Tieropfer zu Ehren des Gottes Saturn, der Gott des Acker- und Weinbaus (sarturare = ernähren), und einem großen Gelage. Die Feierei und Ausgelassenheit zog sich über den gesamten Zeitraum hin, nicht umsonst wurde diese Periode auch madidi dies, also feuchte Tage, genannt, denn wer nüchtern auf der Straße angetroffen wurde, fiel auf. Alles in allem war es ein Fest der Gleichheit und Freiheit, Glücksspiel war erlaubt, man kostümierte sich und Sklaven durften ihren Herren die Meinung sagen, manchmal wurden sogar die Rollen getauscht.

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…nicht umsonst wurde diese Periode auch madidi dies, also feuchte Tage, genannt, denn wer nüchtern auf der Straße angetroffen wurde, fiel auf.

Der saturnalische Abend in der Galerie bestand aus drei Teilen: Ausstellung, Konzert und Ess-und Trinkgelage. Das Kulinarische wurde von dem Künstler Paul Renner kuratiert, ein Meister des Lukullischen und Dekadenten. Auf der ewigen Suche danach ein synästhetisches Gesamtkunstwerk zu schaffen, hat er schon ein illegales Restaurant in sein Piemonteser Atelier gebaut (illegal unter anderem deswegen, weil ausschließlich Zutaten verwendet wurden, welche vom Lebensmittelgesetz nicht als solche anerkannt werden), das Teatro Anatomico erbaut, ein temporäres, schädelförmiges Gebäude, in dem Musik, experimentelle Küche (Lachgas!!) und sogar Live-Sezierungen einen in eine Welt der Gesamterfahrung katapultieren sollten, und bereist mit seinem Hell Fire Touring Club, welche sich als „Schamanen der gastronomischen Apokalypse" bezeichnen, die Weltgeschichte um sich vor den „Altären der größten Décadents der Geschichte niederzuwerfen".

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Das Menü war ganz dem Thema nach, dem römischen Kochbuch des Apicius entnommen und eins zu eins nachgekocht. Angefangen hat das Ganze mit einer Rollgerstensuppe, dessen Aroma anstatt mit Suppengemüse mittels Schweinshaxe und Garum erzeugt wurde, diese Fischsauce ist im römischen Reich zum Würzen für so gut wie allem verwendet worden. Als zweiter Gang wurden Linsen mit Miesmuscheln und einem unglaublich guten Fleischbällchen serviert, dessen Zusammensetzung mir auf ewig ein Mysterium bleiben wird, mich aber sehr an Muset, jene friaulische Wurst aus Schweineschnauze, -haut und anderen Herrlichkeiten, erinnerte. Als Abschluss gab es eine in Honig eingelegte Dattel aus dem Schnapsglas, die ich leider verpasst habe, da ich dann doch zu beschäftigt war mit den großartigen Weinen der Jutta Ambrositsch, die zu jedem Gang gereicht wurden. Ausgehändigt wurde einem das Essen vom Künstler persönlich, der auch alles selbst zubereitet hatte.

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Bis jetzt hört sich das ja alles großartig an, aber nun zur schlechten Nachricht: leider wurde in Plastikschüsserln gereicht. Ganz, ganz kleinen Plastikschüsserln.

Vielleicht bin ich da zu streng aber römisch/saturnalisch war das wirklich nicht. Weder wurde man davon satt (und mehr als dreimal Nachschlag holen trau ich mich dann doch nicht), noch entsprach das der Ästhetik der Dekadenz, das das Saturnalische ja eigentlich verlangt, von der Vergrößerung des ökologischen Fußabdruckes der Galerie Konzett nach so einem Abend ganz zu schweigen. Zu Ihrer Verteidigung, die Küche dort war wirklich klein und ganz mit dem Wein gefüllt, aber trotzdem, tonnenweiße dreckiges Geschirr hätte mehr zum Thema des Abend gepasst.

Apropos Wein, selbst der wurde in Plastikbechern ausgeschenkt. Allerdings hat Saturn sich dann auch bald gerächt und sich die wohlverdienten Scherben geholt. Zuerst fiel eine Franz West Collage von der Wand(ohne menschlichem Zutun!) und kurz darauf ein vom Alkohol ziemlich bedienter Künstler durch eine Fensterscheibe. Der Galerist lachte nur.

Sehr spirituell ging es auch bei der Installation von Roland Adlassnig zu: eine Art Altar mit dazu gehöriger Betbank, eine Reihe selbstgebrannter Schnäpse des Künstlers, vor denen man erst auf die Knie gehen und zu einem Gott seiner Wahl beten musste, bevor man einen verabreicht bekam. Da haben sogar sonst hartgesottene Atheisten nachgegeben.

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Kulinarisch ging es weiter in der Ausstellung mit unter anderem Dieter Roths großartigem Sonnenuntergang (Salamischeibe zwischen zwei Papieren). Begleitet wurde der Abend von einem Musikprogramm mit Werken von Kurt Schwitter, Otto M. Zykan und Claudio Monteverdi, welches, je später die Stunde, immer wieder gestört wurde, denn der Wein und Adlassnigs Schnaps fingen an bei manchen Gästen ihre Wirkung zu zeigen. Gelage formierten sich, Freundschaften fürs Leben, die meistens nicht länger als eine Nacht lang halten, wurden geschlossen, und die Gravitation holte sich den Einen oder Anderen näher an die Brust. Das ging schon alles in die dionysische Richtung aber so ganz orgeastisch kann das dann halt doch nicht werden, zu formal bleibt es in so einer Galerie.

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Ein Brauch der Saturnalien war es einen Fürst zu wählen, der die ganze Feierei anzuführen hatte, der auch rex bibendi, König des Trinkens genannt wurde. Mein persönlicher rex bibendi an diesem Abend war Kurt Kalb, legendärer Galerist und Gastronom, nicht seines Trinkvermögens wegen, sondern weil er eine Weisheit hatte, die man nur durch lang erprobtes Genießen erreicht und Lachfalten, zum Reinlegen liebenswürdig.

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Als dieser dann zum Weiterziehen aufrief, folgten wir ihm brav in das nächstgelegene Juwel von einer Bar, der Bonbonnière. In diesem, nur ein paar Quadratmeter großen, plüschigen Kleinod fand er verwandte Geister und vom Barpiansten begleitet, sangen sie bis in die Morgendstunden, alles von Freddy Quinn bis Operetten, und als die letzten Takte von Wien, Wien nur du allein verklungen, hatte ich Tränen in den Augen. Ich glaube Saturn war schon zufrieden mit uns.