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Tim Ohlbrecht musste durch den Dreck gehen, um ans Gold zu kommen

Tim Ohlbrecht wurde als ewiges Talent abgeschrieben, doch nach einem Schlenker in der D-League und drei Spielen in der NBA zeigt er in Ulm endlich, was in ihm steckt.
Fotos: Imago

Es ist geschafft, endlich den dicken Goldpokal in den Händen. Eine Saison harte Arbeit, Kampf und Qual haben sich gelohnt—Meister, das beste Team in der Liga. Konfetti-Regen, Champagner-Dusche und das Publikum am Ausflippen. So muss sich der Himmel anfühlen. Was nach viel Glamour und Ruhm klingt, ist bei genauerem Hinsehen aber doch nicht so aufregend. Denn es ist nicht die Meisterzeremonie in der NBA, sondern lediglich im kleinen Ableger der Millionen-Liga—der NBA Development League. Es ist vielmehr einer der normalsten Momente in einer Liga, die wenig bis nichts für ihr Kapital, sprich Spieler tut, und dennoch maximalen Ertrag erwartet.

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Der deutsche Nationalspieler Tim Ohlbrecht war zwei Jahre Teil dieser Entwicklungsliga und holte 2013 mit den Rio Grande Valley Vipers sowie 2014 mit Fort Wayne Mad Ants den Titel. „„Die D-League ist verdammt hart. Menschlich, kämpferisch, das kannst du mit keiner anderen Liga vergleichen. Das war eine absolute Katastrophe, aber es hat mich weitergebracht", blickt der 26-Jährige auf die Zeit zurück.

Der Power Forward, aktuell bei Bundesligist ratiopharm Ulm unter Vertrag, galt im Teenageralter als der neue Nowitzki, konnte die hohen Erwartungen aber nie erfüllen. Schnell war die Rede vom gescheiterten Talent, das am Anfang seiner Karriere zu viel zu früh erreicht hat und das Profileben nicht ernst genug nimmt. „„Viele Menschen hatten während der Zeit in Bamberg sehr hohe Erwartungen an mich und haben gehofft, dass ich der nächste Nowitzki werde. Das hat eher nicht geklappt. Aber da war dieser Druck, dieses ‚Du musst performen'. Da hab ich irgendwann zugemacht."

Rückblickend sieht Ohlbrecht ein, dass sein Lebenswandel in Bamberg vielleicht nicht optimal war, doch als Youngster in einem Meisterteam, Teilnehmer an den olympischen Spielen in Peking 2008 und als Experte für Papierkugel-Basketball in einer TV-Sendung kann man schon mal die Bodenhaftung verlieren.

„„In Bamberg war ich sicherlich noch so etwas wie das Problemkind. Mir hat es damals auch an Vorbildern gefehlt. Nowitzki schön und gut, aber ein Video aus den USA hilft mir wenig. Und wenn dann die Amis im Team verrücktspielen, dann macht man einfach mit", versucht Ohlbrecht das Anfang vom Ende seines guten Rufs in Deutschland zu erklären.

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Aber statt die Gewohnheiten zu ändern, wechselt Ohlbrecht die Vereine, nur partywillige Amis gab und gibt es immer in einem Bundesliga-Team. Darauf ist Verlass wie auf Rainer Calmunds stündliches Hungergefühl.

Ohlbrechts medialer Tiefpunkt? Drei Pro-B Spiele gegen den Abstieg für die Juniors der FRAPORT Skyliners. Hohn und Spott aus der Presse folgen und für ihn ist klar, das war es mit Deutschland. „„Ich wollte raus aus den Medien, nur noch die Statistiken im Internet. Kein Gerede mehr, auch wenn ich natürlich verstehe, dass sich negative Sachen in der Presse immer besser verkaufen als positive", so Ohlbrecht. „„Ich wollte meinen Namen in der D-League reinwaschen, und es war ein Projekt, um in die NBA zu kommen." Doch in den USA wird Ohlbrecht schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Zwar ist die D-League der Ableger den NBA, doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf.

„„Du kommst an, die zeigen auf ein Zimmer, und dann hast du einen neuen Teamkollegen als Mitbewohner. Du hast kein Auto, es gibt eigentlich keine Fußgängerwege, und die nächste Einkaufsmöglichkeit ist zwei Meilen weg", schildert der BBL-All-Star seine Ankunft: „„Ich hatte beschlossen, durch den Dreck zu gehen, um ans Gold zu kommen."

Und der Dreck steckt sprichwörtlich überall. Denn die Rahmenbedingungen sind schlichtweg katastrophal, wenn es darum geht, Profis im bestmöglichen Zustand in den sportlichen Wettbewerb zu schicken.

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„„Auswärts wohnst du am Arsch der Welt im billigsten Hotel der Stadt. Der Witz daran ist, wir hatten 40 Dollar am Tag—für drei Mahlzeiten und das Taxi!", erinnert sich Ohlbrecht an die Probleme des Alltags: „„Für 40 Dollar bekommst du kein gutes Essen. Um Leistung zu bringen, ist eine gute Ernährung aber wichtig. Es ist schon ziemlich paradox. Du bekommst eigentlich nichts und musst sehr viel daraus machen. Das Konzept ist, wer es hier schafft, der packt es auch weiter oben."

Weiter oben bedeutet NBA—und Ohlbrecht hatte das Glück, in seinem ersten Jahr von den Houston Rockets den „„Call Up" zu bekommen. Plus Vertrag bis zum Saisonende. Wer weniger Glück oder Talent hat, der muss mit den D-League Verträgen zurechtkommen. Drei Modelle gibt es, 25.000 Dollar brutto im Jahr sind das Maximum. Im schlechtesten Fall springen 18.000 Dollar heraus.

„Reich wird damit niemand, aber für manche Spieler ist das immer noch besser als der Ursprungsort ihrer Reise. „Viele in der D-League hatten vorher einfach nichts. Das Recht des Stärkeren regiert", startet Ohlbrecht eine Beschreibung der Zustände, die eher nach Ghetto als nach Entwicklungsliga des Glamourprodukts NBA klingen. „„Es wird geklaut, abgezockt und eingeschüchtert. Prügeleien sind keine Seltenheit. Gerade als Weißer musste ich wirklich oft meinen Mann stehen. Auch über den Punkt hinaus, bis alle kapieren, mit dem ist nicht zu scherzen."

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Das absolute Highlight erlebte Ohlbrecht aber regelmäßig auf Auswärtstrips: „„Die Jungs gehen extra schnell zum Check-In-Schalter, um sich die Notausgang-Plätze zu sichern. Und das nur, um sie dir dann als Big Man für 50 Dollar zu verkaufen."

So viel zum Thema Teamchemie, die man wohl spätestens dann in der Pfeife rauchen kann. „Jeder gegen jeden und keiner für alle, das geht bis zu einem gewissen Grad natürlich gut, doch was viele in der D-League nicht kapieren, „die suchen nicht den, der Eins gegen Fünf zockt, sondern Spieler, die sich in eine Mannschaft integrieren können. Für 30 Punkte haben die NBA-Teams LeBron James und Co."

Und genau aus diesem Grund erhält Ohlbrecht mit rund 13 Punkten und acht Rebounds im Schnitt einen Vertrag in Houston. Am Ende reicht es immerhin zu drei NBA-Spielen, sein Debüt ausgerechnet gegen Dirk Nowitzki und die Dallas Mavericks. Fünf Minuten, drei Punkte und ein Assist—es sollte der Höhepunkt in der NBA-Karriere des Rheinländers bleiben.

Im darauffolgenden Jahr reicht es nicht für einen NBA-Kader, nicht mal bei den unterirdischen Philadelphia 76ers. Bei dieser Trümmertruppe erweist sich das im Rückblick aber fast als Segen.

„„Ich hatte mir ursprünglich gesagt, ich mach das nur einmal. Aber die Hoffnung auf einen Platz in Philadelphias Kader war groß. Ich wurde als Letzter gecuttet, und Ende Oktober sind alle Teams in Europa schon komplett."

Also nochmal die Ochsentour D-League, diesmal ohne NBA-Kohle aber dafür mit zwei Teams. Erst die Valley Vipers, dann die Mad Ants. Das Ergebnis blieb das gleiche: D-League-Champion 2014. Es ist die Empfehlung für Europa und letztlich die Gewissheit, es reicht nicht ganz für die NBA. Ein Fakt, mit dem Ohlbrecht seinen Frieden geschlossen hat.

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Die Sucht nach der NBA, wie es Ohlbrecht in seinem Blog einst selbst geschrieben hat, sie ist gestillt: „„Ich kann darauf verzichten. Ich muss da nicht mehr hin. Ich habe ganz unten in der D-League gespielt, in Deutschland und in der NBA. Ich habe jetzt sehr viel gesehen und bin da ganz realistisch. Wenn mein Talent nicht ausreicht, dann ist es eben so. Ich habe trotzdem eine gute Karriere, Spaß und einen guten Verein."

In seinem ersten Jahr in Ulm wird Ohlbrecht von den Fans in das All-Star-Team National gewählt, in der Liga überzeugt er mit 13,4 Punkten und 5,9 Rebounds und ist damit nach seinem Ulmer Kollegen Per Günther der zweitbeste deutsche Profi der BBL. Nur manchmal wundert er sich schon noch etwas, was so in der NBA herum stolpert.

„„Es gibt zig Leute, bei denen ich mir denke: Warum spielt der in der NBA? Das ist manchmal schon hart, aber ich kann es nicht ändern", gesteht Ohlbrecht, nur um sofort seine eigene Karriere in Relation zu setzen: „„Dass ich nicht mehr da bin, liegt sicher an mehreren Faktoren. Aber der wichtigste—und da bin ich Mann genug, es einzugestehen—war mein Können."

Und zieht man am Ende des D-League-Projekts ein nüchternes Fazit, dann fällt dieses aus Sicht Ohlbrechts eigentlich recht positiv aus. Name rein gewaschen? Check! In der NBA gespielt? Check! Nach dem Dreck das Gold gefunden? Zumindest ein paar kleine Nuggets.

Und mit 26 Jahren ist eine Basketballer-Karriere noch längst nicht vorbei.