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Alkoholsucht

Die Bundesliga und das totgeschwiegene Problem mit der Sucht

Man denkt, dass Fußball-Alkoholiker wie Uli Borowka ein Relikt der Vergangenheit sind. Falsch: Ob Spiel-, Alkohol- oder Medikamenten-Sucht – etliche Profis suchen Hilfe bei der Stiftung von Borowka. Wir sprachen mit ihm.
Foto: Imago/Sven Simon

Uli Borowka spielte fast zehn Jahre lang beim SV Werder Bremen. Er war Abräumer und Zuschauerliebling. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er erst durch das Buch „Volle Pulle: Mein Leben als Fußballprofi und Alkoholiker" bekannt. Darin beschreibt er seine schwere Alkoholsucht. In den Höhepunkten seiner Karriere trank er ein Kasten Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whiskey am Tag. Heute ist er trocken und hat eine Stiftung für Suchthilfe gegründet. Denn das Alkoholproblem ist im Profi-Fußball immer noch erschreckend präsent. Viele Spieler melden sich bei ihm und suchen verzweifelt Hilfe, um der Abhängigkeit zu entkommen. Wir haben mit ihm ein ehrliches Gespräch über das Suchtproblem im Profi-Fußball geführt.

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VICE Sports: Sie haben während Ihrer kompletten Profikarriere getrunken. Wann ging es bei Ihnen los mit dem Alkohol?
Uli Borowka: Das fing bei mir mit 15 Jahren an, da war ich in der Lehre und da trinkt man eben nach der Arbeit mal ein Bier. Parallel zur Lehre lief der Fußball, da sind wir dann natürlich auch abends in die Kneipe gegangen. Ich war 16 Jahre lang Fußballprofi und 16 Jahre lang starker Alkoholiker.

15 Jahre, das ist verdammt jung, um regelmäßig mit dem Trinken anzufangen.
Ja, das Problem bei mir war, dass ich nicht wie alle anderen nach zwei Gläsern aufhören konnte. Ich musste einfach immer mehr als alle Anderen trinken. Ich hatte es von Anfang an nicht im Griff. Außerdem fühlt man sich ausgeschlossen, wenn man nicht mittrinkt, vor allem wenn man noch so jung ist.

Wie viel haben Sie am Tag getrunken?
In meinen härtesten Zeiten habe ich eine Kiste Bier, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whiskey am Tag getrunken. Das war mein ganz normales Pensum.


Hast du ein ähnliches Suchtproblem? Auf der Website von Uli Borowkas Verein für Suchtprävention und Suchthilfe kannst du dir hier helfen lassen.


Hatten Sie nicht ständig einen Kater auf dem Platz?
Nein, irgendwie habe ich das ziemlich gut auf die Reihe gekriegt. Man kann mir vieles vorwerfen, aber meine Leistungen auf dem Platz litten nie unter meinem Alkoholkonsum. Der Einsatz, die Hingabe und Leistung für den Verein hatten bei mir höchste Priorität. Außerdem war ich auch noch 14 Jahre lang medikamentenabhängig.

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Erzählen Sie mal.
Ich habe mehrmals am Tag Schmerzmittel genommen. Bei dem Spiele-Pensum und den ganzen Trainingseinheiten damals ging es nicht anders. Die Schmerzmedikamente haben dann natürlich auch den Kater gemindert.

Ist Medikamentensucht im Profisport heute auch noch ein Thema?
Total. Die Jungs kämpfen verdammt viel mit Süchten. Die Alkoholsucht ist ein Problem, aber viel präsenter sind Spiel- und Medikamentensüchte beim Fußball. Studien beweisen, dass 19 Prozent der Profis suchtkrank sind. Rechnen Sie das mal auf die Mannschaften um, dann wissen Sie was bei uns los ist.

Borowka beim Sieg des DFB-Pokals 1994; Foto: Imago

Was war der ausschlaggebende Moment, als Sie dachten: „So geht es nicht weiter"?
So direkt gab es den gar nicht. Im Jahre 2000 bin ich zu Hause auf einer vollgekotzten Matratze aufgewacht. Bei jedem hätte es da Klick gemacht, bei mir nicht. Ich bin aufgestanden, habe noch ein paar Schnapsreste zusammengesucht, die ich getrunken habe und bin dann zum Kaffee trinken mit Christian Hofstätter gegangen. Erst zwei Jahre nach meinem Bundesliga-Ausstieg bin in die Klinik gegangen—viel zu spät. Und auch dort wollte ich mir Anfangs nicht richtig helfen lassen.

Wie ist denn Ihr Team damals mit der Situation umgegangen?
Die haben mich geschützt. Alle wussten von meiner Sucht, ich bin oft angetrunken und manchmal auch gar nicht zum Training erschienen. Mein damaliger Trainer holte mich dann ins Büro und bat mir verschiedene Ausreden für die Presse an. Danach durfte ich in die Sauna und bekam Massagen. Und am Samstag durfte ich dann wieder in der Startelf auf den Platz. Ich war Leistungsträger, Rehhagel und die Mannschaft waren abhängig von mir, deswegen konnte ich mir sehr viel rausnehmen.

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Schlug Ihnen auch Verachtung entgegen?
Ja. Günther Hermann, ein guter Freund von mir, kam einmal auf mich zu und wollte mir helfen. Er merkte, dass meine Sucht zu große Ausmaße annahm. Ich habe ihn nur angeschrien, er solle mich in Ruhe lassen. Am nächsten Tag beim Training trat ich einen meiner Freunde und Kollegen brutal zusammen. So hart war ich drauf. Natürlich kam da ein Haufen Verachtung auf mich zu. Richtig Stress hatte ich auch mit Willi Lemke, dem Manager von Werder Bremen.

Wieso?
Ich bin ein Typ, der immer seine Meinung sagt und sich niemals verbiegen lässt. Damit konnte er nicht umgehen. Ich wurde von Werder Bremen entlassen. Bei meinem letzten Spiel hat er dafür gesorgt, dass ich mich nicht mal von meinen Fans verabschieden konnte. Normalerweise passiert eine Spielerverabschiedung vor dem Spiel, doch bei mir sollte es zum ersten Mal nach den Spiel stattfinden. Der Lemke wollte das so, das war die Rache für meine stets ehrlichen und kritischen Worte und natürlich für die Probleme, die ich ihm durch meine Sucht gemacht habe. Nach Abpfiff war das Stadion halb leer und ich sollte einen Blumenstrauß bekommen. Das war zu viel, ich bin mit Tränen in den Augen und ohne ein Wort des Abschieds in Katakomben gegangen. Nach so vielen Jahren bei Werder Bremen tat das weh. Lemke ist ein wirklich schlechter Mensch, ich habe keinerlei Respekt für ihn.

Wie ist Ihre Sucht dann an die Öffentlichkeit gekommen?
Es gab einen Bericht von meinem Klinikaufenthalt nach meiner Karriere, irgendwie war es ein offenes Geheimnis. Doch niemanden hat es ernsthaft interessiert. Richtig aufmerksam wurden die Menschen erst durch mein Buch, in dem ich sehr offen über meine Sucht spreche.

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Wie waren die Reaktionen?
Die Reaktionen waren erstaunlich positiv. Viele Menschen haben mich kontaktiert und erzählt, dass sie viel Kraft durch mein ehrliches Geständnis gewinnen konnten. Normalerweise ist Alkoholkrankheit ja ein Tabuthema. Dieses Tabu habe ich gebrochen. Seit 2012 bin ich unterwegs, halte Vorträge in Kliniken, Universitäten, im Gefängnis oder in Firmen. Eigentlich überall. Die Leute wollen sich mit dem Thema beschäftigen. Doch die Reaktionen waren nicht nur positiv, seit der Veröffentlichung des Buches redet mein ehemaliger Trainer Otto Rehagel kein Wort mehr mit mir.

Warum?
Ich habe ihn in dem Buch als meinen Co-Abhängigen beschrieben. Er hat mich immer gedeckt, er war abhängig davon, dass ich trotz meiner Sucht dem Verein erhalten bleibe. Das heißt nicht, dass ich ihm einen Vorwurf mache. Überhaupt nicht. Doch er hat das sehr persönlich genommen. Obwohl ich mehrmals versuchte, mich bei ihm zu entschuldigen, will er nichts mehr von mir wissen.

Sie haben den Verein „Uli Borowka-Suchtprävention und Suchthilfe" gegründet. Wie kam es dazu?
Ich wollte den Menschen mit Suchtproblemen Hoffnung geben und vor allem eine Ansprechstation. Viele sind wahnsinnig glücklich über diese Möglichkeit. Doch im Großen und Ganzen stößt man auf taube Ohren. Ich habe damals versucht, beim DFB Unterstützung für den Verein zu bekommen. Niersbach und seine Leute haben mich behandelt wie den letzten dreckigen Alkoholiker.

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Wie haben Sie auf diese Abweisung reagiert?
Ach, weißt du, überhaupt nicht. Mit sowas gebe ich mich nicht mehr ab. Mittlerweile ist so gut wie bewiesen, dass der Niesbach richtig korrupten Dreck am stecken hat. Er ist der wohl der Letzte, der das Recht hat, mich so niederträchtig zu behandeln.

Wie viele Spieler melden sich wegen Suchtproblemen bei Ihnen?
Eindeutig zu viele. Ich will keine genaue Zahl nennen. Aber die Anzahl der Profispieler mit ernsthaften Suchtproblemen ist erschreckend. Ich würde mir aber eher ins Knie schießen, als einen Namen zu nennen. Das wissen die Jungs, die anrufen, auch. Würden sie Hilfe beim Verein suchen, wäre die Kündigung und Pressemitteilung zwei Minuten später auf dem Weg. So läuft das Spiel.

Wie helfen Sie den Jungs, die zu Ihnen kommen?
Wenn sie sich bei mir melden, sorge ich dafür, dass sie sofort professionelle Hilfe bekommen. Ich bin nicht der Fachmann, aber ich kann nachempfinden, was sie durchmachen. Außerdem tut es gut, mit einem Leidensgenossen zu reden. Ich weiß, wovon ich spreche. Der Schritt, zum Telefonhörer zu greifen, kostet unendlich viel Überwindung. Dann jemanden an der anderen Seite zu haben, der Verständnis zeigt, ist viel wert.

Was muss im Fußball anders laufen, um dieses Problem zu beseitigen?
Es wird in nächster Zeit nichts anders laufen. Die Menschen sind noch nicht so weit. Aber ein Anfang wäre eine geeignete Anlaufstelle für Betroffene, zum Beispiel eine Klink für suchtkranke Sportler. Es wird oft vergessen, dass es in erster Linie um Menschen geht, nicht um Fußball.

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Macht die immense Aufmerksamkeit und der Druck die Jungs kaputt?
Ja, auf jeden Fall. Der Druck wird immer größer, man steht dauerhaft im Fokus und alle warten auf einen dummen Fehler. In meinen Bremer Zeiten kam ein einziger Reporter zum Training. Wenn wir dann mal gefeiert haben, hat er mitgefeiert. So konnte er auch nichts Schlechtes schreiben. Heute ist das unvorstellbar.

Sollte man das Problem offensiver angehen?
Ja, denn es ist so offensichtlich mittlerweile. Max Kruse ist ein schönes Beispiel. Der Junge hat im Oktober 75.000 Euro in einem Taxi in Berlin vergessen. Außerdem hat er eine Wohnung in Las Vegas. Viel offensichtlicher kann man es nicht ausleben. Es ist fast schon ein Hilfeschrei. Doch niemanden interessiert es. Das Einzige was kommt, sind hetzerische Schlagzeilen.

Sie haben selber Kinder. Würden Sie ihnen erlauben, professionell Fußball zu spielen, obwohl der Druck so groß ist?
Ja, natürlich. Fußball ist etwas wunderschönes. Und in meinen 16 Jahren als Profi hatte ich auch unbezahlbare Momente. Nicht jeder muss abschmieren, ich würde meine Kinder garantiert unterstützen.

Doch trotzdem muss ich zum Abschluss sagen: Jeder Tag, an dem ich trocken bin, ist wertvoller als alle Titel meiner Karriere zusammen.

Folgt Katharina auf Twitter: @kathinkabang