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DIe Phonoharp macht aus Technics-Plattenspielern scratchbare Saiteninstrumente

Der DJ Walter Kitundu tritt mit seinem modifizierten Plattenspieler endgültig den Beweis an, dass Turntables echte Instrumente sind.
Die Nautilus Harp. Alle Fotos: Walter Kitundu | Mit freundlicher Genehmigung

Die Phonoharp ist ein feuchter Traum für DJs, die gerne ein Instrument in einer Band spielen möchten, ohne dabei von ihren Plattentellern abzulassen. Um sich diesen DJ-Wunsch zu verwirklichen hat der kalifornische Musiker und Instrumentenbauer Walter Kitundu inzwischen eine ganze Serie von „Phonoharps" gebaut—Saiteninstrumente, die aus modifizierten Plattenspielern bestehen.

Alles begann damit, dass der Künstler aus der Bay Area anfing, mit Essstäbchen auf seinen Turntables rumzutrommeln. Anstatt es dabei zu belassen, baute er 2001 die erste Phonoharp mit 26 Saiten. Darauf folgte eine ganze Reihe weiterer plattenspielerbasierter Instrumente. Einen der mittlerweile seltenen Technics 1200-Plattenspieler baute er ebenfalls zu einer Phonoharp um, während er anderen Turntables einen Wind- oder Feuerantrieb verpasste—letzterer braucht für den Betrieb 80 Kerzen. Und als ob das alles nicht schon genug wäre, baute er noch den Stylus Glove—einen Handschuh, an dessen Fingerspitzen sich je eine Plattennadel befindet und der auf diese Weise eine Platte an vier Stellen gleichzeitig scratchen kann.

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Scratch-Breaks waren es auch, die Kitundu 1990 zum HipHop brachten. Ich habe mich mit Kitundu über seine Liebe zur Musikgeschichte unterhalten und über den Einfluss von Kora-Musik aus Mali gesprochen:

THUMP: Wie kamst du auf die Idee, Plattenspieler mit Saiteninstrumenten zu kombinieren?

Walter Kitundu: Ich hatte schon ein paar Jahre als DJ aufgelegt und in Livebands gespielt. Ich wollte einfach die Möglichkeit haben, an Ort und Stelle neue Klänge zu erschaffen, während ich gleichzeitig die Aufnahmen verwende, die auf die Schallplatte gepresst sind. Das führte dazu, dass ich die Turntables wie Percussion-Instrumente spielte—indem ich die Lautstärke hochdrehte und mit Essstäbchen darauf rumtrommelte.

Dabei merkte ich, dass dadurch sowohl einzelne Töne als auch rhythmische Sounds verstärkt werden. Das hat mich dann dazu gebracht, eine Serie von Stylophonen zu bauen—das sind Saiteninstrumente, die direkt die Nadel eines Plattenspielers in Schwingungen versetzten. Das brachte mich dann wiederum auf die Idee, Plattenspieler mit eingebauten Saiten zu bauen—und so war die Phonoharp geboren.

Plattenspieler waren also dein erstes Instrument. Was bedeuten sie für dich? Wie sehr hat sich ihre Bedeutung im kollektiven Gedächtnis geändert?

Das ist eine schwierige Frage. Plattenspieler bedeuten für jeden etwas anderes. Für mich haben Plattenspieler eine starke musikgeschichtliche Konnotation. Damit meine ich einmal ihre historische Bedeutung als physikalisch-mechanischer Prozess, um Klänge zu kreieren—so wie beim Grammophon und dem Victrola. Und ich meine damit auch ihre Bedeutung in der jüngeren Geschichte—dadurch, dass Menschen sie benutzten, um neue Formen und re-kontextualisierte Sounds im HipHop zu kreieren.

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Wir schwer war es für dich, einen Technics 1200 auseinanderzunehmen und daraus ein neues Instrument zu bauen?

Es wäre wesentlich schlimmer gewesen, wäre ich nicht von den Instrumenten, die ich davor gebaut hatte, so sehr in einem Schaffensrausch versetzt gewesen. Ich hatte deswegen einfach dieses unbändige Verlangen in mir, weiterzumachen, und dieses Projekt fühlte sich wie der nächste logische Schritt an. Diesen Technics dann zu zerstören, um ein neues Instrument daraus zu bauen, war am Ende eine großartige Entscheidung. Die Produktion dieses Modells ist inzwischen eingestellt worden und sie werden langsam ziemlich rar, also würde ich es mir zweimal überlegen … Aber ich würde es wohl wieder tun.

Wie wichtig ist dir das Scratchen—sowohl in seiner geschichtlichen Bedeutung als auch als Klang?

Für mich war Scratchen immer das Markenzeichen von HipHop. Es war der Sound, der mich neugierig machte und mich zu neuer Musik brachte. Ich achtete immer besonders auf die Scratch-Breaks und nahm ganze MIxtapes damit auf.

DJs waren meine Navigation durch die Musikwelt, und sobald ich die Gelegenheit hatte, hinter den Vorhang zu schauen und herauszufinden, wie man das macht, ergriff ich sie auch. Das war 1991—meine offizielle Einführung in die Welt der Turntables.

Woher kommt deine Erfahrung mit Saiteninstrumenten? Ich habe gesehen, wie du Drumsticks benutzt? Aber korrigiere mich bitte, wenn ich irre.

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Meine Erfahrung mit Saiteninstrumenten kommt aus der gleichen Ecke, aus der auch meine Erfahrung mit Musik, Elektronik, Holzarbeiten und Auftritten herrührt: dem Verlangen, Dinge selber auszuprobieren. Ich hatte in all diesen Bereichen nie formalen Unterricht, aber über Erfahrung und Inspiration habe ich mir langsam eine eigene Sprache aufgebaut.

Der Kora-Meister Toumani Diabaté aus Mali war aus der Ferne ein großer Einfluss für mich. Ich hatte außerdem viel Unterstützung von Musikern und Instrumentenbauern wie Douglas Ewart, Carei Thomas, Meshell Ndegeocello, David Harrington und vielen mehr. Sie unterstützten mich und inspirierten mich zu meinem Weg und festigten meine Entscheidung, die Arbeit zu tun, die ich unbedingt machen wollte. Daraus sind einige wirklich wundervolle Dinge entstanden.

Wie funktionieren die ganzen unterschiedlichen Elemente miteinander—der Plattenspieler, die Saiten, das Scratchen und die Loops?

Wenn du eine Saite zupfst, wird die Vibration über die Platte geleitet und an die Nadel weitergegeben. An Stelle der Vibrationen, die von der Rotation der Schallplatte ausgelöst werden, wird das Vinyl als direktes physisches Medium verwendet, durch das der Klang geleitet wird. Das klappt super bei tiefen Frequenzen, aber weniger gut bei den hohen. Deswegen füge ich öfter noch ein Abnehmer-Mikrofon hinzu, um auch die hohen Töne einfangen zu können.

Die Saiten können gezupft, gedämpft, langgestrichen, mit einem Bogen gespielt oder geschlagen werden … und der Korpus selber kann als Percussion-Instrument verwendet werden. Dazu läuft dann der Plattenspieler, der neben seiner Fähigkeit, Platten abzuspielen, auch wie eine Trommel benutzt werden kann. Ich verwende die Loopstation, um direkt an Ort und Stelle Kompositionen zusammenzustellen, indem ich wie ein anderes Bandmitglied auf die einzelnen aufgenommenen Ebenen reagiere. Es hilft dir dabei, herauszufinden, zu was du wirklich fähig bist, und zeigt auch, was das Instrument alles kann.

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Wie ist das Design für die Technics 1200 Phonoharp entstanden? War das eine rein praktische Angelegenheit?

Das Design wurde von praktischen Dingen wie der Größe des Plattenspielers und der Länge meiner Arme bestimmt, aber Form und Stil waren eine rein ästhetische Entscheidung. Ich habe mir einfach ein Stück Holz geschnappt und dann eine Form gezeichnet, die sich gut anfühlte, und davon ausgehend habe ich dann weitergemacht.

Der Entwicklungsprozess ist sehr natürlich und improvisatorisch abgelaufen. Es spiegelt den Aufbau einer Komposition wieder. Als ich es fertig hatte, habe ich die Saiten frei gestimmt. Einfach so, wie sich jede einzelne Saite für mich am besten anhörte. Dann habe ich das Stimmgerät rausgeholt und die Noten aufgeschrieben. Erst zu diesem Zeitpunkt fing ich an zu verstehen, was für ein Instrument das werden würde—es war keineswegs von vornherein durchgeplant. Dann musste ich mich erst mal hinsetzen, um zu lernen, wie man es überhaupt spielt.

Die blaue Farbe gab es zu dem Zeitpunkt in einem Laden bei mir in der Gegend und da habe ich zugegriffen. Ich wünschte, ich hätte noch etwas von dem Farbton. Die Produktion wurde nämlich leider eingestellt.

Sie ist dem Phono Sarangi und der Nautilus Harp sehr ähnlich—und andererseits auch wieder sehr einzigartig. Hat dieses Instrument die Produktion der anderen, die du danach gemacht hast, beeinflusst?

Natürlich hat es das. Dieses Instrument und ich haben die ganze Welt bereist und es gibt so viele Dinge daran, die ich nicht geschafft habe, auf andere Instrumente zu übertragen. Es hat mir viel beigebracht und ich habe versucht diese Lehren auf andere Instrumente zu übertragen, die ich danach gebaut habe.

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Kitundu - Phonoharps from Kitundu on Vimeo.

2006 hast du sie verkauft. Warum wollte der Käufer es haben? Wirst du noch eins bauen? Könntest du sie in Serie geben?

Sie wurde bei einer Ausstellung in einer Galerie verkauft. Der Sammler war auf der Suche nach einem Kunstwerk, einer Skulptur, und sie sprach ihn eben an. Ich kann über seine Motivation für den Kauf nicht viel mehr sagen als das. Und vielleicht noch, dass er ein sehr netter Typ ist, der mir mehrfach zugesichert hat, dass ich jederzeit Zugang zu dem Instrument haben kann, wenn ich möchte.

Vom Instrumentenbau kannst du viel lernen

Ich habe noch mehrere in der Art gebaut, inklusive eins im letzten Jahr … aber das ist meins. Ich bin nicht allzu interessiert an einer Serienproduktion. Ich freue mich immer, wenn ich mich mit jemandem unterhalte, der sich etwas Ähnliches bauen möchte. Du kannst wirklich viel davon lernen, deine eigenen Instrumente zu bauen, und die Makel müssen auch nicht immer ausgebügelt werden, weil sie dem Ganzen seine Persönlichkeit geben.

Wie viel müsste man wohl heutzutage für so etwas auf den Tisch legen?

Ich habe keine Ahnung, was der Markt entscheiden würde. Wenn ich ein neues Instrument für einen Sammler oder Musiker bauen würde, dann wahrscheinlich zwischen 8.000 und 12.000 Dollar. Es kommt sehr auf die Art des Instruments, die Materialien, den Zeitaufwand und andere Faktoren an.

Woran arbeitest du jetzt gerade?

Ich habe gerade eine Ausstellung für kinetische Fotografie im Bolinas Museum [in Kalifornien] aufgebaut und eine kinetische, plattenspielerbasierte Skulptur eines Vogels im Oakland Museum. Ich freue mich schon darauf, nächstes Jahr etwas über die Kunstszene Chicagos zu lernen. Abgesehen davon bin ich viel unterwegs und schreibe. Außerdem habe ich noch diese Obsession mit Motorrädern und Fernreisen, der ich auch gerne mal nachkomme.

Dieser Artikel ist zuerst bei Noisey CA erschienen und auf deutsch bei Thump.