State of Insecurity: Warum wir über die neue German Angst berichten

Vor knapp einem Jahr haben wir in der Motherboard-Redaktion mit einer Recherche zum Aufstieg der privaten Sicherheitsindustrie begonnen. Während wir dazu in den vergangen Monaten mit ehemaligen Spezialkräften und Bundeswehrsoldaten sprachen, die sich als Privatdienstleister in den Krisenherden dieser Welt selbstständig machen, griffen in Deutschland gänzlich andere, allgemeinere Aufrüstungen um sich: Immer mehr Bürger besorgen sich einen Kleinen Waffenschein, Waffenläden verzeichnen Lieferengpässe und mancherorts organisieren sich Anwohner zu Bürgerwehren. Misstrauen in die Polizei, die Politik und den demokratischen Staat droht gesellschaftsfähig zu werden—und manche glauben, ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen zu müssen. Auch rhetorisch wird aufgerüstet: Besorgte Bürger greifen mit bösartiger Hetze gegen „Mainstream-Medien" und Flüchtlinge immer mehr Likes ab und in der politischen Debatte ist der Begriff vom Schießbefehl als ultimative Abschottungsmöglichkeit plötzlich kein Tabu mehr, während gleichzeitig die Anzahl gewalttätiger Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen ist.

All das mögen sehr verschiedene Entwicklungen sein und doch ist es unübersehbar, dass eine neuartige „German Angst" grassiert. Die Entwicklung der vergangenen Monate (Anschläge von Paris, Flüchtlingskrise, Köln) befördert eine Skepsis am Staat und dem Grundkonsens der Demokratie, die bis tief in die Mitte der Gesellschaft reicht—so weit, dass sie selbst in der eigenen Familie jegliche Gesprächsgrundlage zerstören kann, wie eine unserer Autorinnen selbst erfahren musste.

Das Gefühl der Unsicherheit, die Angst vor dem Fremden und das daraus resultierende erodierende Vertrauen in europäische Demokratien ist eine der größten Herausforderungen, mit der sich die Gesellschaft konfrontiert sieht—deshalb wollen wir uns auch aus der Perspektive von Motherboard mit dem Thema beschäftigen und herausfinden, was überhaupt gerade in Deutschland passiert.

Was macht die neue Realität des europäischen Terrorkrieges mit den Bürgern, wie treibt die Angst die Politik und die Menschen vor sich her und zu welch eigenartigen Blüten führt sie auf persönlicher und nationaler Ebene? Dabei geht es nicht immer nur um Wissenschaft und Technologie—aber sehr wohl darum, wie die Zukunft der Gesellschaft aussehen wird, in der wir leben wollen.

Im Rahmen unseres Themenspecials haben wir uns die Roboter-Projekte angeschaut, mit denen Frontex bald die EU-Außengrenzen dicht machen will, eine Dokumentation über ein Anti-Terror-Training für Zivilisten gedreht und mit mehreren Autoren zum Status Quo der Bürgerwehren recherchiert, die verzweifelt dagegen ankämpfen, mehr als nur virtuelle Maulhelden zu sein. Außerdem könnt ihr hier in den kommenden Tagen lesen, wie die German Rifle Association für amerikanische Zustände in Sachen liberalisiertem Waffenrecht kämpft, was am deutschen Miliärapparat eigentlich schon alles privatisiert ist und wie eine von Neurechten gekaperte deutsche Anonymous-Seite zur Wiege der Lügenpressen-Lüge wurde und mit ihrem Hass auf den deutschen Staat kräftig Likes abstaubt.

Wir veröffentlichen außerdem eine neue Correct!v-Recherche zum systematischen Mangel bei der Aufarbeitung von Polizeigewalt, die zeigt, welche großen systematischen Mängel der Polizei im Weg stehen, um verlorenes Vertrauen mit transparenter Aufklärung zurückzugewinnen. Auch andere VICE-Kanäle beteiligen sich mit Artikeln am Themenspecial: So hat Noisey einen Korrespondenten zum Deichkind-Konzert in die Pegida-Heimat Dresden geschickt, während die VICE-Redaktion einen Angst-Forscher dazu befragt, wie liberal denkende Menschen dazu kommen, sich Pfefferspray zuzulegen.

Das und vieles mehr findet ihr in den kommenden Tagen hier.

Wenn ihr uns Feedback zu „State of Insecurity" schicken, unsere These kommentieren, uns auf wichtige weitere Geschichten aufmerksam machen möchtet oder einen Vorschlag für weitere Themenspecials habt, so erreicht ihr die Redaktion per E-Mail unter Leserbriefe@Motherboard.tv.