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Wie es ist, einen anderen Menschen aus Notwehr zu töten

Das Töten eines anderen Menschen ist aus Gründen der Notwehr manchmal rechtmäßig—vor ethischen Dilemmas und psychischen Traumata schützt das jedoch nicht immer, wie Redditor nun massenhaft in einem Thread beichten.
Dieser Mann wurde tatsächlich rechtskräftig als Mörder verurteilt. Notwehr konnte er nicht geltend machen und das Verfahren auch nicht wieder eröffnen. Bild: Imago.

Reddit hat sich in der Vergangenheit regelmäßig als virtueller Ort hervorgetan, der einen geeigneten Rahmen bietet, Tabus, Traumata und Kontroversen frei und ungezwungen zu diskutieren. In einem äußerst lebhaften Thread beschäftigen sich Redditor aktuell mit einem Thema, dessen Fragestellung aus einem eher seltenen und in der Regel eher selten öffentlich diskutierten Sachverhalt hervorgeht: Wie ist es, wenn man einen Menschen rechtmäßig, d.h. ohne gegen geltende Gesetze zu verstoßen, tötet?

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Innerhalb von drei Tagen gab es bereits über 13.000 Kommentare in dem als „Serious" markierten Thread, in dem Witze, Wortspiele und anderer Nonsens genauso rigoros gelöscht werden wie Posts, die persönliche Daten über die Nutzer verraten. Die Beiträge, in denen Menschen über den Moment berichten, in dem sie einem anderen Menschen das Leben nahmen, sind dabei sehr unterschiedlicher Natur.

Die meisten der Berichtenden wurden im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal von anderen Menschen gewaltsam attackiert und kamen in die Situation, sich selbst verteidigen zu müssen. Um Leib und Leben zu schützen, machten sie vom Recht der Notwehr Gebrauch. In einigen Fällen wurden sie von Personen angegriffen, die auf irgendeine Art und Weise mit ihnen in Verbindung stehen, wie zum Beispiel dem Ex-Freund der Partnerin, meist jedoch von völlig unbekannten Menschen.

Es verfolgt mich immer noch in meinen Träumen, drei, vier, fünf Nächte pro Woche.

Mal waren sie während ihres Jobs als Türsteher oder Sicherheitswachmann im Einsatz, mal wurden sie zuhause von Einbrechern überrascht oder auf offener Straße aus dem Nichts angegangen, zumeist mit kleineren Waffen wie Messern. In einigen Fällen benutzten die Attackierten die Waffe des Angreifers gegen diesen selbst und fügten ihm so tödliche Verletzungen zu. In anderen Fällen hatten die Opfer der tätlichen Übergriffe selbst eine Schusswaffe dabei und machten auch von dieser Gebrauch—die überwiegende Mehrheit der geschilderten Fälle spielte sich in den USA ab.

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Neben Menschen, die von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Notwehr berichten, melden sich in dem von Redditor arffffleggy gestarteten Thread mit dem Titel „Redditors who have lawfully killed someone, what's your story?" vor allem auch Personen zu Wort, die in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt wurden—sowohl ohne als auch mit eigener Schuld. Eine weitere Gruppe an Beitragenden besteht aus ehemaligen US-Soldaten, die davon berichten, wie sie während ihres Irak-Einsatzes Menschen getötet haben.

Während das Alter der Beteiligten genauso wie die Begleitumstände der Vorfälle stark variieren, gibt es einige zentrale Aspekte, die sich mehr oder weniger durch alle Beiträge ziehen.

Zunächst einmal scheint jeder, der sich auf Reddit offenbart hat, durch seinen Post eine gewisse Art der Erleichterung verspürt zu haben.

So erklärt zum Beispiel Nutzer seedy_H, ein Irak-Veteran, der über den Tag berichtet, an dem er an einem Checkpoint einen Granatenwerfer auf ein sich näherndes Auto abfeuerte: „Ich fühle mich seltsam, dass ich etwas zu dem Thema gesagt habe. Bisher habe ich nicht mal mit Menschen, die mir nahestehen, darüber gesprochen. Es beschäftigt mich nicht mehr, aber trotzdem war das hier irgendwie therapeutisch."

Im Gegensatz zu seedy_H, der seine Tat psychisch verarbeitet zu haben scheint, leiden die meisten Personen auch noch Jahre später unter posttraumatischen Belastungsstörungen und werden von Alpträumen geplagt—auch wenn die Geschichten, die sie erzählen, an der Notwendigkeit, sich selbst gewaltsam verteidigen zu müssen, keinerlei Zweifel lassen.

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So berichtet Nutzer Story-throwaway —der Name deutet auf einen Wegwerf-Account hin, der nur einmalig zum Posten dieser spezifischen Geschichte verwendet wird (eine gängige Methode bei brisanten Themen, die mit größtmöglicher Anonymität diskutiert werden)—über einen Vorfall, bei dem er sich als 17-Jähriger gemeinsam mit seiner damals 12-Jährigen Schwester im Schrank vor einem Einbrecher versteckte, der sich später als geistig Verwirrter mit Schlachtermesser entpuppt hatte und dem er schließlich mit einem Baseball-Schläger das Gesicht zertrümmerte, als er vor dem Schrank stand:

„Er fällt zu Boden, gibt ein krankes stöhnendes Geräusch von sich und rollt über den Boden. 17 Jahre alt und voller Adrenalin, schlage ich ihm noch einmal auf den Kopf, während er am Boden liegt. Er hört auf zu stöhnen und sich zu bewegen. Viel Blut. […| Das Ganze hat mich sehr schlimm durcheinandergebracht. Ich schlief immer mit Licht an, bis ich 23 war. Ich verlor alle meine Freunde und ging zwölf Jahre lang zu einem Therapeuten."

„Ich kann euch sagen, dass alles unglaublich schnell abläuft. Es fühlt sich an wie in Zeitlupe, aber später realisiert man, dass nur 30 Sekunden vergangen sind."

Auch Fisheswithfeet, ein weiterer Irak-Veteran, erklärt zu einem Vorfall, den er nicht näher erläutern möchte: „Es ist zehn Jahre her, dass ich zum ersten Mal jemandem das Leben genommen habe. Es verfolgt mich immer noch in meinen Träumen, drei, vier, fünf Nächte pro Woche. Danke für eure überwiegend positiven Antworten. Ich spreche über das, was passiert ist, so gut wie nie, aber es fiel mir leichter in einer Gruppe von 'Fremden'."

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Ein weitere Nutzer ergänzt: „Ich kenne keine einzige lebendige Personen, die jemand im Irak getötet hat und nicht jede Nacht das Gesicht seines Opfers sieht, bevor sie ins Bett geht; wenn sie überhaupt schlafen kann."

Übereinstimmend berichten die Redditor außerdem, wie schnell sich derartige Szenen abspielen, obwohl man den Moment selbst in quälender Langsamkeit erlebt:

„Ich kann euch sagen, dass dieser Scheiß unglaublich schnell abläuft. Es fühlt sich an wie in Zeitlupe, aber später realisiert man, dass nur 30 Sekunden vergangen sind", so der Nutzer QuestionYourBeliefs.

„Ich glaube nicht, dass die Menschen verstehen, wie anfällig sie gegenüber solch zufälligen Ereignissen im Leben sind", erklärt ein weiterer User, dessen Post mittlerweile bereits wieder gelöscht wurde.

Auffällig im gesamten Thread ist, dass viele Redditor sich anscheinend ihre psychischen Belastungen schnell von der Seele schreiben, um den Post und teilweise auch den extra angelegten Account anschließend wieder zu löschen. Möglicherweise ist die Angst, den Schutz der Anonymität zu verlieren doch zu groß, möglicherweise auch die Furcht, doch noch einmal auf den Radar der Behörden zu geraten. In der Tat waren viele der Berichtenden zunächst verhaftet und mehrere Stunden befragt worden, bevor sie wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Auf Reddit haben fast alle, die sich offenbart haben, von anderen Nutzer positive Kommentare bekommen. Die Aussage von narrator_of_valhalla, der als Inhaber eines Motorölshops von einem Junkie auf Crystal Meth mit einem Messer überfallen worden war und diesen erschossen hatte, spiegelt die allgemeine Zustimmung wieder, die der Akt der Notwehr in dem Reddit-Thread erfährt. Er hatte geschrieben: „Ich bin aufrichtig der Überzeugung, dass jemand, der das Leben eines anderen bedroht, sein eigenes verwirkt hat." Ob Behörden und Strafverfolger, das in allen der genannten Fällen ähnlich bewerten, darüber lässt sich nur spekulieren.

Die gesamten Geschichten der Redditor könnt ihr hier nachlesen.