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Who the fuck is Snowden? Die Regierung will die Vorratsdatenspeicherung

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Felix Freiling, der als IT-Gutachter des Karlsruher Verfassungsgerichts den ersten Versuch der Regierung, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, zum Kippen brachte.

Trotz Snowdens Enthüllungen beraten CDU und SPD darüber, die Verbindungsdaten von allen in Deutschland lebenden Menschen zu speichern. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Felix Freiling, der als IT-Gutachter des Karlsruher Verfassungsgerichts den ersten Versuch der Regierung, die Vorratsdatenspeicherung 2011 einzuführen, zum Kippen brachte.

Als ob es PRISM, TEMPORA, Handygate und Snowden nie gegeben hätte, beraten Union und SPD über die Wiedereinführung von Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten von Telefonen und Computern. 2010 war die umstrittene Vorratsdatenspeicherung, die Verbindungsdaten ohne konkreten Anlass für bis zu zwei Jahren speichern sollte, vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gekippt worden.
Seitdem haben Union und FDP versucht, sich auf ein neues, mit dem Verfassungsrecht in Einklang zu bringendes Gesetz zu einigen. Ausgerechnet die FDP stellte sich quer und blockierte eine neue Gesetzesinitiative, obwohl sich sogar die damals noch oppositionelle SPD feilbot, die Union darin zu unterstützen.  
Nun stellen Union und SPD knapp 80 Prozent des Parlaments. Beide Parteien scheinen sich in den Koalitionsverhandlungen einig zu sein, die Vorratsdatenspeicherung mit einer neuen Gesetzesinitiative einzuführen.
Professor Dr. Felix Freiling verfasste vor drei Jahren das Gutachten, das das Karlsruher Verfassungsgericht dazu brachte, das umstrittene Gesetz als nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen anzusehen und somit zu kippen.

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VICE: Sie warnten bereits vor zwei Jahren vor den gesellschaftlichen Folgen der Internetüberwachung. Waren Sie überrascht, als ans Licht kam, wie lange und wie weit wir bereits ausgespäht wurden?
Professor Dr. Felix Freiling: Nein, das war nicht besonders überraschend. Man muss unterscheiden zwischen der Überwachung durch die Polizei, also durch die Strafverfolgungsbehörden und der Überwachung durch die Nachrichtendienste. Das sind zwei Sachen, die man auseinander halten muss. Und im Bereich der Vorratsdatenspeicherung ging es ja ausschließlich um Datenspeicherung für den Zweck der Strafverfolgung. Die Nachrichtendienste spielen ein Spiel mit anderen Regeln. Die sind zwar auch durch Gesetze gebunden, aber dort gibt es viel weniger Transparenz als im normalen Strafverfahren. Das Überraschende ist nur, dass es jetzt mal handfeste Belege gibt, dass das wirklich passiert.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat 2010 ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt, da das Gesetz nicht verfassungskonform sei. Was waren die Gründe dafür?
Das sind rechtliche Gründe gewesen, die dazu geführt haben, dass das Gesetz für nichtig erklärt wurde. Das lag im Wesentlichen an juristischen Begriffen. Im Prinzip wurde nicht klar genug formuliert, was in dem Gesetz drin steht. Was das Verfassungsgericht nicht gemacht hat, obwohl viele Leute darauf gehofft haben, ist, dass das sie prinzipiell gesagt haben, dass eine Vorratsdatenspeicherung gegen die Verfassung verstößt.

Union und SPD wollen nun die massenhafte, anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten wieder auf den Tisch bringen. Was halten Sie davon?
Also im Generellen ist die Vorratsspeicherung eine Umsetzung einer EU-Richtlinie, die schon längere Zeit gilt und gegen die auch ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Das haben verschiedene europäische Staaten damals angestrengt, die auch lokal ihre Probleme hatten mit der Vorratsdatenspeicherung. Ich denke, das ist auch ernst zu nehmen. Die Tatsache, dass über sechs Monate sehr umfangreich Kommunikationsdaten aufgehoben werden, ist ein sehr tiefer Eingriff in die Privatsphäre, und es ist nicht klar, was für einen Vorteil die Strafverfolgungsbehörden davon hätten. Was ich gut und wichtig finde, ist, dass man dynamische IP-Adressen noch eine Zeit lang auflösen kann, auch die Polizei, aber der Umfang der rechtlichen Vorratsdatenspeicherung, quasi alles wie beispielsweise E-Mails, Telefonate, SMS, sämtliche Onlinedienste, finde ich überzogen und eigentlich unnötig.

Gibt es in anderen europäischen Staaten aufgrund der dort bereits eingeführten Vorratsdatenspeicherung Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen?
Da ist mir nichts bekannt. Man muss auch aufpassen was Erfolge sind. Es wird immer kolportiert, dass durch die NSA Überwachung sieben Anschläge auf deutschem Boden verhindert worden seien. Das Problem ist, dass man das nicht überprüfen kann. Das liegt in der Natur der Sache. Deswegen ist es schwierig wenn irgendwelche Staaten, irgendwelche Erfolgsmeldungen abgeben. Sinnvoll sind nur wissenschaftliche Untersuchungen, also unabhängige Untersuchungen, die die Daten auf den Tisch legen, nachdem die Untersuchung gelaufen ist und die auch repräsentativ und unabhängig nachprüfbar sind. Die einzige Untersuchung, die es gab, war die Untersuchung vom Max-Brandt-Institut in Freiburg vor ca. 2-3 Jahren, die die Wirksamkeit der Verkehrsdatenspeicherung auf die Strafverfolgungserfolge gemessen haben und sind zum Ergebnis gekommen, dass kein Zusammenhang nachweisbar ist.

Union und SPD stellen 80 % des Parlaments, wie sehen Sie die Chancen, dass dieses Mal die Vorratsdatenspeicherung durchkommt?
Ich habe da überhaupt keine Zweifel, dass die Vorratsdatenspeicherung durch die große Koalition verabschiedet wird. So leid mir das tut.

Die Angst vor dem gläsernen Bürger ist ja nun hinfällig, da das ja bereits Realität zu sein scheint. Was ist Ihre Prognose für die Zukunft? Welche Gefahren sehen Sie?
Da gibt es eine interessante Theorie. Zu Beginn der industriellen Revolution war man ja auch sehr zukunftsgläubig und hat gedacht, durch die Einführung von Maschinen und die Industrialisierung kommt irgendwann das Paradies. Heute weiß man, dass das nicht so ist. Heute gibt es Klimaerwärmung, Umweltprobleme usw., und es ist wahnsinnig teuer, die Entwicklung aufzuhalten oder umzukehren. Wenn man etwas im Übermaß benutzt, muss man auch irgendwann negative Konsequenzen befürchten. Eine ähnliche Analogie gibt es jetzt auch im IT-Bereich. Die Durchdringung der Gesellschaft mit IT wurde auch lange Zeit als Heilsbringer betrachtet. Alles wurde effizienter und man hat hohe Produktivitätszuwächse gehabt, aber jetzt langsam sieht man die negativen Folgen davon. Sicherheit und Privatsphäre sind wichtige Aspekte, aber auch die Fragilität der Infrastruktur, also die Anfälligkeit von technischen Infrastrukturen gegen Störungen. Vielleicht wird man dann in 20 Jahren sehen, dass es auch so was wie einen digitalen Treibhauseffekt gibt, was auch immer das sein wird. Aber heute ist schon klar, dass es sehr teuer werden wird, die IT aus der Gesellschaft wieder etwas zurückzudrängen.