Ein Schweizer Bot im Darknet-Shopping-Wahn (und keiner weiß, wer haftbar ist)

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Ein Schweizer Bot im Darknet-Shopping-Wahn (und keiner weiß, wer haftbar ist)

Die Künstler der !Mediengruppe Bitnik haben einen Bot programmiert, der in den vergangenen drei Monaten wöchentlich 100 Dollar in Bitcoins im Darknet verprasst hat, und einen ansehnlichen Berg an Deepweb-Waren angehäuft hat.

Titelfoto: Zehn Ecstasy-Pillen der Sorte Yellow Twitter, 120 Milligramm MDMA in bruchsicherer Verpackung, für 48 USD. Photo: !Mediengruppe Bitnik

Update (16.1.): Inzwischen wurde bekannt, dass die Schweizer Polizei alle Einkäufe des Bots beschlagnahmt hat, ohne dass abschließend klar wäre, wem die Waren eigentlich gehören.

Ein automatisierter Bot durfte in den vergangenen Monaten den Traum aller Grauzonen-affinen Onlineshopper in aller halblegalen Dekadenz ausleben: Der Software-Shopper konnte jede Woche ein Budget von 100 Dollar in Form von Bitcoins im Darknet verprassen. Die !Mediengruppe Bitnik hat den Random Darknet Shopper für die Ausstellung „The Darknet. From Memes To Onionland" in der Kunst Halle St. Gallen programmiert und sorgte so bis zur Finissage am Sonntag für einen stetigen Fluss an Überraschungspaketen, die aus dem Tor-Netz direkt in den Ausstellungsraum geliefert wurden.

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Der Bot kam pflichtbewusst seiner Aufgabe nach und shoppte, was seinen wahllosen Algorithmen unterkam. Natürlich beließ er es dabei nicht bei moldawischen Zigaretten, Feuerwehr-Generalschlüsseln oder Herr der Ringe-Kollektionen. Im Darknet können dem unschuldigen Bot schließlich leicht mal auch ein Auftragskiller (zum Glück nicht passiert) oder ein paar Drogen in den virtuellen Einfaufswagen rutschen.

Update: Schweizer Behörden haben den Bot—und die dahinterstehenden Künstler endgültig freigesprochen

Doch da der Random Darknet Shopper weder volljährig ist, noch Eltern hat und zu guter Letzt nicht einmal eine menschliche Existenz vorweisen kann, stellt sich die unvermeidbare und zunehmend aktueller werdende Frage über die Verantwortlichkeit von Robotern. Wer hat denn jetzt eigentlich die Bestellung aufgegeben? Und: Wen kann man dafür zur Verantwortung ziehen? Was passiert, wenn ein Bot Drogen, Waffen oder Hacking-Zubehör kauft und das Päckchen von der Polizei konfisziert wird?

Zumindest angesichts der angehäuften Bestellungen dürfte jeder Hüter einer Asservatenkammer neidisch werden:

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Diese Bestellungen mögen zwar nicht in jedermanns moralischen Kodex passen, sind jedoch nicht unbedingt illegal. Problematisch wird der Einkauf erst mit den folgenden Objekten, die auch Fragen der juristischen Belangbarkeit eines Software-Bots aufwerfen: Wer kommt in den Knast, wenn der Bot Ecstasy-Pillen und gefälschte Ausweispapiere bestellt? Ein schon länger währendes philosophisches Dilemma, das mit der anonymen Internetnutzung via Darknet und Bitcoin eine neue Qualität erhält.

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Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo von der in Zürich und London beheimateten !Mediengruppe Bitnik geht es mit ihrer digitalen Kunstaktion darum, die ethischen und philosophischen Implikationen der anonymisierten Deepweb-Schwarzmärkte zu untersuchen.

Wenn sich die Anschuldigungen gegen die Künstler lediglich auf unwissentlichen Käufen von Raubkopien oder Drogen im Internet beschränken, dann könnten sie durchaus als unschuldig angesehen werden. Andererseits könnte das rücksichtslose Verhalten von Weisskopf und Smoljo und ihre Programmierung eines Bot, der im Darknet durchaus auch auf illegale Artikel stoßen und diese kaufen könnte, im Vordergrund stehen, was sie ihrer Unschuld wiederum beraubte.

Ryan Calo, Jura-Professor an der University of Washington, gibt im Onlinemagazin fusion zu bedenken: „Ich gehe davon aus, die Künstler wollten, dass der Bot illegale Dinge kauft. Das macht die Ausstellung doch gleich viel spannender. Wenn man sich solch ein Resultat wünscht, macht das die Sache noch nicht automatisch illegal (du kannst schließlich auch niemanden zu Tode wünschen). Doch, indem sie den Bot absichtlich im Netz ließen, nachdem er bereits illegale Ware geordert hatte, lässt sich die Absicht dahinter kaum übersehen."

Die Schuldfrage wird in nicht allzu langer Zeit auch unseren Alltag betreffen und die Justiz einmal wieder vor neue Fragen und Anforderungen stellen. Denn während Roboter und Bots immer mehr Aufgaben in Industrie, Dienstleistung oder Krieg übernehmen, drängt sich zunehmen die Frage auf, wie wir als Gesellschaft rechtlich und sozial mit eigenverantwortlich handelnden Maschinen umgehen wollen.

Doch welchen Darknet-Einkauf fanden die Künstler selbst am merkwürdigsten? „Auf jeden Fall die Herr der Ringe-Kollektion. Wunderschön per Hand gescannt und liebevoll im Deepweb verkauft", erzählten sie uns. „Die meisten Leute übersehen diesen Artikel wenn sie in den Deepweb-Stores unterwegs sind, weil sie längst eine kostenlose Version davon im Surface-Web gefunden haben."