Wie es ist, in Wien auf eine Multi-Kulti-Schule zu gehen
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Ausbildung

Wie es ist, in Wien auf eine Multi-Kulti-Schule zu gehen

Was ich dabei gelernt habe, ist vor allem, dass wir keine Klischees sind, die man nur über Nationalität definieren kann.

Meine Schule in Ottakring ist bekannt für den hohen Anteil von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund, in jeder Klasse haben mindestens 70 Prozent der Kinder einen. In meiner Maturaklasse, der 8B, sind sechs von 26 Kindern österreichischer Herkunft, 20 haben andere Nationalitäten und ausländische Wurzeln.

Viele Leute sind schockiert, wenn ich erzähle, dass wir nur sechs Österreicher in der Klasse sind. Für mich ist das normal und nicht mal einen Funken Aufregung wert. Ich kenne es schlichtweg nicht anders. Ich habe immer Schulen in Ottakring besucht und seit Beginn meiner Schulkarriere war ich immer in Klassen, wo es mehr Kinder mit Migrationshintergrund gab als ohne. Mittlerweile kann ich beinahe alle Nachnamen aussprechen, weiß, wann Ramadan und das Opferfest sind und kann natürlich in allen vertretenen Sprachen ein bisschen schimpfen. Oft habe ich das Gefühl, bei Integration hautnah dabei zu sein und es bereichert mich irgendwo.

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Einige meiner Verwandten sind oft über das Unterrichtsniveau an meiner Schule besorgt, weil es in allen Klassen an meiner Schule eine deutliche Mehrheit an Migrantenkindern gibt. Oft werde ich dann gefragt: "Können die überhaupt gescheit Deutsch?"

Natürlich kenne ich nicht das Sprachniveau aller 600 Schüler an unserer Schule, aber meistens beantworte ich die Frage trotzdem mit Ja, weil das meiner Erfahrung entspricht und ich vor allem meine Schule verteidigen will. Ich bemerke oft selber, dass ich ziemlich sauer werde, wenn Leute um mich herum über Ausländer und Flüchtlinge herziehen, obwohl sie ihnen im Alltag ganz anders und oft viel oberflächlicher begegnen als ich.

"Meine türkischen Mitschüler haben nicht alle Erdoğan auf ihre linke Arschbacke tätowiert."

In meiner Klasse treffen alle Arten von Nationalitäten und Religionen aufeinander. In der Pause werden viele Sprachen gesprochen, wir haben verschiedene Reisepässe. Was ich dabei gelernt habe, ist vor allem, dass wir keine Klischees sind, die man nur über Nationalität definieren kann.

Mädchen, die nicht aus Österreich kommen, sind nicht alle stille schüchterne Mäuschen, die den Mund vor lauter Unterdrückung nicht aufbekommen und unsere türkischen Mitschüler haben nicht alle Erdoğan auf ihre linke Arschbacke tätowiert. Sie essen auch nicht ausschließlich Döner und Baklava, wenn sie nach der Schule nachhause gehen. Genauso, wie wir Österreicher in der Klasse nicht mit Dirndl und Lederhose im Unterricht sitzen oder ausschließlich Schnitzel essen. Unsere Herkunft sagt nichts darüber aus, wer wir sind, sondern nur, woher wir kommen.

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Trotzdem läuft auch an meiner Schule nicht alles immer glatt, aber Integration passiert nun mal nicht von heute auf morgen, sondern ist ein stetiger Prozess, bei dem man sicher auch mal einen Schritt zurück machen muss. Manchmal war es für mich nicht so leicht, alles gleich zu verstehen, denn wenn so viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Geburtsorten, Religionen und Kulturen zusammenkommen, prallen gleichzeitig auch Welten und Ansichten aufeinander, die oft nicht unterschiedlicher sein könnten.

Ich wurde zum Beispiel schon öfter als "Schlampe" bezeichnet, weil ich vor der Ehe Sex hatte, meine Kleidung wurde schon mehrere Male als zu kurz und freizügig bekrittelt und auch das Verantwortungsbewusstsein meiner Eltern wurde schon in Frage gestellt, weil sie es mir erlauben, fortzugehen und Alkohol zu trinken.

Auch hitzige Diskussionen über die Evolutionstheorie und Homosexualität gibt es bei uns und manchmal stellt es mir die Fußnägel bei diesen Debatten auf, weil sie menschenverachtend und absurd werden können. Um die Frage gleich vorwegzunehmen: Ja, wir haben engstirnige, konservative, homophobe und rassistische Leute mit Migrationshintergrund an der Schule.

"Können die überhaupt gescheit Deutsch?"

Sie sind aber nicht wegen ihres Migrationshintergrunds so; sonst müssten alle, die aus bestimmten Regionen zugezogen sind, so sein. Es gibt genauso nette und offene, tolerante Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund und rückschrittliche Arschgesichter, die aus Österreich stammen. Arschgesichter kennen keine Grenzen und auch keine Nationalität, man findet sie halt einfach überall.

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Trotzdem ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich selbst Vorurteile und Klischees im Kopf habe. In meiner Parallelklasse gibt es zum Beispiel ein Mädchen, mit dem ich in den letzten Jahren kein Wort gesprochen habe – und das ich sofort für ein verschüchtertes Mädchen mit Kopftuch hielt; eine graue, unterdrückte Maus. Als ich sie dann im Zuge eines Vortrages sprechen hörte, war ich richtig überrascht, wie toll und frei sie vor der Gruppe sprechen konnte – und im selben Moment ärgerte ich mich extrem über mich selbst. Mein Schubladendenken war meine eigene Schuld, nicht ihre.

Es gibt viele Dinge, die die Leute an meiner Schule hassen. Hausübungen, Tests oder die Hausschuhpflicht. Ich könnte tausend Dinge aufzählen, die an unserer Schule unbeliebt sind, aber nicht mal all diese Hassobjekte zusammen sind so verhasst wie Heinz-Christian Strache und die FPÖ. Es ist zwar relativ naheliegend und logisch, dass eine Schule mit einem hohen Ausländeranteil vom Wahlprogramm der FPÖ nicht besonders angesprochen wird – und das soll sie wahrscheinlich auch gar nicht.

Ich verstehe aber auch nicht, wieso man (in dem Fall die FPÖ) sich beschwert, dass sich zugewanderte Leute in Österreich nicht heimisch fühlen, ihnen aber gleichzeitig sagt, dass sie in diesem Österreich nicht wirklich dazugehören. Ich habe keine ausländischen Wurzeln, aber ich sehe täglich, dass Heimat keine festgelegte Definition hat, sondern ein Gefühl ist, das man eben zu einem Ort entwickelt und das nicht über Nacht kommt.

Es ist nicht immer leicht, es funktioniert nicht immer und manchmal werden Menschen auch verletzt. Integration ist ein langwieriger und schwieriger Prozess, bei dem alle Menschen zusammenhalten müssen. Klingt abgedroschen, ist aber wahr: Hass trennt. Ich habe durch meine bisherige Schulzeit wirklich viele Dinge lernen dürfen.

Dinge, die man nicht im Unterricht lernt. Diese Lektionen sind viel wichtiger als so mancher Schulstoff und bereichernd für das spätere Leben. Ich wage zu behaupten, dass jeder Schüler meiner Schule mehr Ahnung von Integration hat als der Großteil der FPÖ-Politiker. Und ja, ich bin nicht in jeder Sekunde zu 100 Prozent glücklich über meine Schule – aber am Ende trotzdem immer froh, Teil von etwas Wichtigem zu sein.

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