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Warum es keinen Sinn macht, Kinderehen komplett zu verbieten

Manche der ankommenden Flüchtlinge sind unter 18 und verheiratet. Nicht immer ist es das Beste, die Ehe aufzulösen.

Foto: imago | Westend 61

Die Diskussion um Kinderehen erinnert an die Debatte nach Köln. Im Urteil sind sich alle einig: Kinderehen sind wie sexuelle Nötigung nichts Gutes. Aber dann trennen sich die Wege. Die einen suchen nach Ursachen und Lösungen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte merkt etwa an: Wenn diese Ehen in Deutschland nicht anerkannt werden, verliert die Frau auch Rechte wie den Unterhaltsanspruch. Das Institut spricht sich dafür aus, jeden Fall einzeln zu überprüfen. Die anderen schreien populistische Parolen, einfach ist eben einfacher. Julia Klöckner (CDU) sagt: alle verbieten. Und Frauke Petry (AfD) schreibt auf Twitter: "Unfassbar, was in den Köpfen mancher Menschen vorgeht … #Kinderehe #AfD".

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WARUM SIND KINDEREHEN 2016 IN DEUTSCHLAND PLÖTZLICH THEMA?

Unter den Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, sind auch unter 18-Jährige, die bereits verheiratet sind. In Syrien werden seit Beginn des Krieges viel mehr Jugendliche verheiratet. Laut Save The Children waren vor dem Krieg in Syrien nur bei 13 Prozent der Hochzeiten Minderjährige beteiligt, heute ist bei über der Hälfte der Eheschließungen einer der Partner unter 18. Unter den 25 Ländern mit den höchsten Zahlen von verheirateten Minderjährigen sind die meisten fragile Staaten wie Somalia oder Nigeria, aber auch Länder wie die Dominikanische Republik oder Brasilien—mit mittleren Einkommen—haben hohe Raten.

Dominik Bär vom Deutschen Institut für Menschenrechte sagte dem Tagesspiegel, Minderjährigen-Ehen seien ein Symptom von Krisen, nicht unbedingt Ausdruck von Kultur oder Religion. Gerade im Beispiel Syrien handeln Eltern oft in gutem Willen, wenn sie ihre Tochter vor der Flucht verheiraten—um sie finanziell und körperlich abzusichern und ihre Ehre zu bewahren.

WIE VIELE KINDEREHEN GIBT ES IN DEUTSCHLAND?

Im Ausländerzentralregister sind 1.500 Kinderehen in Deutschland gezählt, die meisten der minderjährigen Ehepartner sind zwischen 16 und 18. Unter 14 Jahre alt sind 361 Ehepartner.

WAS IST IN DEUTSCHLAND ERLAUBT?

Deutschland erkennt Ehen nicht an, wenn ein Partner jünger als 14 ist. Bei Ehen, die mit 14-Jährigen oder älteren Minderjährigen geschlossen wurden, haben die Gerichte einen Ermessensspielraum.

Heiraten darf man in Deutschland normalerweise erst ab 18, mit einer Genehmigung des Familiengerichts geht es auch, wenn einer der beiden über 16 und der andere über 18 ist.

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WAS WILL Innenminister Maas NUN TUN?

BM @HeikoMaas zur Debatte um #Kinderehe:Dürfen Zwangsehen nicht dulden,Ehen unter 16 sollen ausnahmslos unzulässig sein" Komplettes Zitat: pic.twitter.com/csj8WiOEAn
BMJV (@BMJV_Bund) October 29, 2016

Ehen unter 16 sollen ausnahmslos aufgehoben werden, sagt Innenminister Heiko Maas (SPD). Maas will auch, dass Ehen von über 16-Jährigen leichter aufzuheben sind. Bisher zählt nur, ob die Ehe durch Zwang zustande kam, jetzt soll das Kindeswohl ein entscheidendes Kriterium werden.

WER KRITISIERT DIE PLÄNE?

Der CDU geht das nicht weit genug. Wenn sie empört fordern, Kinderehen komplett zu verbieten, hört sich das erst mal gut an. Sie wollen alle Kinderehen auflösen, um Isolation und sexuellen Missbrauch zu verhindern. Doch was auf den ersten Blick schlüssig klingt, ist wie so oft: nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint.

Absurd! Maas-Vorschlag ist mit uns @cducsubt nicht zu machen! Werde mich weiter für Verbot einsetzen. https://t.co/p84uh0viPy
— Nadine Schön (@NadineSchoen) October 29, 2016

Frauen- und Menschenrechtler warnen davor, Kinderehen komplett zu verbieten. Sie haben gute Gründe. Einer davon: Wenn Ehen von nach Deutschland geflüchteten Frauen einfach aufgelöst werden, verlieren sie auch auch Rechte, wie etwa ihre Unterhaltsansprüche. Wie so oft gibt es genauso wenig "die Kinderehe" wie "den Syrer".

DARUM MACHT EIN KOMPLETTES VERBOT KEINEN SINN:

Hier geht es in der Praxis meist um 16 bis 18-Jährige Geflüchtete.
Dominik Bär vom Deutschen Institut für Menschenrechte nennt im Tagesspiegel-Interview eine Reihe an Gründen, Ehen mit über 14-Jährigen Minderjährigen nicht immer aufzulösen: "Wenn die Ehen generell für unwirksam erklärt würden, würde das bedeuten, dass sie nie bestanden haben. (…) Die Minderjährigen hätten keine Unterhaltsansprüche, Kinder würden ohne anerkannten Vater ihren Erbanspruch verlieren und würden als illegitim angesehen." Das kann das Leben der Frauen schwieriger, die Rückkehr in ihre Heimatländer teilweise unmöglich machen. Ein weiteres Problem sei, dass Mädchen über Ehen schweigen, wenn sie verboten sind. Damit rutscht das Problem aus dem Blickfeld des Jugendamts, was es schwerer macht, die Kinder zu schützen.

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