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Das neue Prostitutionsgesetz macht alles noch schlimmer

Vor allem die Anmeldepflicht wird dafür sorgen, dass viele Sexarbeiter zurück in die Illegalität rutschen.
Foto: Kamillo Kluth | Flickr | CC BY 2.0

Sonja Dolinsek ist Doktorandin der Geschichte und forscht zu Prostitutionspolitiken und -debatten. Außerdem betreibt sie die Website menschenhandelheute.net.

Spätestens ab 2017 soll es in Deutschland nur noch selbstbestimmte und glückliche Sexarbeiter*innen geben. Mit strengen Regeln will die Große Koalition Prostituierte zu ihrem Glück verhelfen: Freier müssen künftig Kondome benutzen, Prostituierte sollen sich bei einer Behörde anmelden müssen und Bordellbetreiber brauchen eine Erlaubnis, bevor sie ein Bordell eröffnen.

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Nach langem Hin und Her steht endlich der Entwurf für das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz". Die Familienministerin Manuela Schwesig ist zufrieden: „Es wird erstmalig klare Regelungen für die legale Prostitution in Deutschland geben, die dem Schutz der Frauen dienen". Öffentlich zugänglich ist dieses 140 Seiten dicke Dokument leider noch nicht.

Weil ich aber schon einen Blick darauf werfen konnte, habe ich mir Eckpunkte des geplanten Gesetzes mal genauer angeschaut—und festgestellt, dass die geplanten Vorschriften den Prostituierten das Leben nicht einfacher machen. Stattdessen zerbrechen die Träume von Selbstbestimmung eher am Kontroll- und Überwachungswahn der Großen Koalition.

1. Die „Anmeldepflicht" drängt Menschen in die ILLEGALITÄT

Dass sich in Zukunft Prostituierte bei einer „geeigneten Behörde" anmelden und sich vorher beim öffentlichen Gesundheitsdienst „pflichtberaten" lassen müssen, klingt erst einmal total gut. Wer arbeitet, muss auch „gemeldet" sein, und sowieso sollen alle Steuern zahlen müssen, so das Argument.

Glaubt man dem Ministerium, ist aktuell nämlich alles eine Grauzone. Aber stimmt das? Wer heute entscheidet, Sex zu verkaufen—ob auf der Straße, im Bordell oder im Internet—, tut das nicht in einer Grauzone, sondern völlig legal. Wer auf dem Job vergewaltigt wird, kann sich an die Polizei wenden. Zahlt der Kunde nicht, kann man rechtlich dagegen vorgehen.

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Das wird sich radikal ändern. Wer 2017 die gleiche Entscheidung trifft, muss sich erst einmal beraten lassen und sich zur Sonderanmeldung begeben, anstatt einfach zu arbeiten, weil z.B. am Ende des Monats das Geld fehlt.

Und alle Leute, die Angst haben, lebenslänglich in einer behördlichen Datei als „Hure" gebrandmarkt zu sein, werden eine Anmeldung schön sein lassen. Sie werden lieber illegal arbeiten und so manche Risiken auf sich nehmen. Was also heute völlig legal ist, wird mit dem neuen Gesetz illegal sein.

Illegalität hat Folgen. Nicht-angemeldete Sexarbeiter*innen werden ein Bußgeld zahlen müssen. Aber das ist eigentlich das geringere Problem. Wer aus welchen Gründen auch immer unangemeldet arbeitet, wird grundsätzlich erpressbar. Das zeigt die Erfahrung aus Ländern, in denen Prostituierte entweder kriminalisiert sind oder sinnlose Pflichten erfüllen müssen, um legal arbeiten zu dürfen. Kunden, Menschenhändler aber auch Polizisten können Prostituierten drohen: „Entweder du machst jetzt, was ich will, und hast jetzt ungeschützten/kostenlosen Sex mit mir—oder ich verpetze dich."

Auch wenn ein Kunde nicht zahlen will oder eine Prostituierte vergewaltigt wird, werden unangemeldete Sexarbeiter*innen auch nicht mehr zur Polizei gehen. Es würde ja schließlich auffliegen, dass sie nicht gemeldet sind. Sie würden bei der Suche nach Hilfe selber verwarnt werden und ein Bußgeld kriegen. Das Gesetz schützt nicht vor Gewalt—sondern schafft neue Möglichkeiten für Gewalt.

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Wie werden die Daten geschützt?

Aber auch die Anmeldung selber ist gefährlich. Wer und welche Behörden haben Zugriff auf diese Daten? Werden die Daten deutschlandweit oder gar international ausgetauscht? Wie ist das mit dem Datenschutz vereinbar? Aber das größte Problem ist der Einzeltäter, der die Daten von Prostituierten sammelt und hortet, um sie später zu erpressen: „Wenn du nicht das und das machst, erzähle ich deiner Chefin/deiner Familie/der Presse, dass du mal eine Hure warst." Das mag zwar verboten sein, wird aber niemanden davon abhalten, die Daten von Sexarbeiter*innen zu leaken und gegen sie zu nutzen. So manche Politiker sehen das sogar als gewünschten Effekt—das soll eben der Abschreckung dienen und Prostitution abbauen. Das Schicksal und Leben der einzelnen Prostituierten ist bei solchen Plänen aber schon lange keine Priorität mehr.

Foto: Grey Hutton

Hilft eine Anmeldepflicht gegen Menschenhandel?

Bei der Sonderanmeldung soll man auch rechtzeitig Menschenhandel erkennen. Doch das widerspricht jeglicher Erfahrung aus Praxis und Wissenschaft: Menschenhandel heißt, dass jemand ausgebeutet wird. Das kann man per definitionem nur erkennen, wenn die Ausbeutung schon stattgefunden hat. Auch rechtlich kann man nur nach der Tat dagegen vorgehen. Vor der Ausbeutung kann man sie natürlich nicht erkennen und daran wird auch das aufwändigste Anmeldeverfahren nichts ändern. Das ist so, als würde man eine Frau vor der Ehe fragen, ob sie Opfer von häuslicher Gewalt werden könnte, damit man eventuell die Ehe verhindern kann, um sie vor Gewalt zu schützen.

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2. Die Pflichtberatung ist erniedrigend

Was es für andere Selbständige auch nicht gibt, ist so eine Art Gespräch, in dem festgestellt werden soll, ob Sexarbeiter*innen „über die zu ihrem Schutz erforderliche Einsichtsfähigkeit" verfügen—so formuliert man das im Ministerium. Aber was heißt das eigentlich: „Einsichtsfähigkeit"? Und wer soll denn damit ausgeschlossen werden?

Klar und völlig logisch ist, dass Menschen mit einer „geistigen Behinderung" sich nicht als Prostituierte anmelden dürfen. Das Problem scheint es aber fast gar nicht zu geben. Es muss hier also um etwas anderes gehen, denn so eine Kontrolle ergibt erst dann Sinn, wenn man allen Sexarbeiter*innen pauschal unterstellt, dass sie grundsätzlich eher nicht in der Lage sind, zu verstehen, was sie gerade tun. Egal ob Migrantin, alleinerziehende Mutter, Studentin, adelige Hobbyhure oder promovierte Sozialwissenschaftlerin (das alles übrigens gibt es auch in männlich): Alle stehen unter dem Verdacht, nicht ganz dicht zu sein.

3. Die neuen Bordellregeln sind das Ende der Kleinbordelle

Mit einer Erlaubnispflicht für Bordelle will man den Ruf Deutschlands als „Bordell Europas" aufbessern, indem man versucht, möglichst viele Bordelle schließen zu lassen. Diese Erlaubnis erhalten Bordellbetreiber nach einer Zuverlässigkeitsprüfung—vorbestrafte Menschenhändler erhalten natürlich keine, und das ist gut so.

Im „Betriebskonzept", das Bordellbetreiber einreichen müssen, sollen alle möglichen Sicherheits- und Hygienestandards festgehalten sein. Doch diese Vorschriften haben einen Haken: Sie werden kleine Gemeinschaftsbordelle, in denen ein paar Sexarbeiter*innen zusammen arbeiten, z.B. in einer dafür gemieteten Wohnung, ins Aus treiben. Auch die bekannten Love-Mobile werden den Test eher nicht bestehen. Darüber können sich jene aufgebrachten Bürger freuen, die in letzter Zeit immer häufiger für die Verdrängung von Prostitution kämpfen. Für Sexarbeiter*innen ist das aber nicht unbedingt ein Vorteil. Warum?

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Die Anforderungen werden so hoch sein, dass sie nur wenige Bordelle erfüllen werden. Das werden in der Regel gut finanzierte Großbordelle sein, die wohlhabende Investoren und clevere Anwälte haben. Die kleinen Wohnungsbordelle, in denen Prostituierte bisher unabhängig von profitgierigen Betreibern gearbeitet haben, werden aussterben. Die neuen Pläne treiben Prostituierte regelrecht in die Hände großer Bordelle. Kein Wunder, dass man im Ministerium auch davon ausgeht, dass die Bordellbetreiber schon dafür sorgen werden, dass auch nicht sprachkundige Prostituierte sich anmelden.

Das ist wahrlich ein ausgeklügeltes System der Prostituiertenüberwachung. Das geht sogar soweit, dass man für Sexarbeiter*innen, die trotz aller Hürden entscheiden, in ihrer eigenen Wohnung zu arbeiten, ein Grundrecht aufhebt: Die Unverletzlichkeit der Wohnung. Jederzeit darf die Polizei unangekündigt in die Wohnungen stürmen. Nur weil dort eine Prostituierte wohnt und arbeitet.

Fazit: Das neue Gesetz ist vielleicht gut gemeint, aber schlecht gemacht

Die Träume für 2017 werden sich nicht erfüllen: Statt selbstbestimmte Sexarbeiter*innen wird es im Großbordell Deutschland zwar angemeldete Prostituierte unter fester Kontrolle von Polizei und Bordellbetreibern geben. Daneben steht aber eine Masse an unangemeldeten Prostituierten, die erpressbar und abgehängt schlechter da stehen als heute, ohne dass es den anderen unbedingt besser geht.

Das liegt vor allem an der Anmeldepflicht, vor der viele aus Angst vor dauerhafter Stigmatisierung zurückschrecken werden. Sexarbeit ist in der Tat kein Job wie jeder andere, denn es gibt keinen Job, der so stark überwacht und stigmatisiert wird. Das Gesetz wird Sexarbeiter*innen nicht schützen, sondern erhöht nur die Hürde der legalen Prostitution. Was jetzt legal ist, wird es nicht mehr sein. Dienen wird das nicht dem Schutz der Prostituierten—sondern denjenigen, die sie immer noch nicht als gleichwertige Bürger*innen respektieren.

Folg Sonja auf Twitter: @sonjdol


Titelfoto: Kamillo Kluth | Flickr | CC BY 2.0