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Warst du schon mal mit Linksautonomen eingekesselt? Ich schon

Bei der Gegendemo zur Mahnwache von Nazis kam es bei Pforzheim zu Krawallen und die Polizei wehrte sich mit Pfefferspray-Attacken. Ich war mit einer Gruppe von Autonomen eingekesselt und durfte noch nicht mal pinkeln gehen.

Auch dieses Jahr war es wieder soweit: Seit nun fast schon 20 Jahren missbrauchen Neonazis den 23. Februar für eine Fackelmahnwache. An diesem Tag war die Stadt Pforzheim 1945 starkem Bombardement der Alliierten ausgesetzt. Dabei verloren innerhalb von 22 Minuten 17.600 Menschen ihr Leben. Um 19.50 Uhr läuteten die Kirchturmglocken und die Fackelmahnwache des Rechtsaußenvereins „Freundeskreis ein Herz für Deutschland“ begann auf dem Wartberg.

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Selbstverständlich riefen an diesem Tag viele Vereine und Bündnisse zu Gegendemonstrationen auf. Da der 23. Februar dieses Jahr auf einen Samstag fiel, wurde mit vielen Fackelträgern und Gegendemonstranten gerechnet, dementsprechend groß war auch das Polizeiaufgebot von etwa 1.600 Einsatzkräften.

Als ich am Stuttgarter Hauptbahnhof in den Zug nach Pforzheim umstieg, wimmelte es auf dem Bahngleis nur so von Gegendemonstranten. Einige der anwesenden Polizisten fuhren im Zug mit.

Als wir am Bahnhof Pforzheim ankamen, wurden die Demonstranten am Bahngleis von den anwesenden Polizisten festgehalten. Immer wieder verkündete eine Stimme der Deutschen Bahn, die Polizisten mögen doch bitte die Demonstranten ziehen lassen, damit die Züge weiterfahren können. Nach etwa 20 Minuten ließ man die Demonstranten dann auf den Bahnhofsvorplatz ziehen, wo eine Kundgebung abgehalten wurde. Eine Demonstration nördlich entlang der Schienen wurde von der Verwaltung nicht genehmigt, damit käme man zu nahe an den Wartberg heran, auf dem sich die Neonazis versammeln würden.

Nach einer Weile ging eine Spontandemo durch die Innenstadt los. Die Demonstranten hatten ein ziemlich zügiges Tempo drauf. Im Rennen gelang es den Demonstranten recht schnell, die Polizeiabsperrung zu überwinden und sich Richtung Wartberg aufzumachen. Diese nun eingeschlagene Route war jedoch von Karlsruhe explizit untersagt worden.

Schnellen Schrittes musste man nun gegen den steilen Berg anrennen. Der Weg, den ich nahm, führte über schmale Treppen, enge Wege und Wohngebiete. Ich bemerkte ein Mädchen, das dieser Wanderung nicht standhielt und zusammenbrach.

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Nach diesem langen Marsch kamen wir endlich auf dem Wartberg an, allerdings nicht dort, wo sich die Fackelträger einfinden sollten, denn wir wurden dort oben von einer Horde Polizisten empfangen. Autonome versuchten, die Absperrung zu stürmen, indem sie gegen die Absperrung sprangen und traten, Schneebälle, Flaschen und einen Feuerwerkskörper warfen. Daraufhin zögerte die Polizei nicht lange, massiv Pfefferspray einzusetzen. Nach diesem gescheiterten „Angriff“ sah man an jeder Ecke Demonstranten auf dem Boden knien und liegen und sich Schnee in die Augen reiben. Von allen Seiten wurden Sanitäter gerufen.

Nach einer kurzen Weile bemerkten wir, dass wir von der Polizei eingekesselt waren. Die Polizisten rückten immer näher. Jetzt wurde keiner mehr aus dem Kessel gelassen, selbst wenn man auf Toilette musste, und auch älteren bürgerlichen Demonstranten wurde der Austritt verwehrt.

Mein Wasser war mittlerweile zu Eis gefroren. Es gingen Gerüchte um, dass sich alle rund 350 Demonstranten im Kessel in offiziellem Polizeigewahrsam befänden. Nun begann das Warten, ich wusste zwar nicht so recht worauf, aber mir blieb ja eh nichts anderes übrig und so unterhielt ich mich im Schein des Flutlichts mit Demonstranten. Ich sprach mit einigen Jungs und Mädels, die eine ordentliche Portion Pfefferspray abbekommen hatten, mit bürgerlichen Demonstranten und mit einem, der einfach mal sehen wollte, wie so eine Demonstration abläuft. Er erzählte mir, dass einige Freunde von ihm Nazis seien, er das aber nicht gut heißt und nun mal was machen wollte.

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Als es soweit war, dass die Kirchturmglocken läuteten, wurde die Stimmung gereizter. Wieder versuchte die forderte Front der Demonstranten, die Absperrung zu stürmen, und wieder fackelte die Polizei nicht lange und machte von Pfefferspray Gebrauch.

Gegen 20.00 Uhr hörten wir eine Lautsprecherstimme: „Es folgt die erste Durchsage der Polizei an die Personen, die sich hier am Wartberg innerhalb der Polizeiabsperrung befinden: Ihre Versammlung nahm einen gewalttätigen und unfriedlichen Verlauf. (…) Die Versammlung wird auf Anordnung der Stadt Pforzheim daher endgültig aufgelöst. Es werden nun von allen die Personalien festgestellt. Dazu bitte ich zuerst Frauen und Unter-18-Jährige, an die linke Zaunseite von Ihnen aus gesehen zu kommen. Anschließend erhalten Sie einen Platzverweis für den gesamten Bereich des Wartbergs bis 21 Uhr. Sollten Sie dieser Anordnung nicht nachkommen, werden wir das Gelände unter Anordnung von Gewalt räumen. (…) Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine Notstandsmaßnahme im Sinne der Verwaltungsgerichtsordnung handelt. Ende der ersten Durchsage.“

Notstandsmaßnahme, Personalien von allen 300 Demonstranten, im Ernst? Als ich nach rund einer Stunde von einem Polizisten am linken Zaunrand aus dem Kessel geführt wurde, wurde eine gründliche Durchsuchung meiner Tasche und meines Körpers vorgenommen. Anschließend wurde ich zu einer Schlange an einem Polizeiauto geführt, vor dem Porträtfotos mit dem Personalausweis gemacht wurden. Ich kam mir vor wie ein Verbrecher, als es hieß: „In die Kamera kucken. Und nun mit dem Gesicht zum Fahrzeug.“

Mein Schockzustand steigerte sich noch, als ich einen Polizisten hinter mir sagen hörte: „Kalt, nicht wahr? Ich kann mir Schöneres vorstellen, als nachts in der Kälte zu stehen, zum Beispiel zu Hause auf dem warmen Sofa Fernsehen zu schauen?“ Genau, dachte ich mir, da hätte ich dann mit einer Freundin am Telefon darüber reden können, wie doof ich doch Nazis finde.