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10 Fragen

10 Fragen an eine Lehrerin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

In welchem Alter sind Schüler am ätzendsten? Nehmen Lehrer auf Klassenfahrt heimlich Drogen? Hat dich ein Schüler schon mal geschlagen?
Foto: Grey Hutton

Foto mit freundlicher Genehmigung von Seyda Kapsiz

Aus der Kolumne"10 Fragen, die du dich niemals trauen würdest zu stellen"

Hormongesteuerte Dramen, Schlägereien auf dem Pausenhof, Beleidigungen, Helikopter-Eltern und nach Schweiß stinkende Schüler. Das ist Seyda Kapsiz Alltag. Sie ist Lehrerin.

Die Berlinerin unterrichtete an einer integrierten Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe in Berlin-Neukölln Deutsch, Geschichte und Türkisch. Den Namen ihrer alten Schule will sie nicht nennen, weil sie ohnehin als "Brennpunktschule" gilt. Der schlechte Ruf hat Seyda nicht abgeschreckt: "Mir war es echt egal, wo ich lande. Ich wollte mich nur nicht arbeitslos melden."

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Rund 25 Schüler sind in einer Klasse. "Im Referendariat wird einem erklärt, wie man schwierige Gedichte mit Schülern analysiert, aber nicht: Wie gehe ich mit gewalttätigen, drogenabhängigen Schülern um? Ich hab es mit der Zeit selbst herausgefunden." Viele ihrer Kollegen waren dem Stress nicht gewachsen und haben nach zwei oder drei Monaten hingeschmissen. Laut eines Gutachtens des Aktionsrates Bildung leiden 30 Prozent der Lehrer und Erzieher in Deutschland an Burn-out und Erschöpfung. Und auch die Anzahl, der Tage, an denen sie fehlen, hat sich seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt.

Seyda hat drei Jahre lang an der Berliner Brennpunktschule unterrichtet, bis 2015. "Ich fand es cool, jeden Tag war was los, einmal pro Woche war die Polizei da. Wir hatten auch dauerhaft Sicherheitspersonal am Eingang. Ich liebe die Schule und würde auch wieder zurückgehen", sagt sie. Heute unterrichtet sie in einem europäischen Berufsbildungsprojekt außerhalb von Deutschland. Wo genau, sagt sie nicht. Ihr Alter verrät sie auch nicht. Sie möchte nicht, dass ihre Schüler über ihr Privatleben Bescheid wissen. Neugierige Fragen zu ihrer politischen Einstellung oder ihrem Lieblingsfußballverein beantwortet sie ihnen deshalb auch nicht. Unsere zehn Fragen aber schon:

VICE: In welchem Alter sind Schüler am nervigsten?
Seyda: Zwischen der siebten und zehnten Klasse. Die Hormone drehen bei denen durch, die sind unruhig, laut und haben ganz andere Dinge im Kopf als Schule. Das nervt mich. Und die Jungs stinken in dem Alter oft nach Schweiß. Vor allem nach der Sportstunde. Ich mache dann auch klare Ansagen: "Macht die Fenster auf. Hier riecht es sehr extrem!"

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Nehmen Lehrer auf dem Schulausflug heimlich Drogen?
Ja, ich kenne einige Beispiele. Ich bin kein Fan von Drogen, aber es gibt auch jüngere Kollegen, die während dem Schulausflug kiffen. Ich rauche und kiffe grundsätzlich nicht.

Warum benotest du Kevin und Mahmut schlechter als Hannah?
Ich bewerte eher Kevin schlechter als Mahmut [lacht]. Spaß beiseite, ich hatte früher als Schülerin selbst Probleme, weil ich die einzige Türkin in der Klasse war. Eine Deutschlehrerin meinte drei Jahre lang zu mir: "Solange du bei mir Deutschunterricht hast, wirst du immer eine Vier kriegen." Eiskalt. Ich wusste, ich würde nie so eine Lehrerin werden. Mir ist es egal, ob ein türkischer, arabischer, kurdischer, serbischer oder deutscher Schüler vor mir sitzt. Klar, gibt es Schüler, die ich sympathisch finde und welche, die ich überhaupt nicht leiden kann. Die Nationalität der Schüler ist mir aber komplett egal.

Was ist das Unfairste, was du je gemacht hast?
In meinem ersten Jahr an der Brennpunktschule habe ich gemerkt, dass ich beim Korrigieren von Schularbeiten voreingenommen war. Ich bin an Korrekturen anders rangegangen, wenn mir ein Schüler sympathisch war. Ich habe nachgedacht und festgestellt, scheiße, das darf nicht sein. Ich habe dann die Namen von allen möglichen Comicfiguren auf kleine Zettel geschrieben und die Schüler einen Namen ziehen lassen, so hatte jeder Schüler für die Klausur einen Spitznamen auf seinem Prüfungsbogen stehen. Eine Vertrauensschülerin hatte vorher alle Comicnamen auf eine Liste den richtigen zugeordnet geschrieben. Bei der Korrektur wusste ich also nicht, welche Arbeit zu wem gehört. Erst nach dem Austeilen der Arbeiten habe ich in die Liste der Vertrauensschülerin geschaut. Und dieses System funktioniert. Die Noten sind dadurch fairer. Das mache ich bis heute so. Das ist auch lustig für die Schüler—eine der Listen bestand aus den Namen der hässlichsten Tiere der Welt.

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Lästerst du in deiner Freizeit über deine Schüler?
Na, klar. Entweder mit Kollegen oder mit meinen Freunden. Aber meine Freunde haben mir meine Geschichten manchmal nicht geglaubt [lacht]. Sie haben mich ständig gefragt, wie ich an der Schule "überlebe" und fanden meine Arbeitsbedingungen "unvorstellbar".

Foto: Grey Hutton

Hat dich ein Schüler schon mal geschlagen?
Es gab an meiner Schule in der Tat Schüler, die Lehrern gegenüber gewalttätig waren. Sie wurden von unserer Schule verwiesen, mussten zu Gerichtsverhandlungen. Ich war auch schon als Zeugin vor Gericht, weil einer meiner Schüler einen Lehrer geschubst hat. Mich hat aber noch nie ein Schüler geschlagen, ich hatte auch nie Angst vor meiner Klasse. Ich habe die Problemschüler einfach ein bisschen sachter behandelt: "Mohammed, das kannst du aber sehr gut!" Der fand mein Lob so toll, dass er die ganze Stunde lang freundlich zu mir war. Hat zwar nicht gestimmt, aber ist auch egal. Ich hatte keinen Bock auf Stress. Als Lehrer hat man davon genug. Und den Schülern tut das auch gut. Die meistens arabische Schüler kommen aus sieben-, oder achtköpfigen Familien. Die brauchen Zuwendung und Lob.

Was war die schlimmste Beleidigung, die ein Schüler zu dir gesagt hat?
Einer meiner Schüler aus der 8. oder 9. Klasse hatte jeden Tag einen anderen blöden Spruch auf Lager. Zum Beispiel: "Frau Kapsiz, Sie sehen aus wie eine Giraffe." Ich dann: "Ja, ich müsste in den Zoo, kommst du mit? Dann gehst du ins Affengehege." Der Junge hat mich total verwirrt gefragt: "Haben Sie mich gerade einen Affen genannt?" Aber das habe ich nicht. Ich habe nur gesagt, dass er in so ein Gehege reingehen kann. Man muss cool kontern, ohne zu beleidigen. Aber an der Brennpunktschule gibt es auch arabische Jungs, die sich überhaupt nicht artikulieren können. Die sagen direkt "Nutte, Hure, ey Schlampe". Ich nehme das nicht persönlich. Ein logisch denkender Mensch würde sich anders ausdrücken. Aber einen Spruch, den ein Schüler zu mir gesagt hat, fand ich ziemlich scheiße. Er meinte zu mir: "Ey, du Alte". Das war für mich das Schlimmste. Was soll das?

Wünscht du dir manchmal die Prügelstrafe zurück?
Kein Witz, einige Schüler haben Prügel verdient. Wen ich überhaupt nicht leiden kann, sind Schleimer. Wie die mich nerven! Nach der Stunde stellen die so dumme, schleimerische Fragen. Ich hasse das. Das geht gar nicht. Aber nein, ich könnte niemanden schlagen. Nichtmal die Schleimer.

Freust du dich auf Elternsprechtage, weil du deine Schüler dann verpetzen kannst?
Ich rufe Eltern auch während des Unterrichts an und sage: "Ihr Sohn sitzt vor mir und hat sich daneben benommen, was soll ich ihrer Meinung nach tun? Ich würde ihn von der Schule suspendieren, sind Sie zuhause?" Die ganze Klasse ist dann voll still. Und so ein bisschen macht das auch Spaß, aber es ist auf Dauer eher anstrengend.

Hattest du schon mal eine Sexfantasie mit einem deiner Schüler?
Nein, Igitt, pfui – das sind alles Kinder in meinen Augen!

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