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Hangover-News, Sachsen-Spezial

Das Hinterland der Willkommenskultur hat sich erneut im Osten Deutschlands von seiner hässlichsten Seite gezeigt. Wir haben die aktuellen Vorfälle und Reaktionen noch einmal zusammengefasst.

Das Hinterland der Willkommenskultur hat sich am Wochenende erneut im Osten Deutschlands von seiner hässlichsten Seite gezeigt. Fassungslosigkeit reiht sich an Wut, reiht sich an Scham. Die Bilder, die wir in den letzten Wochen zu Gesicht bekommen haben, erinnern immer öfter und immer mehr an die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992, wo sich das Anzünden des Sonnenblumenhauses in die deutsche Nachkriegsgeschichte gebrannt hat. Die letzten vier Tage zeigen aber auch, dass wir den Vergleich nicht mehr brauchen: Denn neben vielen ostdeutschen Kleinstädten haben sich nun auch das Dorf Clausnitz und die Kleinstadt Bautzen in die Reihe der rechtsradikalen Ausschreitungen gestellt. Das Bundesland Sachsen, seine Behörden und seine Regierung stehen immer mehr in Kritik, viele Jahre zu wenig für die politische Bildung der Sachsen getan zu haben und gleichzeitig auf dem rechten Auge blind zu sein. Wir haben die aktuellen Vorfälle und Reaktionen noch einmal zusammengefasst:

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Clausnitz

In Mittelsachsen an der tschechischen Grenze zwischen Chemnitz und Dresden liegt das Dorf Clausnitz. Die Einwohnerzahl sinkt seit mehreren Jahrzehnten, 2011 lebten 870 Menschen in dem Ort. Am 18. Februar erreichte ein Reisebus mit Geflüchteten eine neue Asylbewerberunterkunft, während ein etwa 100 Personen starker, fremdenfeindlicher Mob sich um den Bus scherte. Der Mob war ursprünglich eine geplante Demonstration gegen die Flüchtlingspolitik und das neue Heim in direkter Nachbarschaft. Während übliche Parolen wie „Ausländer raus!" und „Wir sind das Volk!" skandiert wurden, weigerten sich einige Flüchtlinge, den Bus zu verlassen—die Situation eskalierte, als die Polizei eingriff und einen Jungen im Schwitzkasten vom Bus in die Unterkunft zwang.

Nachdem die Videos viral gegangen waren, rechtfertigte Uwe Reißmann, Leiter der Polizeidirektion Chemnitz, das körperliche Vorgehen der Polizei Sachsen und sprach von einer Provokation seitens der Flüchtlinge. Ein Junge soll den „Stinkefinger" gezeigt haben, weswegen der Polizei auch eine Anzeige wegen Beleidigung vorliegt. Auch das Verhalten gegenüber des in den Schwitzkasten genommenen Jungen nannte Reißmann „absolut notwendig" und „gerechtfertigt".

Unterstützung erhielt die Polizei Sachsen auch vom deutschen Innenminister de Maizière, der das teilweise gewaltsame Verhalten in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin verteidigte. „Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen", sagte de Maizière. Die Situation sei für die Polizei angeblich unvorhersehbar gewesen.

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Auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig nimmt den Polizeipräsidenten und den Einsatz in Clausnitz in Schutz. „Die Polizei musste konsequent handeln und hat das getan", sagte Ulbig.

Nachdem bekannt wurde, dass der Leiter des Flüchtlingsheims ein Mitglied der rechtspopulistischen AfD ist und laut ZDF-Informationen einer der Wenigen war, der wusste, wann der Bus eintreffen sollte, ist auch sein Bruder Karsten H. in den Vorfall verwickelt. Er hat die Gegendemonstration mitorganisiert. Laut einem Interview des MDR bedauert er allerdings im Nachklang die Ausschreitungen. „Das habe ich nicht gewollt", ist das Erste, was er sagt. Weiter beschreibt er die Situation: „Es wurde von anderen Leuten hochgepuscht."

Bautzen

Foto: Imago | xcitepress

Eineinhalb Autostunden von Clausnitz entfernt zwischen Dresden und der polnischen Grenze liegt Bautzen. Dort ist in der Nacht zum Sonntag der Dachstuhl eines Flüchtlingsheims ausgebrannt. Die Löscharbeiten der Feuerwehr wurden von einem johlenden Mob behindert, unter dem auch Kinder Flüchtlinge als „Kanaken" beleidigt hätten. Später fand man zudem Brandbeschleuniger in dem ehemaligen Hotel.

Reaktionen im Überblick

Der deutscher Bundesinnenminister Thomas de Maizière verurteilte die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen als „inakzeptabel", verteidigte aber das Verhalten der Polizei als notwendig und absolut gerechtfertigt. „In Deutschland darf jeder seine Ängste und Sorgen äußern—das gilt auch für politische Meinungen, die einem nicht gefallen", sagte de Maizière am Sonntag in Berlin. „Aber es gibt eine Schwelle des Anstands und des Rechts, die nicht überschritten werden darf—und bei den Geschehnissen in Sachsen wurden diese Schwellen deutlich überschritten."

Der deutsche Justizminister Heiko Maas twitterte: „Wer unverhohlen Beifall klatscht, wenn Häuser brennen + wer Flüchtlinge zu Tode ängstigt handelt abscheulich+widerlich."

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Wer unverhohlen Beifall klatscht, wenn Häuser brennen + wer Flüchtlinge zu Tode ängstigt handelt abscheulich+widerlich. — Heiko Maas (@HeikoMaas)21. Februar 2016

Im Kontrast zum jahrelangen Schweigen gegenüber der Rechtsproblematik des deutschen Bundeslandes Sachsens fielen die Worte des deutschen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich vergleichsweise stark aus. „Das sind keine Menschen, die so was tun", sagte er über die Vorfälle in Bautzen und Clausnitz. „Das sind Verbrecher. Widerlich und abscheulich ist das."

Sachsens Innenminister Markus Ulbig nannte das Video „zutiefst beschämend". „Anstatt wenigstens den Versuch zu unternehmen, sich die Situation der Flüchtlinge zu versetzen, blockieren einige Leute mit plumpen Parolen den Weg von Schutz suchenden Männern, Frauen und Kindern", so der Minister.

Die deutsche Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt meldete sich via Twitter zu Wort: „Polizeiversagen ist ein Problem. Es nicht zu benennen ist eine Katastrophe."

Verstört. Polizeiversagen ist ein Problem. Es nicht zu benennen ist eine Katastrophe — K. Göring-Eckardt (@GoeringEckardt)20. Februar 2016

Der Chef des deutschen Bundeskanzleramts Peter Altmaier sagte gegenüber dem MDR, dass es "keine Toleranz für Gewalt gegen Flüchtlinge, keine Toleranz für Gewalt von Flüchtlingen und keine Toleranz gegen die Ausheblung des staatlichen Gewaltmonopols" geben darf.

Im Morgenmagazin warnte der Fraktionsvorsitzende der deutschen Grünen, Cem Özdemir: „Die ganze Welt weiß es, dass es in Sachsen ein Problem gibt mit Rechtsradikalismus. Das gab es schon zu DDR-Zeiten. Das kann man nachlesen. Und das muss jetzt endlich zur Chefsache gemacht werden."