Ich habe das Populismus Bullshit-Quiz gespielt

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Ich habe das Populismus Bullshit-Quiz gespielt

Endlich so sein wie Xavier Naidoo, Ken Jebsen oder Beatrix von Storch? Dieser Traum kann in Erfüllung gehen.

Was haben Xavier Naidoo und Akif Pirinçci gemeinsam? Sie sind Populisten. Zumindest, wenn es nach den Autoren des Bullshit Quiz geht. Das Spiel ist in Deutschland seit Oktober im Handel und geht so: Bis zu fünf Spieler raten, zu welchem der 30 Populisten, die das Spiel umfasst, eines von 150 ausgewählten Zitaten gehört.

Mit dabei sind etwa der Verschwörungsideologe Ken Jensen, aber auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Das allein klingt schon vielversprechend, auch wenn Kandidaten wie Percy Hoven vielleicht fehlen und eine eigene Österreich-Edition mit Susanne Winter und Co. wünschenswert wäre.

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Während des Ratens sammeln die Spieler jedenfalls sogenannte Wortkarten, auf denen Worte wie „Zensur", „Überfremdung" oder „Familie" stehen. Nach dem Raten bastelt dann jeder Spieler eine populistische Parole aus seinen gesammelten Wortkarten zusammen. „200 Wörter zum Nachplappern" verspricht der Spielkarton. Das musste ich einfach spielen.

Vorbereitung

Was zur Vorbereitung gehört: Das Spiel, 3-5 Spieler, Zettel, Stifte. Was nicht zur Vorbereitung gehört: Rotwein, Joints. Ich habe also meine Freunde Dora, Jan, Theresa und Felix zu mir nach Hause eingeladen, Rotwein aufgemacht (hoppla!) und ohne weitere Vorbereitungen angefangen.

Wir beginnen damit, 4 Populistenkarten aufzudecken. Dann geht es auch schon los. Der dümmste Spieler soll anfangen, so steht es in der Anleitung. Triumphierend greife ich nach dem Würfel und werfe eine 4.

Phase I: Quiz

Ich darf mir nun einen der Populisten aussuchen, schlage ihn im Book of Shame nach und lese das 4. Zitat vor: „Der Begriff ‚Verschwörungstheorie', der sehr gerne von Leitmedien verwendet wird, […] ist ein Propagandabegriff der CIA, der eigens erfunden wurde, um Gegner zu diffamieren." Jetzt raten die anderen, welcher der Populisten das gesagt hat. Dora und Theresa liegen mit ihrem Tipp richtig, dass dieser Satz von Udo Ulfkotte stammt. Sie dürfen als Belohnung jeweils eine „Wortkarte" ziehen. Wir sind sind ein wenig neidisch auf Theresa, die feministische YouTube-Videos produziert, weil sie direkt die „Zionisten"-Karte gezogen hat.

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Ulfkotte ist damit aus dem Spiel raus. Für ihn rückt Birgit Kelle vom Kartenstapel nach. Doch bevor die Karte von Ulfkotte zurück in den Spielkarton gelegt wird, liest Felix, der hauptberuflich Aufträge von einer linkspopulistischen Partei bekommt, den satirischen Steckbrief über Ulfkotte auf der Rückseite der Karte vor, in dem es heißt: „Von COMPACT bis PEGIDA: Udo Ulfkotte gehört zu den wichtigsten Stichwortgebern der Panik- und Verschwörungsindustrie. Seine Bestseller über gekaufte Journalisten und Islamisierung des Abendlandes erscheinen im Kopp-Verlag, auf dessen ‚Nachrichtenportal' Ulfkotte Moslems etwa bezichtigt, in einem ‚Fäkaldschihad' Nahrungsmittel gezielt mit Kot verunreinigt und so die EHEC-Epidemie ausgelöst zu haben". Fäkaldschihad, soso. Wieder was gelernt. Wir lachen. Und trinken schenken neuen Wein ein.

Ich reiche den Würfel an Dora, die jüdische Studien studiert und in der Runde die Antisemitismusexpertin ist. Sie verliest das nächste Zitat: „In den Augen der Strippenzieher an der Gender-Front stören die Eltern nur noch bei der Umformung ihrer Kinder zum neuen Menschen." Diesen Satz traue ich sowohl Birgit Kelle, der antifeministischen Autorin von Dann mach doch die Bluse zu!, als auch der Eva Herman, auf deren Steckbrief man lesen kann, dass sie nach ihrer Karriere bei der Tagesschau einen „Realitätsinfarkt" erlitt, zu, weshalb ich meinen 50:50-Joker einsetze. Ich liege dank meines Jokers richtig und ziehe eine Wortkarte mit dem Wort Lügenpresse, Rückseite: Feminismus. Passt doch.

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So geht es dann weiter, bis der Populisten-Stapel aufgebraucht ist. Manchmal wird es sehr knifflig, manchmal ist es eindeutig. Jeder kennt Erika Steinbachs legendären Tweet „Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…". Aber ob jetzt Alexander Dobrindt oder Bernd Lucke Stuttgart21 mit Minaretten in Vorgärten verglichen hat, da sind wir uns alle nicht so sicher.

Phase 2: Bullshit

Im Laufe des Spiels haben sich bei uns allen rund ein Dutzend Wortkarten angehäuft. Nur Jan, der mal bei den Piraten war, hat sich den Rauschmitteln mehr gewidmet als dem Spiel und hat nur etwa die Hälfte zusammenbekommen. Die Wortkarten haben Punkte, die durch kleine Scheißhäufchen symbolisiert werden. So hat meine Lügenpresse/Feminismus-Karte den besten Wert: vier prachtvolle Scheißhaufen. Jetzt geht es darum, selbst eine populistische Parole zu schreiben. Im Book of Shame heißt es dazu: „Habt ihr das Zeug zum Populisten?! Nachdem ihr soviel Bullshit über euch ergehen lassen musstet, seid ihr an der Reihe, auch mal so richtig auf die Kacke zu hauen!"

Das Gute: Man nutzt die Wortkarten nicht eins zu eins, sondern als Stichwortkarten, die man sehr großzügig modifizieren darf, also aus „Verschwörung" dürfen „Verschwörer", aus „Untergang" „untergehen" oder aus „Döner" dürfen „sogenannte Dönermörder" gemacht werden—alles OK, solange sich das Wort irgendwie wiederfindet. Der Rotwein stellt sich mittlerweile als guter Verbündeter heraus, das Schreiben der menschenverachtenden Parolen geht uns nach der Quizphase erstaunlich locker von der Hand. Mehrfach glucksen wir beim Schreiben vor uns hin und hoffen, die anderen mit unserem Bullshit zu überbieten.

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Mit meiner Bullshit-Parole „Die Regierung ist eine Marionette einer mächtigen Lobby, die unser Land verrät und über die Lügenpresse einen Krieg propagiert, der die Ursache für das Leid ist, das die triebgesteuerten Dönerverkäufer in unser schönes Deutschland schwemmt, um unsere Kultur zu zerstören!" rechne ich mir gute Chancen aus, lande jedoch nur knapp auf Platz 2. Gewonnen hat Theresa mit der Ansage: „Wir befinden uns in einem Kampf, ja in einem Krieg, welcher die Familie durch eine von Amerika importierte Genderismusideologie bedroht. Kurzum versuchen die Zionisten, die Welt auf widerlichste Art und Weise durch die Bevorteilung einer Minderheit unsere eigentliche Souveränität zu unterlaufen. Ein aufgezwungener Zustand der Überfremdung, dem wir nicht Folge leisten dürfen, sondern militant begegnen müssen." Für so viel Bullshit auf so engem Raum ist damit der erste Platz eindeutig verdient. Was man damit wohl auch verdienen könnte: Ein Mikrophon auf einer PEGADA-Demonstration zu sein.

Fazit: Zwischen Spaß und subtiler Aufklärung

Wir waren, auch nach einer zweiten Runde, voll begeistert. Das Bullshit Quiz ist anders als andere Quiz- und Wissensspiele. Dadurch, dass es um ein sehr spezielles Thema geht, ist es genau für diejenigen interessant, die sich nicht in der einen Runde mit Physik und in der anderen mit Geografie rumschlagen wollen, um in der nächsten Runde eine Kunstfrage beantworten zu müssen. Es geht in jeder Runde um Populismus—um Rechtspopulisten, Verschwörungsideologen und Antifeministen. Durch diese intensivere Beschäftigung mit einem Thema kommt man tiefer in die verschiedenen Facetten der diversen Ideologien hinein als bei anderen Wissensspielen.

Dadurch, dass es sich um ein Spiel handelt, kann es andere Gruppen der Gesellschaft erreichen, als diejenigen, die sich sowieso aktiv in den Medien und in den sozialen Netzwerken den Entwicklungen widmen, die Forscher „Deutsche Zustände" nennen. Statt sich beim Abendbrot über Politik zu streiten, kann man mit dem Bullshit Quiz versuchen, Menschen spielend für regressive und rechte Parolen zu sensibilisieren. Die Autoren des Spiels, Michel Goldmann und Max Hase, die beide in Sachsen, der Heimat von PEGIDA leben, haben VICE gegenüber dazu gesagt: „Dass wir dieses Spiel entwickelt haben, war eigentlich Notwehr. Vielleicht kann man einigen Leuten erst begreiflich machen, wie absurd diese ganzen Parolen sind, wenn man sie ihnen mal in geballter Form vorsetzt. Dann wird nämlich ziemlich schnell klar, wie kalkuliert die Populisten mit Sorgen und Ängsten spielen und durch die ständige Wiederholung von Schreckgespenstern und Gruselmärchen nach und nach das Klima vergiften."

Doch auch ganz abgesehen von dieser politischen Dimension macht das Spiel einfach unwahrscheinlich viel Spaß. Es ist sehr flüssig, hat klare Regeln, die nicht permanent nachgeschlagen werden müssen und ist immer wieder sehr knifflig, selbst wenn man sich auch abseits des Spiels mit Populismus, Ideologie und Menschenfeindlichkeit beschäftigt. Das Quiz ist bis ins letzte Detail liebevoll und humorvoll gestaltet—von der Anleitung, die alles andere als dröge ist, über die Illustrationen bis hin zu den satirischen Steckbriefen der Populisten.

Einen Nachteil gibt es jedoch. Das Spiel ist sehr aktuell, was bedeutet: Irgendwann ist es nicht mehr aktuell, sondern veraltet. Außerdem kann man es nicht allzuoft spielen, weil man irgendwann einfach zu viel weiß. Das schreit nach regelmäßigen Updates beziehungsweise Erweiterungssets. Denn der nächste große Populist, der als solcher spielend entlarvt werden will, kommt bestimmt.