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Nach der Ermordung seiner Freunde hat dieser Mann eine Sicherheitsfirma zum Kampf gegen den IS gegründet

„Jeder, der meine Freunde tötet, wird zu meinem Ziel. Ich werde nicht aufgeben, bis der Islamische Staat zerstört ist."

Matthew VanDyke | Alle Fotos: bereitgestellt von Matthew VanDyke

2013 unterhielt sich VICE schon einmal mit Matthew VanDyke, einem amerikanischen Dokumentarfilmer, der sich dazu entschlossen hatte, sich eine Waffe zu schnappen und in der libyschen Revolution gegen Diktator Gaddafi zu kämpfen. Seine Geschichte ist wirklich außergewöhnlich. Er ist auf dem Motorrad durch Nordafrika und den Nahen Osten gefahren, hat sich in Osama Bin Ladens Zuhause umgesehen und ist in Kriegsgefangenenschaft geraten (aus der er flüchtete, als er von Rebellen und anderen Gefangenen befreit wurde).

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In den zwei Jahren seit unserem letzten Gespräch wurden James Foley und Steven Sutloff, zwei enge Freunde VanDykes, ermordet. Aus diesem Grund hat er seine eigene Sicherheitsfirma gegründet, die den Namen Sons of Liberty International (SOLI) trägt. Mit dieser Organisation kämpft VanDyke im Irak aktiv gegen den Islamischen Staat. Außerdem ruft er humanitäre Projekte ins Leben und hat schon Hunderte irakische Milizsoldaten ausgebildet.

Wir haben uns dazu entschieden, uns erneut mit VanDyke zu unterhalten, um mehr über SOLI zu erfahren, um über die Grenze zwischen Aktivisten, Journalisten und Kämpfern zu diskutieren und um herauszufinden, wie man den IS seiner Meinung nach besiegt.

VICE: Hey Matthew. Kannst du uns zuerst mal ein bisschen von Sons of Liberty International erzählen?
Matthew VanDyke: Sons of Liberty International ist das erste militärische Vertragsunternehmen, das auf Non-Profit-Prinzipien aufbaut und in schutzlosen Bevölkerungsgruppen kostenlose Sicherheitsberatungen sowie Kampfausbildungen durchführt. Damit wollen wir erreichen, dass sich diese Menschen gegen Terroristen, Aufständische und unterdrückende Regimes zur Wehr setzen können.

Wir kommen dort ins Spiel, wo die internationale Gemeinschaft versagt hat, und reagieren schnell auf Sicherheitskrisen und bilden die lokalen Streitkräfte dazu aus, ihre eigenen Gemeinden zu verteidigen.

Worin ist SOLI derzeit involviert? Welchen Einfluss hat deine Organisation?
Derzeit sind wir im Irak aktiv. Wir stehen aber auch in Verhandlungen mit einer syrischen Miliz und haben ebenfalls schon Hilfeanfragen aus drei anderen Teilen der Welt erhalten. Bei der Gründung der Nineveh Plain Protection Units (NPU), einer assyrischen irakischen Miliz im Norden des Landes, waren wir entscheidend behilflich. Die haben wir von Anfang an beraten und ausgebildet. Von Dezember 2014 bis Mai 2015 waren wir ihre engsten Berater im Bezug auf alle möglichen Dinge—von Personalentscheidungen und dem Aufbau der Streitkräfte bis hin zu kleinen Details wie das Design des Abzeichens oder die Auswahl des Tarnmusters. Wir haben ein 330 Mann starkes Bataillon der NPU ausgebildet. Außerdem haben wir für die Feldwebel und Offiziere einen speziellen Führungskraft-Kurs eingerichtet, geleitet von einem ehemaligen West-Point-Ausbilder, der als SOLIs führender Trainer fungiert. Zusätzlich haben wir auch noch als Verbindung zwischen der NPU und dem US-Staatspersonal in Erbil agiert. Und bis heute geben wir ihnen ab und an noch Finanzspritzen.

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Genauso wichtig wie die Beratung und Ausbildung ist aber auch der Druck, den wir auf die westlichen Regierungen ausüben, die assyrischen Milizen im Irak zu unterstützen. Dabei nutzen wir unsere starke Medienpräsenz, um öffentlich auf die fehlende Regierungsunterstützung für die assyrischen Christen im Irak aufmerksam zu machen. Wir merken bereits, welche Auswirkungen diese Bemühungen haben, und es wird in naher Zukunft wohl Unterstützung für eine oder mehrere assyrische Milizen geben.

„Jeder, der meine Freunde tötet, wird zu meinem Ziel. Ich werde nicht aufgeben, bis der Islamische Staat zerstört ist, und SOLI wird alles Nötige tun, um diese Aufgabe zu erledigen."

Du hast SOLI Ende 2014 gegründet, also kurz nach den schrecklichen, vom IS verübten Morden an James Foley und Steven Sotloff. Beide waren enge Freunde von dir. Wie hat dich ihr Tod persönlich beeinflusst?
Ein paar Tage nach meiner Flucht aus einem Gefängnis in Tripolis habe ich James Foley kennengelernt und wir sind schnell gute Freunde geworden. Im Corinthia Hotel Tripolis haben wir uns das Zimmer geteilt, das mir von den libyschen Rebellen gestellt wurde. Als ich wieder in den Kampf zog, nahm ich ihn und andere Journalisten wie John Cantlie in meinem Militärfahrzeug mit an die Front, damit sie dort besseren Zugang haben und sicher berichten können. Das letzte Mal gesehen habe ich James in Aleppo, und zwar nur ein paar Wochen bevor er und John Cantlie entführt worden sind. Damals hat er für die Nachrichtenagentur GlobalPost gearbeitet und ich drehte gerade meinen Film Not Anymore: A Story of Revolution.

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Steven Sotloff lernte ich 2012 kennen und nur wenige Wochen vor seiner Entführung in Syrien haben wir in Washington DC noch zu Abend gegessen.

Beide waren gute Freunde und tolle Menschen und ihr Tod hat mein Leben verändert. Zwar hatte ich mich schon vor den Morden mit den Problemen in Syrien beschäftigt, aber nachdem sie vom IS enthauptet worden waren, konzentrierte ich mich mit meiner Arbeit darauf, gegen die Terrororganisation vorzugehen. Meine persönlichen Freundschaften zu Libyern waren damals der Katalysator für mein Handeln in Libyen und genauso waren meine Freundschaften zu James und Steven der Katalysator für mein Handeln gegen den Islamischen Staat. Neben dem ideologischen Aspekt wurde das Ganze so auch zu einer persönlichen Angelegenheit.

Und wie hat dich das Ganze als Aktivist bei der Gründung von SOLI beeinflusst?
Jeder, der meine Freunde tötet, wird zu meinem Ziel. Ich werde nicht aufgeben, bis der Islamische Staat zerstört ist, und SOLI wird alles Nötige tun, um diese Aufgabe zu erledigen.

SOLI-Kämpfer

Beim Kampf gegen den IS konzentriert sich SOLI vor allem darauf, den christlichen Milizen im Irak zu helfen. Gibt es einen bestimmten Grund, dass gerade die christlichen Gemeinschaften von euch unterstützt werden?
Meine Entscheidung, mit christlichen Milizen zusammenzuarbeiten, ist dadurch begründet, dass sie oft von der internationalen Gemeinschaft übersehen wurden und ihnen niemand half.

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Irakische Christen (Assyrer) werden dort jetzt schon seit über einem Jahrzehnt verfolgt und sie müssen fliehen. Ihre Anzahl ist von gut 1,3 Millionen im Jahr 2003 auf inzwischen vielleicht 300.000 geschrumpft. Eigentlich ist ihre gesamte Existenz gefährdet. Der Norden Iraks ist die Heimat der Assyrer und sie wohnen dort schon seit Tausenden von Jahren—länger als die Araber oder die Kurden. Und genau diese Heimat verlieren sie jetzt, weil die Leute in andere Länder flüchten müssen. Weder die Araber noch die Kurden beschützen sie und deswegen haben sie ihrer Meinung nach keine andere Wahl als zu fliehen.

SOLI hilft diesen Menschen dabei, eine eigene Streitmacht zur Selbstverteidigung aufzubauen, damit wieder das Selbstvertrauen herrscht, das zum Verbleib in der Heimat nötig ist. Bei unserer Unterstützung der Assyrer geht es aber um noch viel mehr als nur den IS.

Dazu kommt noch, dass die irakischen Christen während des Konflikts mit dem Islamischen Staat viel leiden mussten und jetzt dementsprechend motiviert sind. Moral und Motivation sind bei der Ausbildung einer Armee entscheidende Faktoren. Deshalb eignet sich diese Bevölkerungsgruppe perfekt für den Kampf gegen den IS.

Du bist ja in erster Linie ein Aktivist und zeigst resoluten Einsatz, egal worin du auch involviert bist. Arbeitest du direkt mit den Leuten vor Ort zusammen, also jetzt vor allem im Irak?
Ja, von Dezember 2014 bis Mai 2015 war ich der engste militärische Berater der NPU. Ich habe intensiv mit den Führungskräften zusammengearbeitet, um die Miliz auf die Beine zu stellen und auf den Kampf vorzubereiten. Als Berater habe ich einen ziemlich einzigartigen Hintergrund, denn ich verbinde eine akademische Ausbildung (einen Master-Abschluss in Security Studies mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten) mit meiner Kampferfahrung aus Libyen. Und der Konflikt dort war den derzeitigen Konflikten in Syrien und dem Irak doch sehr ähnlich.

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Obwohl mein Hauptaugenmerk auf der Leitung von SOLI und der Beratung von Milizen-Führungen liegt, habe ich trotzdem ab und an bei der Ausbildung der NPU ausgeholfen und bei der Ausarbeitung und Einführung der Ausbildungspläne mitgewirkt. Die Durchführung liegt dann jedoch ganz in der Hand unserer Ausbilder—alle Ex-Militärs—, denn da sind sie die Experten.

Außerdem stehe ich noch in Kontakt mit assyrischen Aktivisten und helfe bei humanitären Projekten für die nordirakische Zivilbevölkerung.

Welchen Herausforderungen müssen sich die Menschen dort stellen?
Die Assyrer und das Christentum werden im Irak vernichtet—sowohl vom IS als auch von anderen irakischen Gruppierungen, die die christliche Bevölkerung des Landes an den Rand drängen und kontrollieren wollen. SOLI steht den Assyrern bei ihren unzähligen Herausforderungen zur Seite, die sich nicht nur auf den Islamischen Staat beschränken. Da gibt es auch noch politische und sicherheitstechnische Herausforderungen, die schon jetzt einen Einfluss auf sie haben und das auch noch nach dem Sieg über den IS tun werden. Genau aus diesem Grund liefern wir ihnen auch langfristige und nachhaltige Lösungen im Bezug auf die Selbstverteidigung.

Zu diesen anderen Herausforderungen gehören zum Beispiel Binnenvertriebene, Flüchtlinge, Gebietsverlust, wirtschaftliche Schwierigkeiten und ein in der Gemeinschaft weit verbreitetes Trauma.

SOLI verteilt an Weihnachten Geschenke

Welche Erfahrung bei der Unterstützung der von der internationalen Gemeinschaft nicht beachteten Menschen hat dich dabei am meisten geprägt?
Das war wohl der Kampf in den Anfangstagen der libyschen Revolution, noch bevor sich die NATO eingeschaltet hatte. Dabei habe ich die besten und mutigsten Libyer kennengelernt, die sich trotz der minimalen Erfolgsaussichten einfach eine Waffe geschnappt haben und in Pick-Up-Trucks an die Front gefahren sind, um sich dort Gaddafis Panzern und Düsenjets entgegenzustellen. Es war eine Ehre, Seite an Seite mit solchen Männern zu kämpfen.

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Viele der SOLI-Ausbilder sind Veteranen mit Kampferfahrung und praktischer Expertise. Was motiviert sie dazu, bei deinem Unternehmen mitzumachen?
Bis jetzt besteht unser Personal nur aus Veteranen des US-Militärs, aber wir haben auch schon Bewerbungen aus dem Vereinigten Königreich und Europa erhalten. Bis jetzt sind es knapp 1000 Bewerber und die meisten davon sind US-Veteranen—inklusive einiger hochrangiger Offiziere im Ruhestand.

Aber auch ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten sind da dabei, die in privaten Militärunternehmen ein Vermögen verdienen könnten, aber dann doch freiwillig für SOLI arbeiten wollen, weil sie den Schutzlosen gerne dabei helfen, sich selbst verteidigen zu können und den IS zu besiegen.

SOLI finanziert sich durch wohltätige Spenden und Veranstaltungen. Gibt es bestimmte Leute, die dabei besonders großzügig sind?
SOLI wurde nicht als Non-Profit-Organisation gegründet, sondern arbeitet nur nach Non-Profit-Prinzipien, indem wir unsere Dienste den Leuten kostenlos anbieten, die sie wirklich brauchen. SOLI finanziert sich dabei durch die großzügigen Spenden von Menschen aus der ganzen Welt. Unsere Gönner kommen dabei aus über 20 verschiedenen Ländern, meistens jedoch aus den USA.

Amerikanische Christen zeigen dabei besonders viel Unterstützung. Jeder, der einen finanziellen Beitrag zu SOLI leistet, hilft beim Kampf gegen den Islamischen Staat und ist Teil einer Bewegung, die handelt, wenn die internationale Gemeinschaft versagt. Und dabei zählt jeder noch so kleine Betrag. SOLI ist effizienter als jede Regierung, aber unser Budget hängt zum Großteil von den Spenden ab.

Motherboard: Mit dem 3D-Drucker gegen den IS

Fühlt es sich surreal an, wenn man nach langer Zeit im Irak und in Syrien in die USA oder in die westliche Welt zurückkehrt?
Nein, überhaupt nicht. Ich genieße meine Zeit in den USA und habe auch keine Schwierigkeiten dabei, zwischen diesen beiden Welten hin- und herzuwechseln. Am einen Tag trage ich noch Tarnkleidung und arbeite mit einer irakischen Miliz zusammen, am nächsten Tag trage ich dann plötzlich einen Anzug und treffe mich in Washington DC mit hochrangigen Beamten.

Der Kampf gegen den IS fühlt sich irgendwie so an, als wäre er noch lange nicht vorbei. Ist der Front-Aktivismus für dich einen lebenslange Aufgabe?
Sons of Liberty International wird wohl mein Lebenswerk bleiben. SOLI ist innovativ und effektiv. Hier haben wir die Möglichkeit, bei Konflikten auf der ganzen Welt vor Ort etwas zu bewirken. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, SOLI im Laufe der kommenden Jahre so weit zu vergrößern, dass es keine Terrororganisationen und keine Diktatoren mehr gibt, die sich nicht im Fadenkreuz einer Gruppierung befinden, die wir unterstützen können.

Uns ist es möglich, das Ganze viel effektiver und effizienter als jede Regierung durchzuführen. Die US-Regierung gibt zum Beispiel 250 Millionen Dollar aus, um 60 syrische Rebellen auszubilden, während wir nur 50.000 Dollar brauchen, um das Gleiche mit 330 irakischen Kämpfern zu tun. Unser Model passt in das 21. Jahrhundert und wir wollen in den kommenden Jahren einen spürbaren Einfluss auf Konflikte in der ganzen Welt haben. Die westliche Welt wird von Syrien, dem Irak und dem IS vielleicht schon bald nichts mehr hören wollen, aber das ist dort nun mal die bittere Realität, die nicht einfach so verschwindet.