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Sechs Dinge, die wir von den Panama Papers lernen konnten

Kaum waren die Panama Papers Anfang April an die Öffentlichkeit gelangt, versammelten sich Tausende Menschen überall in Europa auf den Straßen und forderten den Rücktritt von hochrangigen Politikern, die in den Skandal verwickelt waren.

Symbolbild via pixabay

Kaum waren die Panama Papers Anfang April an die Öffentlichkeit gelangt, versammelten sich Tausende Menschen überall in Europa auf den Straßen und forderten den Rücktritt von hochrangigen Politikern, die in den Skandal verwickelt waren. Islands Premierminister trat zurück. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble kündigte an, neue Wege im internationalen Kampf gegen Steuerflucht gehen zu wollen. In den USA passierte rein gar nichts. Aber es waren nicht nur Politiker, selbst Jackie Chans Name fand sich auf der Liste, wenngleich bis heute niemand gefordert hat, er solle sein Amt als Kung-Fu-Legende und Produzent von abgedrehten Actionfilmen niederlegen.

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In London hingegen forderten nach Veröffentlichung der Panama Papers Tausende Demonstranten den Rücktritt des britischen Premierministers. David Cameron steht aktuell inmitten eines Skandals um ein professionelles Netzwerk zur Steuerhinterziehung aufgrund seiner Verbindung zu einer Briefkastenfirma, die einst von seinem Vater, Ian Cameron, gegründet wurde, und sticht somit aus der langen Liste illustrer Namen ganz besonders hervor.

Also trieb es die Menschen auch in Großbritannien auf die Straße.

Sie demonstrierten in Hawaiihemden als stumme Referenz auf die exotischen Orte, an denen die Reichen der Welt ihr Geld verstecken; sie demonstrierten in Bermudashorts, den Strohhut auf dem Kopf. Und nicht nur optisch einte sie eines: Sie waren der Überzeugung, dass ihr Premierminister gegen seinen sozialen Auftrag verstoßen hatte. Während die arme Masse mit dem, was von ihrem kümmerlichen Lohn an Steuern abgezogen wird, den Staat am Leben erhält, schleust der liebe David sein Geld einfach durch ein paar Schlupflöcher und juristische Winkelzüge ins Trockene—genau wie Putin, genau wie der isländische Premierminister und genau wie Tausende namenlose Banker, die 2008 bereits die Weltwirtschaft an die Wand gefahren hatten.

Das ist zumindest das, was wir denken wollen. Genauer betrachtet hat sich Cameron wohl nichts zu Schulden kommen lassen. Wenn, dann war es sein Vater, der den Stein damals ins Rollen brachte. Da der aber seit einiger Zeit nicht mehr unter uns weilt, und man wohl nur schwer einen Toten vor Gericht stellen oder eben stattdessen seinen Sohn anklagen kann, wird sich David wohl, zumindest was das Juristische angeht, entspannt zurücklehnen können. Aber selbst wenn sich das noch ändern würde, wäre er in bester Gesellschaft: Laut ARD zählen immerhin Zwölf Staatsoberhäupter und 128 weitere Politiker zu den Profiteuren aus den Panama Papers. Und wer sich schon von Berufs wegen perfekt mit Geheimniskrämerei und allerlei zwielichtigen Verbindungen auskannte, der dachte wohl auch, dass es eine gute Idee sei, rund ein Dutzend Briefkastenfirmen in Übersee zu betreiben—so wie der ehemalige deutsche Geheimagent Werner Mauss. Früher hatte er Verbindungen ins Bundeskanzleramt, jetzt ermittelt eben die Staatsanwaltschaft. Grund genug also, sich das einmal genauer anzusehen. Wenn du also noch keine Ahnung hast, wie all die Reichen mit Briefkastenfirmen und Steuerschlupflöchern ihre Schäfchen ins Trockene bringen, kommt hier die Anleitung.

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STEUERVERMEIDUNG VS. STEUERHINTERZIEHUNG

Seit Veröffentlichung der Panama Papers gab es einiges an Diskussionen um den Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Einfach gesagt, das Zweite ist legal und das andere nicht.

Für Alex Cobham, Leiter von Tax Justice Network, das weltweit für Steuertransparenz kämpft, ist der Unterschied relativ simpel: "Im Wesentlichen bedeutet Steuervermeidung, dass du den Steuerbehörden keine Informationen vorenthältst, sondern du legst ihnen einfach eine Argumentation vor, mit der du darlegst, dass deine Steuerpflicht gemäß der Richtlinien niedriger liegt, als es die Behörden ansonsten annehmen würden."

So haben zum Beispiel über 50.000 Haushalte in New York 2013 keinerlei Einkommenssteuer bezahlt, obwohl sie alle zusammengerechnet auf knapp 1,8 Milliarden US-Dollar an Kapitalerträgen, Dividenden und natürlich Löhnen kamen. Wie bitte? Wie Doug Turetsky, Leiter der Finanzbehörde der Stadt erklärt, "wissen diese Menschen einfach, wie man Abschreibungsobjekte nutzt und auf dem Papier Verluste generiert." Wenn du keinen Schimmer hast, was das bedeutet, bist du damit nicht allein. Aber um es kurz zusammenzufassen, ein Abschreibungsobjekt ist ein Unternehmen oder Grundstück, das keinen Gewinn erwirtschaftet, was bedeutet, dass der Besitzer dafür keine Steuern zahlen muss. Wenn du verdammt reich bist, hast du mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine Menge Immobilien oder Firmen, also kannst du dir einfach ein paar raussuchen, die mies laufen und deine Gewinne dagegenrechnen. Boom. Null Einkommenssteuer und alles komplett legal.

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Hinterziehung hingegen "umfasst, dass du vortäuschst, etwas zu tun, das du gar nicht machst", also zum Beispiel "zu behaupten, dass dir eine Firma gar nicht gehört oder ein Bankkonto nicht deins ist." Ganz vorne mit dabei war da etwa mein alter Held und Blade höchstpersönlich, Wesley Snipes. In den 90ern schaffte es Wesley über Jahre, einfach keine Steuern zu zahlen, obwohl er mit Filmen wie White Men Can't Jump, Demolition Man und To Wong Foo, Thanks for Everything! in der Zeit Millionen scheffelte. Manche witzelten, er schrieb einfach immer 0$ auf das Formular, wenn er eigentlich 50.000.000$ eintragen müsste. Andere vermuteten, er habe sich einfach selbst zum Staatenlosen erklärt. Wie auch immer er es damals gemacht hat, Snipes wurde der Steuerhinterziehung überführt und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

ALLES KLAR SOWEIT. ABER WAS IST DANN DAS PROBLEM MIT STEUERVERMEIDUNG?

Nun, abseits des Wörterbuchs ist das Wörtchen "legal" offen für eine Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten. Soll heißen, im Alltag wird aus Vermeidung ganz schnell Hinterziehung und so was wie Moral oder Fairness lässt man den Armen übrig, die brav ihre Steuern zahlen.

In Cobhams Worten: "Jeden Tag und in Gerichtssälen auf der ganzen Welt tritt eine Schar an Anwälten an und erklärt, dass eine bestimmte Sache ganz normal angegeben war und es eine legitime Technik zur Steuervermeidung ist, während die Gegenseite behauptet, dass etwas fehlt und es sich um Steuerhinterziehung handelt. Und jeden Tag entscheiden Richter, dass eine der beiden Seiten recht hat und die andere nicht."

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Wie schon O.J. Simpson kannst du mit einer ganzen Menge durchkommen, solange du einen guten Anwalt hast. Wenn es um Steuern geht, so gibt es laut Cobham "eine gewaltige Grauzone".

Und diese Grauzone wird noch einmal verschwommener, wenn man die Stadtgrenzen hinter sich lässt. Oder gleich das ganze Land.

WARUM OFFSHORE?

Ein Konto in Übersee zu haben, ist grundsätzlich nicht das Problem. Wie Cobham treffend bemerkt: "Jeder Ort ist Übersee für einen anderen Fleck auf der Welt." Aber, wenn du ein Schweizer Konto hast, das auf eine Firma aus Panama läuft, die von einem Typen geleitet wird, der genauso heißt wie dein Haustier, dann wird die schöne "Ich schreibe wie ein Kleinkind und vertausche manchmal einfach Buchstaben"-Verteidigung á la Harry Redknapp schnell unglaubwürdig.

Die Sache ist doch, wenn du so einen Aufwand betreibst, um dein Geld zu verwahren, hast du mit ziemlicher Sicherheit etwas zu verheimlichen. Der treusorgende Ehemann geht um Mitternacht garantiert nicht einkaufen, sondern eben einfach in den Puff, und kein Milliardär investiert in einer Bananenrepublik, es sei denn, er umgeht damit zu Hause eine Menge Steuern. "Den Schaden hat die Gesellschaft", erklärt Cobham. "Es geht ja nicht darum, bewusst am anderen Ende der Welt zu investieren, sondern da im Dunkeln zu agieren und das auszunutzen, anstatt transparentere Möglichkeiten zu verwenden. Leute, die das machen, haben ganz einfach etwas zu verheimlichen."

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Aber fang nicht an zu glauben, dass diese Steueroasen sich nur auf exotischen Inseln verstecken. Einige der größten Konzerne der Welt teilen sich als Anschrift ein unscheinbares Bürogebäude in Wilmington, Delaware. Kein Witz, Delaware. Heimat von Joe Biden und der erste Bundesstaat, der 1787 die amerikanische Verfassung ratifiziert hatte. Und dazu einer der Orte mit den unternehmerfreundlichsten Steuergesetzen der Welt. In den Augen mancher sogar noch einladender als die Cayman-Inseln.

Auch das nicht so tropische Delaware ist eine Steueroase. Foto: Dough4872 | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Aber was kann man tun, um solche Anlaufstellen fernab heimischer Gesetze und Steuerrichtlinien zu verhindern? Cobham erklärt, dass die Handelsregister öffentlich einsehbar sein müssen und man damit auch über regionale Steuergrenzen hinaus für einen "automatischen Austausch von steuerrelevanten Informationen" sorgt. Angesichts der komplexen Struktur des amerikanischen Föderalismus wird das in Delaware wohl nicht so bald passieren.

SCHLECHTES GEWISSEN MAL BEISEITE, BRINGEN STEUEROASEN MENSCHEN IN ECHTE PROBLEME?

Ja. Sobald die Ermittlungen richtig laufen, werden wir in Folge der Panama Papers wohl schon bald eine ganze Menge reiche und mächtige Personen in Handschellen sehen. So wissen wir zum Beispiel schon jetzt, dass die Dokumente eine Menge Details über die diversen Wege der Geldwäsche eines mexikanischen Drogenkartells enthalten. Entsprechend werden alle, die darin verstrickt sind, in naher Zukunft wohl muy triste aus der Wäsche gucken—oder eher aus ihrem Zellenfenster, und das für eine ganz schön lange Zeit.

Aber auch abseits der Panama Papers haben die vermeintlichen Steueroasen einer Menge Leute mit einer Menge Geld eine Menge Ärger eingebracht. Weil die Bundesdruckerei nach ihrer Privatisierung ebenfalls auf zwielichtige Geschäfte mit einer Briefkastenfirma in Venezuela setzte, stand sie 2009 kurz davor, wieder verstaatlicht zu werden. Und als wohl bekanntester Steuersünder Deutschlands darf Uli Hoeneß seit diesem Jahr seine Würstchen erstmals wieder in Freiheit, aber immer noch auf Bewährung genießen. Hoeneß erhielt erst Hafterleichterungen und wurde nach knapp zwei dann vorzeitig entlassen, weil er reumütig rund 30 Millionen Euro an Steuern nachgezahlt hatte.

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Aber es geht auch noch eine Nummer größer. So hätte laut Ausführungen des griechischen Premierministers George Papandreou der Bailout verhindert werden können, würden nicht 21.000.000.000.000$ (seine Schätzung, nicht unsere) in den Steueroasen der Welt schlummern. Die massivste Finanzkrise des 21. Jahrhunderts wäre mit einem Handschlag vom Tisch.

WAS KOMMT AUF DAVID CAMERON ZU?

Nicht viel. Außer einer Menge öffentlicher Entrüstung und einem tiefen Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, die er vertritt. Aber für jemanden, der bereits Piggate überlebt hat, ist das wohl zu verkraften. "Es ist unangenehm für Cameron", erklärt Cobham. "Aber soweit wir das aktuell überblicken können, hat er alles ordentlich bei den Behörden angegeben. Was er aber meiner Meinung nach falsch gemacht, ist zu behaupten, dass die Firma seines Vaters nicht ursprünglich dazu dienen sollte, Steuern zu vermeiden."

Es hat einen gewissen Beigeschmack (einen ziemlich intensiven sogar), aber auch nicht mehr.

WIE SIEHT ES BEI ANDEREN REGIERUNGSCHEFS AUS?

Islands Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ist bereits von seinem Amt zurückgetreten. Die Panama Papers weisen darauf hin, dass er und seine Familie Millionen in Offshore-Accounts versteckt hatten. Nach einer Reihe massiver Proteste machte er die Entscheidung zum Rücktritt öffentlich. Jemanden, der gestählt und mit nacktem Oberkörper angeln geht, um sich vom autoritären Regieren zu erholen, wird die öffentliche Meinung oder gar bürgerlicher Protest hingegen eher kalt lassen. Ganz recht, auch Wladimir Putins Name fand sich in den geleakten Daten.

Allerdings ist es zu bezweifeln, dass irgendeine Demonstration Putin zum Rücktritt bringen würde. Und selbst wenn auf einmal Interpol für einen kurzen Plausch vor der Tür stehen würde, gäbe es wohl nur eine interessante Begegnung mit dem KGB. Und selbst davon werden sie dann nicht mehr berichten können.

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Und Barack Obamas Verstrickungen in zwielichtige Offshore-Accounts? Negativ. Barack ist sauber. Genau wie seine gute Freundin Angela Merkel und—soweit das aktuell zu überblicken ist—auch alle weiteren bekannten deutschen Politiker. Na, immerhin. Bezüglich Österreich tauchen neben dem Namen eines ehemaligen bekannten österreichischen Bankers übrigens auch Verbindungen zu Raiffeisen International und der Hypo Vorarlberg in den Dokumenten auf.

WIE GEHT ES WEITER MIT STEUERSCHLUPFLÖCHERN UND FINANZIELLEN TRICKSEREIEN?

Seit Veröffentlichung der Panama Papers stellt sich die Welt eine Menge Fragen. Werden Regierungschefs weiter ihr Vermögen in Offshore-Accounts verstecken? Bleibt es auf den Inseln bei einer Gesetzgebung, die diese Orte zur Schattenbank ohne Regeln und Beschränkungen macht? Werden noch mehr bekannte Namen auftauchen, noch mehr zwielichtige Geschäfte und noch mehr Fäden zu den Händen derer, die sonst die Welt leiten?

Das ist leider ziemlich wahrscheinlich. Es sieht zumindest aktuell nicht danach aus, als würde sich groß etwas ändern. In Irland hatten die Proteste zwar einen sichtbaren Erfolg, in Großbritannien wiederum sieht das etwas anders aus und in Russland müssen wir wohl gar nicht erst anfangen zu hoffen. Aber zumindest hat der Protest gezeigt, dass wir nicht länger alles hinnehmen. Wie Cobham es ausdrückt: "Es geht hier mehr um Verantwortungsbewusstsein als um juristische Haarspalterei. Die öffentliche Wut richtet sich gegen eine Elite, die sich bewusst nicht so verhält, wie es von uns jeden Tag erwartet wird."

Aber hatten wir das nicht alles schon einmal? Kommt dieser Zorn nicht immer mal wieder kurz an die Oberfläche und wird dann von der nächsten schlagzeilenträchtigen Krise geschluckt? Ob Occupy-Proteste oder aktuelle Rücktrittsforderungen weltweit, die finanziellen Tricksereien der Mächtigen haben uns wütend gemacht. Die Weltwirtschaft stand in der Krise, wir haben eine Rezession durchstanden und noch immer schieben die Schlipsträger, die all das verursacht haben, ihr Geld durch ein abstruses Netzwerk aus Steueroasen und legalen Schlupflöchern. Der britische Premierminister hat von seinen Eltern eine halbe Million hinterhergeworfen bekommen. Putin ist gerüchteweise reicher als Gott und datet dazu noch Wendi Deng. Viele sagen angesichts dessen, das System sei am Arsch. Vielleicht ist es mittlerweile so am Arsch, dass es nicht mehr zu retten ist?

Cobham sieht das anders: "Mein Gefühl sagt mir, dass wir an einem entscheidenden Punkt sind und sich einiges ändern wird, denn die Wut wird nicht einfach verschwinden. Die Menschen fordern jetzt wirkliche Transparenz. Manche Politiker werden sich sträuben, aber wir werden wohl in zwei bis drei Jahren soweit sein."

Vermutlich müssen wir also einfach abwarten.