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Sex

Die Geschichte des Klitoris-Piercings

Lasst euch von Christina Aguilera nicht täuschen—Intimpiercings sind schon seit mehreren Jahrhunderten en vogue.

Foto: Tracie Egan Morrissey

Dieser Artikel ist zuerst bei Broadly erschienen.

Egal ob nun die Dayak-Ureinwohner von Borneo oder Christina Aguilera zu ihrer „Dirrty"-Phase, Frauen lassen sich ihre Klitoris schon seit Jahrhunderten piercen. Damals, als sie vor allem durch ihr Album Stripped sowie ihre freizügigen Outfits von sich reden machte, brachte die Popmusikerin im Rolling Stone auch den Reiz eines solchen Piercings auf den Punkt: „Ich fand es einfach erotisch—und das an einer Körperstelle, für die die meisten Leute nicht den Mut hätten." Klitoris-Piercing-Motivation Nummer Eins waren und bleiben aber auch weiterhin Sex sowie der Drang, das Liebesspiel so besonders und aufregend wie möglich zu gestalten.

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Vom Kamasutra hin zu den Dayak-Ureinwohnern

Obwohl der Begriff „Klitoris-Piercing" (im Bezug auf die Klitoriseichel) weit verbreitet ist, sind Piercings in der eigentlichen Klitoris aufgrund des Risikos eines Empfindungsverlusts eher rar gesät. Stattdessen werden häufiger die Bereiche um die Klitoriseichel herum durchstochen und da gibt es dann verschiedene Varianten.

Studien des Departments of Forensic Pathology an der University of Leicester haben gezeigt, dass Intimpiercings (und dabei vor allem Klitoris-Piercings) auch weiterhin vor allem gestochen werden, um die Empfindung beim Sex zu erhöhen. Während des Akts stimuliert die durch den Schmuck verursachte Reibung die 8.000 Nervenenden, die sich in diesem kleinen, aber dennoch hocherogenen Körperteil befinden.

Schriftlich erwähnt werden Intimpiercings zum ersten Mal im Kamasutra (also ungefähr im Jahr 300 vor Christus), der traditionellen Sanskrit-Niederschrift zum Akt der Liebe. In Vatsyayana Mallanagas Überlieferungen ist die Rede von Genitalschmuck wie Steckern oder Penisstäben, der sowohl dekorativ wirken als auch die sexuelle Erregungen bei beiden Partnern erhöhen soll.

Zwei Dayak-Ureinwohnerinnen | Foto: Wikimedia Commons

Die Dayak-Ureinwohner von Borneo waren wohl der erste Stamm, dessen Mitglieder mit solchen Accessoires ausgestattet wurden. Dabei stach man den Männern Knochenstücke durch die Eichel—heutzutage ist dieses Piercing als Apadravya (vertikal) oder Ampallang (horizontal) bekannt. Dem Journal of the Association of Professional Piercers zufolge haben Dayak-Frauen das Recht, von ihrem männlichen Partner zu verlangen, sich einen solchen Körperschmuck anlegen zu lassen. Wenn der Mann dem nicht zustimmt, dann darf sich die Frau offiziell von ihm trennen. Bei den Dayaks gibt es nämlich eine Redensart: „Das Liebesspiel ohne diesen Zusatz ist bloßer Reis. Mit diesem Zusatz ist es Reis mit Salz."

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Schon seit Jahrhunderten ist der Stich durch die Klitorisvorhaut die beliebteste Klitoris-Piercing-Variante—sowohl bei den Dayak-Frauen als auch im Allgemeinen. Dieses klassische Piercing kann je nach persönlichem Geschmack vertikal oder horizontal gestochen werden. En vogue waren auch schon immer Piercings an den inneren und äußeren Schamlippen. Die Frauen der Dayaks dehnten ihre Piercings traditionellerweise auch, indem sie da unten dicke Goldringe trugen, die die Schamlippen nach unten zogen und somit deutlicher hervorstehen ließen.

Von links nach rechts: ein Schamlippen-Piercing, ein horizontales Vorhaut-Piercing und ein vertikales Vorhaut-Piercing | Illustration: bereitgestellt von Tattoo Alley Body Art

Die westliche Welt: Entdecker, Matrosen und trendige Viktorianerinnen

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts waren Intimpiercings in der westlichen Welt quasi unbekannt. Genauso wie die Kunst des Tätowierens wurde das Ganze nach und nach durch die ethnographischen Berichte von Entdeckern des 19. Jahrhunderts eingeführt. Ein Beispiel hierfür ist der niederländische Forscher Anton Willem Nieuwenhuis, der zwischen 1890 und 1900 ausgiebig durch Borneo gereist ist und in seinem Buch In Centraal Borneo: reis van Pontianak naar Samarinda über seine Entdeckungen schrieb. Dabei erzählt er auch davon, wie bei den Ureinwohnern Intimpiercings gestochen wurden.

Elayne Angel, die Autorin des Buches The Piercing Bible, erklärt darin, dass in dieser Ära Matrosen mit Tattoos und Piercings nach Europa zurückgekehrt sind und damit Soldaten, Minenarbeiter und selbst die viktorianische Oberschicht inspiriert haben. So gab es Ende des 19. Jahrhunderts auch einen kurzlebigen Nippel-Piercing-Trend.

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Die Geburt des modernen Piercings in in Los Angeles

70 Jahre später finden wir uns im von der Sonne geküssten Los Angeles wieder. Damals waren viele Dinge angesagt, zum Beispiel Disco-Musik, Amphetamine, Pool-Partys, Hollywood-Punks und auch die Piercing-Pioniere Jim Ward und Doug Malloy. Die beiden waren vor allem für ihr Engagement in der homosexuellen BDSM-Szene bekannt und sie machten Intimpiercings in Kaliforniens aufstrebender Body-Mod-Gemeinschaft salonfähig.

Malloy, der eigentlich Richard Simonton hieß, führte dabei ein Doppelleben: Tagsüber war er ein reicher Geschäftsmann mit Frau und Kindern, aber nachts wurde er dann zu Malloy, einem Piercing-Enthusiasten und schwulen Sadomaso-Fachmann. Ward, den MTV einst als „Großvater der modernen Piercing-Bewegung" bezeichnete, etablierte verschiedene Piercing-Techniken und auch Schmuckdesigns wie Klemmkugelringe oder Barbells.

Malloy unterstützte Ward finanziell und ermutigte ihn dazu, ein eigenes Piercing-Studio zu eröffnen, das schließlich den Namen Gauntlet erhalten sollte. Das Gauntlet feierte 1978 auf dem Santa Monica Boulevard in West Hollywood Eröffnung und war in den USA das erste seiner Art. Dort wurde auch das weltweit erste Piercing-Magazin Piercing Fans International Quarterly (PFIQ) produziert—eine Hochglanzillustrierte in Farbe, die aufgrund der expliziten Abbildung von nackten Körpern und des Piercing-Vorgangs auch für viele Kontroversen sorgte.

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Von den Modern Primitives bis hin zu Janet Jackson

Während der 80er Jahre fanden Intimpiercings bei den sogenannten Modern Primitives immer mehr Anklang—ein Umstand, der die Piercing-Kultur auch in größeren alternativen Gemeinschaften wie dem Punk ankommen ließ. Indem sie sich so viele Sicherheitsnadeln wie nur möglich durch die Haut jagten, lebten Punks mithilfe des Körperschmucks ihre Art der Rebellion voll aus. Und da sich auch die Massenmedien immer mehr mit dieser Subkultur befassten, kam die breite Öffentlichkeit jetzt ebenfalls mit diesem Thema in Berührung.

Klitoris-Piercings waren dennoch auch weiterhin eine Seltenheit. So erklärte Malloy in einem PFIQ-Artikel, dass sich zwar schon einige Frauen ein solches Piercings stechen ließen, das Ganze aber trotzdem nicht sehr häufig vorkommen würde. In einem Interview aus dem Jahr 1989 meinte Ward, dass er in seinen zehn Jahren als professioneller Piercer nur ein halbes Dutzend Frauen da unten gepierct hätte.

Um die Jahrtausendwende herum gab es dank eines weit verbreiteten Medieninteresses und gepiercten Stars einen erneuten Popularitätsschub für Genital-Piercings. Dabei veranstaltete Janet Jackson zum Beispiel Piercing-Partys und erzählte ganz offen von ihrem Schamlippen-Schmuck (sie bezeichnete das Ganze allerdings eher als „Down South"). Und wer erinnert sich nicht an das Paparazzi-Foto von Lady Gagas funkelndem Intimbereich? Zwar sind Genital-Piercings immer noch ein Aufsehen erregendes Thema, das sich aber inzwischen im Mainstream breitgemacht hat, da immer mehr Frauen die sexuellen Vorteile nutzen wollen, die ein solcher Körperschmuck mit sich bringt.

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Klitoris-Piercings—eine schmerzhafte und umstrittene Angelegenheit

In den vergangenen Monaten haben sich aber nicht nur Klatschzeitschriften mit dem Thema Intimpiercings beschäftigt, sondern auch die Gesetzgeber des Vereinigten Königreichs. In einer neuen Regelung stuft das dortige Gesundheitsministerium Frauen mit gewollten Klitoris- oder Schamlippen-Piercings als Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung ein. Diese neue Regelung richtet sich nach der Weltgesundheitsorganisation WHO, die solche Piercings in einer vierten Variante der Verstümmelung zusammenfasst: „Alle anderen schädlichen sowie nicht-medizinischen Modifikationen des weiblichen Geschlechtsteils, zum Beispiel Durchstechen, Piercen, Einschneiden, Ausschaben und Verätzen."

Die Tattoo and Piercing Industry Union ist aber dennoch weiterhin der Meinung, dass Piercings mit Genitalverstümmelung nichts zu tun haben. So wurde gegenüber BBC Newsbeat gesagt, dass es für die Ernsthaftigkeit des Themas Genitalverstümmelung nicht gerade zuträglich sei, wenn man darin einvernehmliche Piercings mit einschließt." In den 29 Jahren, in denen Genitalverstümmelung im Vereinigten Königreich schon als Verbrechen angesehen wird, wurde dort jedoch noch kein einziges dadurch begründetes Strafverfahren eingeleitet—trotz Schätzungen, dass im Vereinigten Königreich heutzutage rund 170.000 Frauen und Mädchen mit Genitalverstümmelungen leben.

Hoffentlich ändert man das Gesetz in Zukunft noch so ab, dass zwischen gewollter Body Modification und unfreiwilliger Misshandlung unterschieden wird. Bis dahin bleiben Klitoris-Piercings wohl auch weiterhin das süße Geheimnis von Frauen, die ihren Schmuck lieber an etwas diskreteren Körperstellen tragen.