Mit Parteiwechseln kennt sich die ÖVP ja aus. Nur passiert die Politiker-Osmose normalerweise in die Gegenrichtung—also hin zur und nicht weg von der sogenannten „Volkspartei". Wie Dienstag Früh bekannt wurde, wechselt jetzt die Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, Ursula Stenzel, für die kommende Wien-Wahl zur Liste der selbsternannten „Arbeiterpartei" FPÖ.
Da Stenzel als hochkulturaffine Kostümträgerin mit Altwiener Nasalsprech-Habitus weder das Volk, noch die Arbeiter repräsentiert, sind wahrscheinlich beide Parteien als Heimat gleich angemessen.
„Ich bin ein Symbol dafür, dass die FPÖ wählbar ist und sein muss", sagt Stenzel. Wer jetzt verwirrt ist, darf sich hinten anstellen. Denn während die ÖVP in leibhaftiger Gestalt von Reinhold Lopatka beim Wechsel von Kathrin Nachbaur und Rouven Ertlschweiger zur Volkspartei noch beteuerte, dass zwei neue Gesichter nicht gleich den Kurs einer Partei ändern würden, sagt Stenzel damit quasi das Gegenteil.
Andererseits: Dass Lopatka und Stenzel sich nicht ganz einig sind, passt irgendwie auch wieder ganz gut dazu, dass zweitere mit ersterem nicht mehr unter demselben Parteidach stehen will. Zumindest nimmt's Lopatka mit Humor:
Lopatka hat einen Clown gefrühstückt: "Es kommt vor […] Ich habe es aber lieber, wenn jemand zu uns kommt." http://t.co/tTrwl2JZOm
— Christian Wagner (@obichan) 1. September 2015
Was Ursula Stenzel angeht, kann man nur gratulieren, dass ihr offenbar sehnlicher Wunsch erhört wurde. Ursula, dein Transpi war nicht umsonst.
Sie wurde erhört! — Herwig-Hakan Mader (@hmader)September 1, 2015
Vor allem bei einer Christlichsozialen wie Stenzel ruftso ein Karriereschrittnatürlich auch wieder Bibelassoziationen hervor, aber da muss man drüberstehen.
Zwecks Machterhaltung würd' die — Belle ✩☠✩ Stringer (@lou_hefner)September 1, 2015
Dass die FPÖ und Ursula Stenzel ihre gestrige Pressekonferenzen am selben Ort und zur selben Zeit veranstaltet haben, wurde übrigens im Vorfeld noch als „reiner Zufall" bezeichnet. Wer der FPÖ jetzt unterstellt, gelogen zu haben, braucht dringend Politiknachhilfe. Dort lernt man, dass „reiner Zufall" Volksvertreter-Slang für „volle Absicht" ist.
Schon lustig: Da treffen sich Strache & Stenzel heute aus 'reinem Zufall' und vereinbaren gleich eine Zusammenarbeit. — Phil Aich (@phil_aich)September 1, 2015
Andere legen Stenzel zwar schon den großmütterlichen Ruhestand nahe, aber solange es noch Clubs an die Öffnungszeiten zu erinnern und neue Pelzmäntel auf der Kärntner Straße aufzutragen gibt, hat die Welt sicher nicht das Letzte von Ursula gesehen.
"Kann sie nicht wie eine normale Oma stricken?" Mein Lieblingskommentar zur neuen FPÖ-Kandidatin :)
— Eva Zelechowski (@evazet) 1. September 2015
Gut, es ist vielleicht nicht alles Politik, was sie macht und manches sogar Stand-up-Comedy—aber wer weiß schon so genau, wo die Grenze liegt. Ich kann mir Ursula Stenzel jedenfalls gut im Vorprogramm von Louis CK vorstellen. Vor allem mit diesem gigantischen Abschluss-Gag hier. Pures „Nasal Cabaret":
Ursula Stenzel und die Mohnstrudelmafia — Markus Sulzbacher (@msulzbacher)September 1, 2015
Bei diesem Feuerwerk an Pointen (ein Wort, das distingierte Menschen wie Stenzel übrigens „Po-öh-ten" aussprechen) darf man schon auch mal einen Witz auf ihre Kosten abschießen:
Zumindest holt sich die FPÖ mit Ursula Stenzel ein Stück Kompetenz in Sachen Flüchtlingsthematik ins Boot. Immerhin war die Bezirksvorsteherin selbst schon „wie ein armer Flüchtling [untergebracht], der ohne Pass reist"—und damit meint sie, in einem Kellerzimmer.
Ursula Stenzel, eine Charakterbeschreibung in 49 Sekunden — B. Narodoslawsky (@dernaro)September 1, 2015
Dass man sich in der Vergangenheit auch nicht immer verstanden hat und Strache vs. Stenzel schon nach dem nächsten Bezirksmania-Mainevent geklungen hat, ist in der Politiklandschaft auch nichts, auf dem man jetzt herumreiten müsste.
Aber das Beruhigende ist: Angesichts der absoluten Zahlen ist der Wahlausgang im 1. Bezirk zum Glück auch ein bisschen wurscht.
8.691 Menschen waren 2010 im Ersten wählen. Wirklich relevant ist es ja nicht wer da Erster wird, und dennoch spannend wie nie. — Martin Thür (@MartinThuer)September 1, 2015
Es sei denn, Stenzel gewinnt und macht sich an die Umsetzung dieses Plans.
Ich glaube allerdings, dass wir uns vor dieser Dystopie nicht wirklich fürchten müssen—nicht etwa, weil Stenzel die Installation einer Kuppel oder eines Bezirkszauns nicht zuzutrauen wäre, sondern weil distinguierte, arrivierte Menschen wie sie natürlich nicht fernsehen und die Anspielung daher nicht verstehen.
Wer sich jetzt wirklich immer noch wundert, den erinnere ich an dieser Stelle noch mal an Stenzels schöne Interview-Perle von DiePresse, wo sie die ÖVP bereits im Jahr 2013 als „zu liberal" bezeichnete.
Ich hoffe jedenfalls für Stenzel, dass sie als FPÖ-Kandidatin nie wieder in Zimmern auf Fußbodenhöhe (Auge in Auge mit dem Pöbel) nächtigen muss—und dass sie den Wechsel zu der Partei nicht bereut, die aus allem einen Reim macht.
Markus auf Twitter: @wurstzombie
Originalfoto: Franz Johann Morgenbesser | Wikimedia Commons | CC BY-SA 2.0