Popkultur

Warum 'Too Hot To Handle' die beste Trash-TV-Show für diesen Corona-Sommer ist

Ich bin froh, wenn ich mich mit einem Drama befassen kann, das nicht mein eigenes ist.
Im Vordergrund cremt ein Mann einer Frau den Po mit Sonnencreme ein, links hinter ihm küssen sich eine Mann und eine Frau und daneben lacht ein Mann im Nashorn-Kostüm, sie sind Kandidatinnen bei Too Hot to Handle.
Fotos: Tom Dymond/Netflix | Collage: VICE

Zehn attraktive Singles, die den Sommer ihres Lebens erleben wollen: eigentlich kein besonders originelles Konzept für eine Trash-TV-Serie. Trotzdem wird Too Hot To Handle nächstes Jahr eine dritte Staffel bekommen.

Anders als die Reality-TV-Serien von Sat.1 oder RTL, die irgendwo auf einer Insel stattfinden und von Batida de Coco gesponsert werden, scheint bei dieser Netflix-Serie eher das Gegenteil von "sex sells" zu gelten. 

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Denn in dieser Show geht es vor allem um Abstinenz. Für alle, die im ersten Lockdown abgelenkt waren, Spanisch gelernt haben, sich um einen Kombucha-Pilz kümmern mussten oder ihre Wohnung renoviert haben, darum geht es: Zehn sehr schöne Mittzwanziger mit Bindungsängsten sollen über Wochen in einer Villa wohnen, einige Stunden nach ihrer Ankunft erfahren sie, dass Knutschen, Sex, Selbstbefriedigung und jegliche anderen sexuellen Handlungen verboten sind. Sollten sie gegen diese Regeln verstoßen, wird jedes Mal etwas von den insgesamt 100.000 Dollar Preisgeld abgezogen.

Und das ganze Spektakel wäre keine amerikanische Serie, würde es sich nicht unter dem Vorwand der Selbstoptimierung abspielen. Die Kandidatinnen sollen nämlich lernen, engere Beziehungen mit Leuten einzugehen und ihre Bindungsangst zu überwinden. Überwacht wird die Entwicklung von einer künstlichen Intelligenz, die Lana heißt und als blinkender Kegel, der im Raum steht, alles überwacht. 


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Das alles geschieht in einem Luxusresort, mit einem Pool, der sich um die Villa schlingt. Aus den Aufnahmen könnte man ohne Probleme einen Werbespot für Rasierschaum für glatte Beine, Corona-Party auf den Turks- und Caicosinseln, Sonnencreme (Warum hat da nie jemand einen Sonnenbrand?), Leichtsinn oder die Gratwanderung zwischen Narzissmus und Selbstbewusstsein zusammenschneiden.

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Reality-TV lebt davon, dass es sich ein bisschen verboten anfühlt. Wenn mich jemand fragt, was ich gerade schaue und es ist Der Bachelor, dann stelle ich immer ein "Ich weiß es ist trashy, aber …" voran, bevor ich sage, welche Show es ist. Ich schäme mich für mich selbst und oft schäme ich mich für die Kandidatinnen. Diese beiden Formen von Scham werden durch diese Show geschickt abgelenkt. 

Durch die Kommentatorin Desiree, die die Geschehnisse durch Seitenhiebe auf eine sarkastische Ebene hebt. Uns wird kommuniziert: "Wir nehmen uns nicht so ernst." Also setzt bei mir kein Schamgefühl ein. 

Diese Fremdscham gegenüber den Kandidaten geht oft mit einer Hierarchie zwischen Zuschauer und eben diesen Kandidaten einher. Wenn mir Sat.1 Promis unter Palmen zeigt, dann will der Sender, dass ich mich besser als diese betrunkenen Loser mit Sonnenbrand fühle. Hier handelt es sich nicht um gescheiterte Promis, die vor die Villa kotzen, weil sie um jeden Preis relevant bleiben müssen.

Die einzigen Ambitionen, die die Too Hot To Handle-Kandidatinnen und Kandidaten haben, ist gut auszusehen und Sex zu haben. Das Masterstudium, der Anwältinnenberuf oder die professionelle Football-Karriere werden nur in Nebensätzen erwähnt. Die Show kann sie nicht herabwürdigen, denn sie sind ganz gut in den Dingen, in denen sie gut sein wollen.

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In den Einspielern und in kurzen Unterbrechungen zwischen den Szenen, werden Clips gezeigt, die die Kandidaten dabei zeigen wie ihre Haut im Licht glitzert, sie am Strand ihre Haare schwingen oder sich zwei perfekt geformte Körper umeinander schlingen. Ausgeleuchtet von der karibischen Sonne sehen sie fast aus wie Heilige und die Zeitlupe lässt die Videos wie eine Kampfansage vor einem Wrestling-Match aussehen, in denen die Wrestler vorgestellt werden.

Hier werden keine tragischen Figuren inszeniert für eine Einschaltquote. Sie werden präsentiert wie Heldinnen. Heldinnen, die einstehen für ihr Recht zu Knutschen. Und obwohl eine Kandidatin nicht weiß, wo Australien liegt, fühle ich mich deshalb nicht überlegen. Ich weiß, wo Australien liegt, aber ich bin auch nicht hot genug, dass ich gefragt werde, ob ich bei Too Hot to Handle mitmachen will. Wir verkraften es wohl beide.

Durch das Ausbleiben von einem Schamgefühl, haben wir die Möglichkeit, die Emotionen der Kandidatinnen nachzuempfinden. Die Show wird relatable. Denn irgendwie passt sie auch gerade zu der Zeit, in der wir uns befinden. Es ist Juli und ich will einen Sommer so wie man ihn sich vorstellt, wenn man im Winter in der Küche sitzt und es um 16 Uhr dunkel ist. Ganz so einen Sommer bekommen wir nicht. Die Pandemie gibt es immer noch und das Coronavirus scheint sich gar nicht so sehr von einem sprechenden KI-Kegel zu unterscheiden. Regeln gibt es hier in der echten Welt und dort im Paralleluniversum auf den Turks- und Caicosinseln. Deshalb ist es fast etwas kathartisch, den Kandidatinnen dabei zuzusehen, wie sie die Regeln brechen und doch knutschen. Sie brechen die Regeln im Reality-TV, damit wir uns in der Realität daran halten können. 

Dadurch, dass alle auf ihr Sexualleben reduziert werden, läuft die Show natürlich Gefahr, ihre Kandidatinnen und Kandidaten zu Karikaturen werden zu lassen. Doch unter dem Vorwand "to form more meaningful connections", unterziehen sie sich mehreren Workshops mit einer Sexualtherapeutin. Sie erzählen von Partnern, von denen sie betrogen wurden oder von ihren Bindungsängsten. Ein bisschen Backstory, ein paar Tränen – doch nicht genug, um der Show die Urlaubsleichtigkeit zu nehmen. Richtige emotionale Tiefe kann man also nicht erwarten. Die Show plätschert vor sich hin und das ist ganz gut so. Denn obwohl uns die Show ihren psychologischen Überbau als soziales Experiment verkaufen will, müssen wir keinen Mehrwert daraus ziehen außer Unterhaltung.

Mehr brauchen wir diesen Sommer auch nicht. In einem Sommer, der sich nicht anfühlt wie unser eigener, weil wir ihn nicht selbst bestimmen können, bin ich ganz froh, dass ich mich mit dem Drama und einer Aufregung befassen kann, die nicht meine sind.

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