Der Jugendrichter Andreas Müller gegen den ein Befangenheitsantrag scheiterte, sitzt in einem Schaukelstuhl sitzt i
Foto: Henry Giggenbach
Drogen

Interview: Richter Andreas Müller äußert sich erstmals zum Befangenheitsurteil

"Vielleicht werde ich in einigen Jahren statt eines Befangenheitsantrags das Bundesverdienstkreuz bekommen", sagt der Jugendrichter und Cannabis-Aktivist.

Normalerweise fällt Andreas Müller Gerichtsurteile. Jetzt stand der Jugendrichter selbst im Zentrum eines bemerkenswerten Falls, den nicht nur Juristinnen und Juristen beobachteten, sondern auch Cannabis-Aktivisten. Nach einem Verfahren, das im November des vergangenen Jahres begann, fällte das Landgericht Frankfurt Oder Ende Juni eine Entscheidung, die auch die Meinungsfreiheit in deutschen Gerichten betrifft. Wofür oder wogegen dürfen Richterinnen und Richter sich außerhalb des Gerichtssaals einsetzen? 

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Andreas Müller, 59, ist als Aktivist für die Legalisierung von Cannabis bekannt. Und er hat in seiner Karriere viele Urteile in Cannabis-Fällen gesprochen. Lange eine reibungslose Koexistenz. Im November 2020 aber stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt Oder einen Befangenheitsantrag gegen Müller. Sie hatte Zweifel, dass er in einem Verfahren neutral urteilen würde, in dem es um unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln ging: 28,4 Gramm Cannabis.

Misstrauisch sei die Staatsanwaltschaft damals laut einer Sprecherin geworden, weil sich Andreas Müller in einem Buch und in Interviews für eine Cannabis-Legalisierung ausgesprochen hatte.

Im Januar dann lehnte die zuständige Richterin den Befangenheitsantrag als unbegründet ab. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. So zog sich das Verfahren bis zur jetzigen Entscheidung am 25. Juni. Wir haben mit Andreas Müller darüber gesprochen, wie es jetzt weitergeht.


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VICE: Herr Müller, seit fast sieben Monaten wurde darüber verhandelt, ob Sie als Richter befangen sind, sofern es um das Thema Cannabis geht. Wie haben Sie den ganzen Prozess erlebt?
Andreas Müller:
Im Grunde genommen war schon der Antrag der Staatsanwaltschaft abstrus. Ich bin seit 28 Jahren Richter. Bereits in meinem dritten Jahr habe ich öffentlich kundgetan, dass ich für die Legalisierung von Cannabis eintrete. 2002 habe ich mich wegen des Cannabis-Verbots erstmals ans Bundesverfassungsgericht gewendet. In den Folgejahren habe ich Hunderte von Cannabis-Verfahren geführt, auch zur Zufriedenheit der Staatsanwaltschaft. Es gab nie einen Befangenheitsantrag. Dieser kam aus heiterem Himmel.

Was war diesmal anders?
Eigentlich weiß ich es nicht ganz genau. Abgesprochen war er allerdings sicher mit dem CDU-Justizministerium in Brandenburg. Das hätte den Antrag der Staatsanwaltschaft verhindern können. Man wollte es aber durchfechten. In den Jahren zuvor stellten andere Parteien die Justizminister. Und jetzt kam dieser Antrag, kurz nachdem ich mich erneut mit einer Richtervorlage ans Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Grundgesetz gewendet hatte und damit die Verfassungsmäßigkeit der Cannabis-Prohibition zur Überprüfung stellte. Was nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht eines Richter ist.

Nun wurde der Befangenheitsantrag gegen Sie in zweiter Instanz erneut abgelehnt. Haben Sie gefeiert?
Ein Grund zum Feiern ist es nicht wirklich. Ich habe zwar monatelang darauf gewartet, aber die Entscheidung selber ist nicht richtungsweisend. Das Gericht hätte die Befangenheitsgründe der Staatsanwaltschaft klarer als unzureichend ablehnen können. In der Begründung steht jetzt nur, dass meine öffentlichen Äußerungen nicht ausreichen, um mich für befangen zu erklären. Dafür müsste ich schon im konkreten Verfahren etwas sagen, was die Staatsanwaltschaft angreifen könnte. Immerhin: Wenn ich vom Gericht als befangen abgelehnt worden wäre, hätte ich weiter kämpfen müssen. Das heißt, ich hätte aus eigenem Recht wegen der Verletzung der Meinungs- und Berufsfreiheit das Landes- oder Bundesverfassungsgericht angerufen. Und so ist jetzt erst mal Ruhe für mich eingekehrt. Insofern bin ich ganz zufrieden.

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"Ich bin ein alter Sack und stehe drei Jahre vor der Pension. Aber Jungrichtern hätte solch eine Entscheidung schon Angst einjagen können."

Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich argumentiert, Sie seien aufgrund ihres Buches Kiffen und Kriminalität beim Thema Cannabis nicht neutral. In dem Buch setzen Sie sich für eine Cannabis-Legalisierung ein. Könnte man nicht wirklich sagen, dass sie parteiisch sind, wenn Sie in Cannabis-Fällen urteilen?
Befangen ist ein Richter nicht deshalb, weil er sich für eine andere Gesetzeslage einsetzt, sondern nur dann, wenn er im Verfahren selber zu abstrusen und nicht im Rahmen der Gesetze möglichen Entscheidungen kommt. Das hat man mir aber überhaupt nicht vorgeworfen. Es haben sich in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Richter, aber auch der Deutsche Richterbund oder die Neue Richtervereinigung öffentlich für Veränderungen von Gesetzen eingesetzt. Nehmen wir den Kampf der Frauen für die Gleichstellung. Den Kampf um die Frage der Abtreibung. Den Kampf um die Gleichstellung der Homosexuellen.

Und Sie nun für die Legalisierung von Cannabis.
Auch andere Kollegen, Strafrichter, haben sich öffentlich für die Legalisierung ausgesprochen. Die Neue Richtervereinigung ebenfalls. Die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren. Auch viele führende Politiker wie zum Beispiel Frau Baerbock als Kandidatin für das Bundeskanzlerinnenamt sprechen sich für eine Legalisierung aus. Angenommen, das Gericht hätte mich für befangen erklärt, weil ich mich öffentlich für die Cannabis-Entkriminalisierung einsetze: Dürften dann Frau Baerbock und andere auch nicht mehr Richter oder Richterin werden, wenn sie das später irgendwann einmal vorgehabt hätten? Man hätte sie in der ordentlichen Gerichtsbarkeit dann kaum unterbringen können, weil ja die jeweiligen Gerichte immer mit Befangenheitsanträgen hätten rechnen müssten. Das wäre auf ein partielles Berufsverbot herausgelaufen. Und es hätte die Meinungsfreiheit bereits im Vorfeld unterdrückt.

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Inwiefern?
Wenn sich Jurastudenten öffentlich für die Legalisierung von Cannabis oder ein anderes Drogenrecht einsetzen und sich später auf eine Richterposition bewerben, hätte der Dienstherr nach einer eindeutigen Entscheidung des Landgerichts gegen mich sagen müssen: Sie sind ja nicht voll einsetzbar. Als Jugendrichter nicht und als Strafrichter nicht. Das wäre die Konsequenz gewesen. Ich bin ein alter Sack und stehe drei Jahre vor der Pension. Aber Jungrichtern hätte solch eine Entscheidung schon Angst einjagen können. Sie hätten dann vor öffentlichen Äußerungen bezüglich der verfehlten Cannabis-Politik sicher Abstand genommen.

Jetzt hat das Gericht noch einmal festgestellt, dass Äußerungen in Interviews oder zum Beispiel auch Büchern in der Regel nicht ausreichen, um einen Richter für befangen zu erklären. Bestärkt Sie das darin, sich noch offensiver zu Cannabis-Themen zu äußern?
Für mich persönlich wäre es ja besser, wenn ich weniger Interviews geben würde. Aber natürlich nutze ich jede Gelegenheit, für die Cannabis-Entkriminalisierung öffentlich einzutreten. Das ist Arbeit und die werde ich jetzt weitermachen. Ich hätte das aber auch gemacht, wenn die Entscheidung anders ausgefallen wäre.

"Ich glaube, das ist ein letztes Aufbäumen der Legalisierungsgegner. Eben nachdem man 50 Jahre lang eine sinnlose und verhältnismäßigkeitswidrige Cannabis-Prohibition durchsetzen musste."

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Was hätte es für Sie bedeutet, wenn die ganze Sache nun anders ausgegangen wäre?
Ich habe viel Arbeit in das Jugendstrafrecht und in den Kampf gegen Rechtsradikalismus gesteckt. Ich habe sogar Cannabis-Fortbildungen für Richter organisiert und etwa 15 Jahre lang auf der Berliner Polizeischule unterrichtet. Angesichts meiner bald 30-jährigen beanstandungslosen Arbeit hätte mich eine andere Entscheidung – so glaube ich – persönlich sehr getroffen. Als Richter hätte ich sie erstmal bis zu einer Entscheidung von Verfassungsgerichten hinnehmen müssen.  

Und beruflich?
Ich hätte meinen Job deswegen nicht verloren. Es geht ja nur um einige wenige Verfahren. Auch das Präsidium des Amtsgerichts Bernau, das die eingehenden Verfahren verteilt, steht voll hinter mir. Die Staatsanwaltschaft hätte dann in jedem weiteren Verfahren einen Befangenheitsantrag stellen müssen. Das wäre auch für die Staatsanwaltschaft sehr aufreibend geworden.

Wie häufig stellt die Staatsanwaltschaft Befangenheitsanträge gegen Richterinnen oder Richter?
Generell ist es ganz selten. Und dieser Befangenheitsantrag war einmalig in der Bundesrepublik Deutschland.

Sollte an Ihnen also ein Exempel statuiert werden?
Ich weiß nicht, was die Staatsanwaltschaft letztlich dazu gebracht hat. Insgesamt war der Antrag abstrus. Ich habe mich schon für Vieles öffentlich eingesetzt. Etwa dafür, dass wir gegen Wiederholungstäter schneller und effektiver vorgehen müssen, und für ein besseres Jugendrecht. Oder, dass wir die Paragraphen, die das Schwarzfahren unter Strafe stellen und wegen denen Menschen im Knast landen, abschaffen. Nie ist die Staatsanwaltschaft auf die Idee gekommen, mich deswegen für befangen zu erklären.

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Als der Fall, über den wir hier sprechen, das erste Mal öffentlich wurde, ist Ihr Name bei Twitter getrendet, obwohl Sie dort noch nicht mal einen Account hatten. Was bedeutet diese Entscheidung für die Cannabis-Legalisierungsbewegung?
Damals rief mich meine Tochter an und sagte: "Papa, du trendest." Ich wusste gar nicht, was das bedeutet. Aber für meine Legalisierungsarbeit ist die ganze Sache ein Geschenk. Viele große Medien haben in dieser Zeit Interviews mit mir geführt. Das hat auch dazu beigetragen, dass in der Bevölkerung die Frage gestellt wird, warum so ein Richter, der sich auch in anderen Gebieten eingemischt hat, abgelehnt wird. Das zeigt ja wiederum auch, wie lächerlich die Cannabis-Kriminalisierung ist. Ich glaube, das ist ein letztes Aufbäumen der Legalisierungsgegner. Eben nachdem man 50 Jahre lang eine sinnlose und verhältnismäßigkeitswidrige Cannabis.-Prohibition durchsetzen musste. Vielleicht werde ich in einigen Jahren statt eines Befangenheitsantrags das Bundesverdienstkreuz bekommen.

Erwarten Sie nach der Bundestagswahl eine Cannabis-Legalisierung?
Ich wünsche mir eine Konstellation von Parteien, die mit dieser Drogenpolitik ein Ende macht. Das kann sein: FDP, SPD und Grüne. Oder Linke, SPD und Grüne und so weiter. Aber wenn es zu einer Koalition zwischen CDU und Grünen kommt, wird man schauen müssen, ob die Grünen, die seit 40 Jahren eine Legalisierung versprechen, diese auch umsetzen – oder ob sie vor der CDU einknicken. Dann würden sie vier Jahre später viele Cannabis-Konsumenten als Wähler verlieren.

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Wen werden Sie wählen?
Ich bin noch nicht sicher. Ich werde vor der Wahl für eine Partei zur Wahl aufrufen – und wenn ich damit nur 10.000 Stimmen verschiebe. Das könnte eine Partei sein, die sich auf jeden Fall für Cannabis-Legalisierung einsetzt. Oder man sagt, wählt die Grünen, weil die am stärksten sind. Ende der 90er-Jahre unter dem damaligen Innenminister Otto Schily wollten die Grünen schon mal eine Teillegalisierung erreichen und sind aber eingeknickt. Dass die Grün-Schwarze Koalition in Baden-Württemberg in ihrem Vertrag jetzt eine Erhöhung der maximal einstellungsfähigen geringen Menge Cannabis auf zehn Gramm beschlossen hat, ist ein kleines Signal. Aber auch nicht mehr. Es wird auch in Baden-Württemberg weiter eine unsinnige Verfolgung geben.

Folgt dann der nächsten Befangenheitsantrag, wenn Sie öffentlich zur Wahl einer Partei aufrufen?
Nein! Man darf aufrufen und sogar kandidieren, auch als Richter. Man darf als Richter auch für die Grünen, Linke, SPD, FDP und CDU kandidieren und sagen, ich bin für die Legalisierung. Aber in der Denke der Staatsanwaltschaft Frankfurt Oder hätte das zur Folge, dass dieser Politiker dann ja wohl nicht mehr über Cannabis-Fragen entscheiden dürfte.

Haben Sie der Drogenbeauftragten Daniela Ludwig schon ein Angebot für ein aufklärendes Gespräch gemacht?
Ach, davon verspreche ich mir nicht viel. Ich habe ihre Vorgängerin Frau Mortler in Talkshows öffentlich dazu aufgefordert, mit mir in eine Sendung zu gehen. Daraus ist nie etwas geworden. Und Frau Ludwig geht nicht in Talkshows, weil sie gar keine Argumente hat. Dazu habe ich auch eine schöne Geschichte, die unseren jetzigen Gesundheitsminister betrifft.

Die würde ich gerne hören.
Vor etwa neun Jahren, kurz bevor er in den CDU-Parteivorstand gewählt wurde, sollte Jens Spahn mit mir bei Phoenix über Cannabis-Legalisierung reden. Kurz vor der Aufzeichnung sagte Herr Spahn ab. Warum? Na ja, es gebe irgendwelche terminlichen Gründe, hieß es. Ich vermute aber, man hat ihn damals gebrieft und gesagt: Wenn du in ein paar Tagen in den Bundesvorstand gewählt werden willst und Herr Richter Müller sagt in dieser Talkshow, dass du dich ja schon als junger CDU-Abgeordneter im deutschen Bundestag für eine Teillegalisierung ausgesprochen hast, wären deine Karten ein wenig schlechter.

Vielleicht hat Daniela Ludwig daraus gelernt?
Über Frau Ludwig könnte ich jeden Tag etwas twittern. Eine Anekdote hat mir richtig Spaß gemacht. Als sie mit Philipp Amthor durch Berlin lief und dazu twitterte, fragte ich sie darunter, ob die beiden wirklich glauben würden, dass die Jugend ihnen auch nur einen einzigen Satz abnimmt. Zu meiner Zeit sei die Junge Union noch respektiert worden, heute liege sie vielleicht noch bei fünf Prozent. Frau Ludwig ergatterte für ihren Tweet einige Hundert Herzen und bei Müller ging es hoch. In meinen Statistiken konnte ich sehen, dass dieser kleine Tweet etwa 450.000 Leute erreicht hatte.

Das heißt, Sie finden Frau Ludwigs Arbeit als Drogenbeauftragte auch nicht besser als die ihrer Vorgängerin?
Im Grunde müsste man zu Frau Ludwig gehen und sie überzeugen, dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist. Dass die Jugend nach einer Legalisierung nicht mehr kifft. Dass die Jugend heute an jeder Ecke Cannabis bekommt und teilweise gestrecktes Zeug. Dass Alkohol mieser ist als Cannabis. Aber all das weiß sie ja bereits. Frau Ludwig ist nichts weiter als eine Pressesprecherin des Gesundheitsministeriums. Besser wäre es, wenn sie eine unabhängige Drogenbeauftragte wäre.

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