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Trolle hetzen mit rassistischen Sprüchen gegen Rap-Video der Berliner Polizei

In dem Video wirbt die Polizei etwas unbeholfen für Vielfalt und friedliches Miteinander. Rechte Trolle nutzen das als Steilvorlage für einen Angriff. Nach Motherboard-Recherchen steckt dahinter ein bekanntes Forum.
Screenshot aus dem Forum 4Chan und Screenshot aus dem Rapvideo der Polizei Berlin
Bild: Screenshot | 4Chan || Screenshot | YouTube | Berliner Polizei | Collage: Motherboard

"Seid doch so frei und gebt ein Dislike und schreibt einen netten Kommentar." Diesen Aufruf postet ein Nutzer im Unterforum namens /pol/ des Forums 4chan. Die Seite ist als größtes Troll-Forum der Welt bekannt, der Name des Unterforums steht für "Politically Incorrect". Das Ziel der Kampagne, deren Posts Motherboard einsehen konnte: Die Kommentare und Dislikes sollen die Nutzer unter einem neuen Video der Polizei Berlin platzieren: "KBNA – Füreinander da!".

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Der Aufruf, den Motherboard zusammen mit zahlreichen anderen Posts der 4chan-Aktion einsehen konnte, wirkt offenbar. Schon am Abend des 19. Oktober hat das Video rund 2.900 Dislikes, dem stehen rund 500 Likes gegenüber, am 22. Oktober waren es knapp 7.000 Dislikes. Wer das Video zufällig sieht, könnte meinen, die Polizei Berlin habe sich einen groben Patzer erlaubt, sei generell bei Zuschauenden unbeliebt oder die Zuschauenden würden allgemein nichts von Vielfalt bei der Polizei halten.

Doch dieser Eindruck ist eine offenbar im Trollforum geplante und von dort aus durchgeführte Täuschung. Das Video und die Kommentare darunter sind ein markantes Beispiel dafür, wie Trolle gezielt gegen Inhalte im Netz vorgehen – in diesem Fall gegen Inhalte, die sich für Solidarität und gegen Diskriminierung aussprechen.

Hinter dem Video steht ein Projekt für Zusammenhalt und gute Nachbarschaft

Im Musikvideo wirbt die Polizei Berlin für den Verein Kiezbezogener Netzwerkausbau, kurz KBNA. Das Projekt stammt vom Erzieher Yousef Ayoub. Er organisiert seit 2009 im Bezirk Wedding wöchentliche Events, bei denen Polizisten mit Kindern und Jugendlichen etwa Fußball spielen und an gemeinsamen Kochkursen teilnehmen. "Denn nur im gemeinsamen Austausch lassen sich Ängste und Vorurteile (auch gegenüber der Polizei) abbauen", heißt es in der Videobeschreibung.

"Feindkontakt", so titelt der Berliner Tagesspiegel 2016 über das Projekt, das Menschen aus teils sehr unterschiedlichen Lebenswelten zusammenbringen soll. "Lange galt der Soldiner Kiez als einer der schlimmsten Berlins. Yousef Ayoub will das ändern", heißt es in dem Zeitungsartikel weiter.

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"Darf ich vorstellen? Wir sind KBNA, der kiezbezogene Netzwerkstar", rappt Serhat Ünal im Video. Zu sehen sind Bilder von Fußballspielen, Stadtfesten und Polizeibeamten, die uniformiert an den Events teilnehmen. Das Ziel des Videos ist klar, es soll den Berliner Wedding und den Soldinerkiez nicht als Problembezirk zeigen, sondern als Ort, an dem Polizei und Jugendliche aus Einwandererfamilien eben keine Gegenspieler mehr sind, sondern nette Nachbarn.

Wie das rechte Trollforum /pol/ die Kampagne befeuerte

Im Forum Politically Incorrect, kurz /pol/ sind solche Bilder offenbar nicht gerne gesehen. Hier verbreiten Hunderte Nutzer Verschwörungstheorien, hetzen gegen Migranten, Geflüchtete und People of Color, wie aus vergangenen Motherboard-Recherchen hervorgeht. Während der Bundestagswahl 2017 gab es immer wieder Beiträge, die für die Unterstützung der AfD geworben haben, wie Motherboard berichtete. In zwei Threads wird nun die Polizei Berlin für das Video angefeindet. Die Kommentare finden sich in abgeschwächter Form auch unter dem Video.

Ein Punkt, der die Trolle an dem Video stört: Für das Video arbeitet die Polizei Berlin mit dem Regisseur Tahsin Özkan zusammen. Özkan produzierte im Jahr 2016 auch ein Video des Rappers SadiQ, in dem der Terroranschlag auf die Pariser Redaktion von Charlie Hebdo aus dem Jahr 2015 auf verherrlichende Weise nachgestellt wird. Im Video posieren Darsteller etwa mit Sturmgewehren und töten Polizisten.

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Auf Anfrage von Motherboard erklärt die Polizei Berlin, dass der Produzent durch den Verein KBNA beauftragt wurde. Nach Informationen der Behörde habe er sich "bereits mehrfach von dem Inhalt des damaligen Videos distanziert." Außerdem wolle sich die Polizei "ausdrücklich von gewaltverherrlichenden, menschenverachtenden und ähnlichen Texten" irgendwelcher Rapper distanzieren.

Doch um eine Auseinandersetzung mit der zwei Jahre zurückliegenden Vorgeschichte des Regisseurs scheint es in den Kommentaren nicht zu gehen. Fast 2.000 Kommentare stehen vier Tage nach der Veröffentlichung unter dem Video. Ein großer Teil davon ist negativ und macht die gesamte Kampagne verächtlich. "Peinlich" sei das Video, eine "Verschwendung von Steuergeldern". Jemand fragt: "Wann kommt das Video mit den abgestochenen Deutschen?". Andere Kommentare sprechen von "Degeneration". In einem anderen rassistischen Kommentar heißt es: "Ich seh jeden Tag wie Migranten für uns da sind, vor allem mit Messern, Bomben und Pistolen."


Ebenfalls auf Motherboard: Die Geschichte des 16-Jährigen, der den Drive-in von McDonald's hackte


So erlebte die Berliner Polizei den Angriff der Trolle

Im Gespräch mit Motherboard erklärte die Leiterin des Social-Media-Teams, Yvonne Tamborini, wie die Berliner Polizei die Troll-Attacke erlebt habe. "Wir wissen schon vorher, dass Videos, die sich für Vielfalt, Miteinander und gegen Ausgrenzung einsetzen, scharfe Reaktionen hervorrufen. Da sind wir sehenden Auges reingegangen", so Tamborini. Aber dass die Reaktion so stark ist, hätten die Beamten nicht gedacht. "Wir haben auch nicht erwartet, dass die Kommentare derart einseitig sind. Es waren gezielt hasserfüllte Kommentare."

Die Trollaktion hat die Beamtinnen und Beamten nach der Veröffentlichung des Videos auf Trab gehalten. "Wenn es mit den negativen Kommentaren losgeht, ist das ganze Social-Media-Team der Polizei an den Tasten, um einen offenen Diskurs zu ermöglichen und um dem Hass mit Worten entgegenzutreten", so Tamborini. "Wir nennen das Counterspeech. Das heißt, wir sprechen die Nutzer in der Kommentarspalte direkt an." Zusätzlich sei auch ein Filter aktiv, wodurch einige Kommentare gar nicht erst veröffentlicht werden würden. In dem Filter stünden zum Beispiel Begriffe wie "Hitler" oder "Auschwitz".

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Nicht alle negativen Kommentare müssen der 4chan-Kampagne geschuldet sein. So ist es durchaus denkbar, dass es einfach nur Nutzer gibt, die es nicht feiern, wenn ein Berliner Polizist mit dem Künstlernamen Cop36 Zeilen rappt wie: "Ich arbeite für die Polizei, aber trotzdem kann ich auch dein Homie sein".


Lest auf VICE: Das ist von dem Video aus Rap- und Image-Sicht zu halten

Polizeikreise bestätigten gegenüber Motherboard aber, dass eine auffällige Zahl an Aufrufen für das Video von 4chan kam. Zugleich seien viele Nutzer aber auch durch andere Quellen auf das Video aufmerksam gemacht worden, beispielsweise durch die rechte Tageszeitung Junge Freiheit, die auch über das Rap-Video berichtete, oder durch die Kreml-nahe Website RT.com. Durch diese beiden Seiten sei es zu mehr Aufrufen als durch 4chan gekommen, hieß es aus Polizeikreisen.

Dass auf 4Chan befeuerte Trollaktionen massenhaft Dislikes und negative Kommentare unter bestimmten Videos posten, ist ein typisches Muster von Kampagnen des Forums. So sorgte vor einem Jahr ein Aufruf gegen ein Musikvideo, in dem Popstar Sophie Elise mit einem Schwarzen Mann tanzt und "I'm gonna fuck all your friends" singt, für Hunderte Hasskommentare und Downvotes. Auch hier sprachen Nutzer von "Degeneration" und dem "Tod der westlichen Welt". Das Label sperrte kurzzeitig das Video für Nutzer außerhalb Norwegens, die Up- und Downvotes machten die Kanalbetreiber unsichtbar.

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Berliner Polizei hat wohl Kommentare gelöscht

Einige YouTube-Kommentatoren beschwerten sich über offenbar gelöschte Kommentare. "Der Staat löscht die Kommentare der Bürger hier!“, schreibt ein Nutzer unter dem Video. Gegenüber Motherboard bestätigt die Leiterin des Social-Media-Teams: "Einen Teil der Kommentare haben wir gelöscht." Auch der verifizierte YouTube-Account der Berliner Polizei antwortete in der Kommentarspalte unter dem Video: "Meinungsfreiheit hat auch Schranken. Zum Glück gibt es unser Grundgesetz."

Grundsätzlich haben Kanalbetreiber auf YouTube die Möglichkeit, Kommentare von Zuschauenden zu löschen, vorab zu filtern oder komplett zu deaktivieren. "Wir verstehen das auch als Schutzfunktion gegenüber Menschen, die sich verletzt und beleidigt fühlen könnten, wenn sie das lesen", erklärt Tamborini. "Wir haben eine Verantwortung im Sinne unseres Grundgesetzes auch für die psychische Unversehrtheit der Community und der Protagonisten des Videos."

Einige Kommentare haben die Polizisten auch zur Prüfung an Polizeikollegen weitergeleitet, heißt es vonseiten der Behörde. Es werde überprüft, ob es sich dabei um strafrechtlich relevante Delikte handelt und ob deshalb Ermittlungen eingeleitet werden. "In einigen Kommentaren unter dem Video fielen Worte wie beispielsweise 'Heil Hitler' oder 'Hitler hatte recht'", erklärt Tamborini im Gespräch mit Motherboard. Es handele sich dabei um eine niedrige, zweistellige Zahl an Kommentaren. Andererseits hätten Tamborini zufolge auch viele Trolle inzwischen gelernt, unheimlich hasserfüllt zu kommentieren, ohne eine strafrechtliche Schwelle zu überschreiten.

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