Wie 'Art Attack' uns aufs Erwachsensein vorbereitet hat
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Popkultur

Wie 'Art Attack' uns aufs Erwachsensein vorbereitet hat

"Wie immer könnt ihr natürlich alles, was ich euch heute zeige, ganz leicht auch selber machen." – Ist das die größte Lüge in der Geschichte der Menschheit?

" Das ist Art Attack… Das ist Art Attack… Jetzt kommt… ART ATTACK!!!"

Der Leitsatz war einer dieser Trigger, die mein aufgeregtes Kinderherz immer viel zu schnell pochen ließen, wenn er mal wieder unangekündigt aus meinem Röhrenfernseher klang. Es folgte ein bemühter Tröten-Alarm, der mir bis heute ein sehr dringendes Gefühl im Bauch macht, und dieses trippige 3D-Intro, untermalt von einer Melodie, die in ihrem Kern eigentlich komplett gestört ist und nur darauf wartet, eines Tages ein Cloudrap-Sample zu werde. Ich wusste mehr als genau, was all das zu bedeuten hatte, und ich war mehr als bereit dafür.

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Art Attack ist im Grunde sowas wie das YouTube-Tutorial der 90er – mit dem Unterschied, dass Art Attack im Fernsehen lief und nicht etwa zeigte, wie man Babys schminkt. Nein, hier ging es um so viel mehr. Hier ging es um Kunst. Um kreative Horizonte. Um die Frage, wie man aus Müll noch mehr Müll machen kann. Hier ging es darum, wie man aus leeren Klopapierrollen und Zeitungspapier eine ganze Welt erschaffen konnte. Und vor allem ging es um weißen Bastelkleber.

Und um Beni Weber. Man muss dazu sagen: Kindersendungen wie Art Attack wurden meistens von Menschen um die 40 moderiert, die wie 12-Jährige angezogen waren und immer ein kleines bisschen zu enthusiastisch über diesen Job wirkten. All das traf (soweit wir das beurteilen können) auch auf Beni Weber zu – aber Beni beim Basteln zuzusehen, hatte was Beruhigendes, beinahe Meditatives.

Als Bob Ross einer neuen Generation (und nicht zuletzt als deutsche Stimme von Stan in South Park) hat er sich somit für immer in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Das alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Typ uns über Jahre hinweg schamlos ins Gesicht gelogen hat, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken.

Alles, was ihr dafür braucht, ist selbsthärtender Ton!

"Herzlich willkommen zu Art Attack, eurer großen Kunst- und Bastelshow! Wie immer könnt ihr natürlich alles, was ich euch heute zeige, ganz leicht auch selber machen." Ah ja? In welchem Universum, Beni? Wie zur Hölle soll ich ein Planetarium aus Luftballons, Gips, Kleister, Klopapier und Kartonringen "ganz leicht selber machen"? Glaubst du etwa, ich als 10-Jähriger verfüge zuhause über einen kleinen Vorrat an Bastelgips? Glaubst du, dass es das ist, was 10-Jährige in ihrer Freizeit gern machen? Gipsen?

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"Alles, was ihr dafür braucht, ist selbsthärtender Ton!"
Warte, was?
"Zuerst nehmt ihr etwas Knete."
Kn… Knete?
"Taucht sie einfach in Lebensmittelfarbe ein!"
Nein!
"Zum Schluss braucht ihr noch euren weißen Bastelkleber!"

Ist weißer Bastelkleber einfach nur verdünnter Leim? Ist es der Klebstoff, der die Erde zusammenhält? Kann ich nicht auch einfach meinen UHU nehmen, bitte? Was ist das für eine Welt, in der weißer Bastelkleber den essentiellen Rohstoff bildet, auf den niemand außer dir zugreifen kann? Existiert weißer Bastelkleber überhaupt?

Wie alle guten Fernsehformate kommt auch Art Attack ursprünglich aus dem Vereinigten Königreich. Dort moderiert die Sendung nicht Beni Weber, sondern "unser großer Künstler Neil", der in der deutschen Version dafür veranwortlich war, sogenannte Riesenbilder aus ganz alltäglichen Dingen wie Fallschirmen oder Autoreifen auf den Boden zu legen – einfach clever! Von Neil haben wir gelernt, dass die ganze Welt nichts weiter als ein Art-Attack-Riesenbild ist. Danke, Neil. Ich dachte immer, du wärst stumm, dabei warst du einfach nur Brite.

Heimlicher Star der Sendung war allerdings Schlaukopf – eine Büste in einem Museum, in dessen Frisur so mancher Verschwörungstheoretiker das Wörtchen "Sex" zu lesen glaubte. Schlaukopf hat sich ähnlich blöd angestellt wie mein 10-jähriges Ich, wenn es darum ging, die Basteleien nachzumachen. Er war eine einzige große Enttäuschung – er war mir sympathisch. Weil ich aber keine 10 mehr bin und mir selber etwas beweisen möchte, beschließe ich kurzerhand, ein Kunstwerk aus Art Attack nachzubasteln: Diese großartige Zimmerpflanzen-Vogelscheuche.

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Screenshot via YouTube

Diese rotgelbe Geilheit scheint mir dabei die einfachste aller Möglichkeiten, da in der zugeöhrigen Videoanleitung, die sich auf YouTube findet, weder weißer Bastelkleber noch sonst einer von Beni Webers kranken Scherzen auftauchen.

Gespannt wie mein Hosenbund sammle ich also den ganzen den Abfall ein, den man dafür braucht: Klopapierrollen, Chipstüte, Keksschachtel, Zeitungspaper und einen Pastikbecher, den ich allerdings auf die Schnelle nicht auftreiben kann, und somit einen Tupperware-Becher aus der Büroküche stehle, den ich verlässlich wieder zurückbringen werde, versprochen. "Diese Volgescheuche peppt garantiert die langweiligsten Topfpflanzen auf!", versichert mir Beni Weber. Ich will es hoffen.

Tatsächlich macht das Schneiden und Kleben annähernd Spaß – trotzdem fällt mir direkt auf, was auch früher schon das größte Problem von Art Attack war: Die Geschwindigkeit. Ich bastle hier etwas, das ein fünfjähriges Kind locker schaffen würde, trotzdem geht mir die Anleitung einfach zu schnell und ich muss immer wieder auf Pause drücken. Beni und ich geben die leere Keksschachtel in die Chipstüte und packen das ganze mit einer Schnur ein. "Jetzt wird es ein bisschen kniffliger!" – Er schnippelt irgendwas, ich komm nicht mehr mit, Pause, Pause, Pause.

Nach ungefähr 20 Minuten, in denen Beni mir erklärt, dass Vogelscheuchen immer lange, spitze Finger haben und generell recht schräge Typen sind, stehe ich vor einem traurigen Chipssack mit Hut, der von nun an unsere langweilige Bürotopfpflanze aufpeppen soll. Den Schritt, in dem Beni das ganze Ding mit Bastelkleber und Küchenrolle mumifiziert, um es später anfärbeln zu können, überspringe ich, um einen natürlicheren Look zu generieren und die Slenderman-Gliedmaßen zusätzlich zu unterstreichen. Als Gesicht muss ein Pappdeckel herhalten. Das Ergebnis ist spektakulär.

Am Ende ist die Zimmerpflanzen-Vogelscheuche nicht nur Müll, sondern auch wahnsinnig nutzlos. Trotzdem war sie in ihrer Herstellung witzig. Und in gewisser Weise haben Art Attack und Beni Weber uns genau damit aufs Erwachsensein vorbereitet: Uns wurden vermeintlich einfache Dinge vorgezeigt, an deren Umsetzung wir kläglich scheiterten. Wieder und wieder und wieder. Weil uns entweder die Ressourcen, das Talent oder eben die Geduld fehlten. Und manchmal sehen die Ergebnisse dann eben anders aus als im Fernsehen. Man muss nur damit leben können.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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