Der große VICE-Billigsekt-Test
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Popkultur

Der große VICE-Billigsekt-Test

"Das riecht fast ein bisschen wie ein frisch ausgepacktes Kondom."

Egal, ob Jahresende, Geburtstag oder Beförderung: Wenn es in Deutschland was zu feiern gibt, wird zu Schaumwein gegriffen. Fast vier Liter trinkt der oder die Durchschnittsdeutsche im Jahr, absoluter Verkaufsschlager ist dabei (nicht nur in Ostdeutschland) Rotkäppchen-Sekt. Champagner mag zwar als ultimatives Anstoßgetränk gelten, Studierende und Berufseinsteiger greifen notgedrungen meistens doch eher zum Discounter-Sekt. Aber: Kann man sich eigentlich auch für unter vier Euro stilvoll betrinken? Zeit für den großen Billigsekt-Test, um diese Frage ein für alle Mal zu klären.

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Weil unsere Qualitäten eher im passiven Alkoholkonsum als in der aktiven Verkostung liegen, haben wir uns Mathias Brandweiner eingeladen. Der 23-Jährige ist Maître im Berliner Restaurant Le Faubourg – und schenkt da auch schon mal einen 15.000-Euro-Champagner aus. Statt sich seine jungen Jahre mit Discount-Alkohol aufregender zu trinken, begann der gebürtige Österreicher mit gerade mal 16 Jahren seine Ausbildung zum Sommelier. Er beschäftigt sich also nicht nur an verkaterten Sonntagen mit der Frage, ob diese Flasche Sekt wirklich eine gute Idee war – und schlürft sich mit uns durch die Billigsekte deutscher Lebensmittelketten.


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Unsere Wahl fiel größtenteils auf Sektflaschen, die als Eigenmarken der jeweiligen Discounter besonders billig sind: Burg Schöneck (Lidl, 2,79 Euro), Herzog Alba (Aldi Nord, 2,79 Euro), Fürst von Reitenau (Netto, 2,79 Euro), Allini Moscato Spumante (Lidl, 1,99 Euro), Schloss Herrenbrunn (Netto, 2,79 Euro) und natürlich den absoluten Klassiker – Rotkäppchen (quasi überall, 3,99 Euro). Sie alle sind mir aus meiner verarmten Studienzeit noch in allerbester Erinnerung. Deswegen habe ich mir mehrere Kolleginnen und Kollegen sowie meine beste Freundin eingeladen, mit der ich diese Billigsekt-Phase gemeinsam durchgestanden habe. Doch dazu später mehr.

Rotkäppchen: 3,99 Euro

Großzügig füllt der Experte unsere Gläser mit Rotkäppchen und lässt sie uns erst einmal eine Weile schwenken. Nur so kommen alle Aromen raus, erklärt er. Anschließend sollen wir erst durch das eine, dann durch das andere Nasenloch schnuppern, um herauszufinden, mit welchem wir besser riechen. Mit dem soll anschließend der Geruch des Alkohols bestimmt werden.

Beim Sekt-Riechen selbst solle man an verschiedene Obstsorten denken, schließlich werde Sekt ja aus Weintrauben gemacht, erklärt der Profi. Was wir riechen, werde sich anschließend auch auf unsere Geschmacksknospen übertragen. "Das Erste, was hier hervorkommt, sind Zitrusnoten", sagt Mathias Brandweiner mit der Nase im Rotkäppchen. "Aber er hat auch etwas Florales, etwas Weißblütriges. Erinnert mich an Holunder."

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Angestrengt und mit dem Forscherwillen unausgeschlafener Kindergartenkinder schnuppern alle Anwesenden an ihren sektgefüllten Weingläsern. (Ja, Weingläser. Darin entfalten sich nämlich die Aromen besser.) Ich rieche keinen Holunder. Stattdessen muss ich daran denken, wie es in Küchen nach einer WG-Party riecht. Für mich verströmt das Getränk schon jetzt den Geruch nicht ganz geleerter Sektflaschen, die mehrere Stunden offen herumstanden, während irgendjemand über Nacht die Heizung aufgedreht hat. Offensichtlich machen ich und meine Nase etwas falsch, ein Kollege scheint einen wahren Geruchsorgasmus zu erleben. "Ich finde es Wahnsinn, dass man das mal bewusster wahrnimmt", schwärmt er. "Sekt war bisher immer Mittel zum Zweck."

Obwohl Sekt als klassisches Frauengetränk verschrien ist, befinden sich ganze zwei Kollegen im Raum, die mittlerweile nur noch mit Sekt vortrinken. "Das macht einen nicht so müde", erklärt einer und hält kurz inne, um eine Metapher rauszuhauen, die ihm offensichtlich schon ein bisschen länger auf der Zunge liegt: "Das Koks des kleinen Mannes!"

"Der Geruch erinnert mich im ersten Moment an Katzenpipi."

"Das Koks des kleinen Mannes ist der Riesling Kabinett!", entgegnet Brandweiner, der vermutlich jüngste Sommelier Deutschlands. "Der hat viel Säure und viel Zucker, das pusht einen direkt." Wie auf Befehl beugen sich alle Anwesenden über ihre Bewertungsbögen und notieren sich den Namen des Zaubergetränks.

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Auf die Frage, wie ihm denn jetzt der Rotkäppchen schmecke, mit 3,99 Euro immerhin der kostspieligste Tropfen unseres Tests, antwortet Brandweiner deutlich ausweichender. Jedes Produkt habe eine faire Chance verdient und der Sekt eigne sich als "Allrounder für einen unkomplizierten Anlass", er selbst würde aber niemals halbtrockenen Schaumwein kaufen. Der Grund: Je süßer ein Sekt sei, umso mehr könnten unschöne Aromen und "Fehltöne" überdeckt werden. Sommeliers trinken meistens "Dosage zeró": Schaumwein, in dem gar kein (oder fast kein) Zucker enthalten ist. Für ungeübte Gaumen sei der allerdings deutlich zu bitter, so Brandweiner.

"Ihr merkt jetzt bestimmt die Süße", sagt er in die konzentriert schluckende Runde, wird allerdings direkt von einer Kollegin unterbrochen: "Gar nicht! Das schmeckt wie saure Weintrauben." Drei Kollegen vermerken hingegen "sehr süß" auf ihren Notizzetteln. Einer von vielen Momenten des Abends, an dem klar wird: Wir wissen nicht, was wir tun.

Fürst von Reitenau: 2,79 Euro (Netto)

Zumindest erkennen wir als Nicht-Sommeliers, wenn etwas wirklich widerlich riecht. "Der Geruch erinnert mich im ersten Moment an Katzenpipi", sagt Brandweiner und verzieht das Gesicht. "Ich muss an Wurst denken", ergänzt ein Kollege und tritt damit eine kurze Diskussion darüber los, warum Wurst an sich nichts Negatives ist, aber immer dann direkt eklig wird, wenn man sie sich in flüssiger Form vorstellt.

"Riecht nach dem Zitronenduftaufhänger im Urinal", notiert eine Kollegin, bewertet den Geschmack des Netto-Sekts aber trotzdem als "gut". Ganz allgemein scheint die Meinung vorzuherrschen, dass man sich von dem widerlichen Geruch nicht abschrecken lassen sollte, unser Sommelier straft Fürst von Reitenau trotzdem als "nicht süffig mit kurzem Abgang" und "überhaupt nicht harmonisch" ab. Was wohl bedeutet: Investiert eure 2,79 Euro lieber anderweitig.

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"Asti ist nur für unter 21-Jährige gedacht. Die wollen besoffen sein, aber das harte Zeug nicht trinken."

Als ich kleinmütig zugebe, dass wir den früher sehr oft getrunken haben, erwidert meine Freundin fassungslos: "Ja, aber warum?" Ich habe keine Antwort.

Allini Moscato Spumante: 1,99 Euro (Lidl)

Auch der nächste Sekt macht die Runde zwar deutlich angetrunkener, aber niemanden so richtig glücklich. Dabei klingt dessen Name zumindest deutlich exklusiver als der Durchschnitts-Schaumwein. Ähnlich wie Champagner oder Cava bezieht sich die Bezeichnung Moscato auf ein bestimmtes Anbaugebiet, in diesem Fall eine Region in Italien. Aus der stammt übrigens auch der in unserer Gruppe vollkommen zu Recht als untrinkbar verschriene Asti Spumante, der mit meistens über sechs Euro pro Flasche allerdings deutlich zu hochpreisig für diese Testrunde ist. Laut Mathias Brandweiner sind wir allerdings auch nicht die Zielgruppe. "Asti ist nur für unter 21-Jährige gedacht. Die wollen besoffen sein, aber das harte Zeug nicht trinken."

Doch zurück zum Moscato für unter zwei Euro, der so süß ist, dass es uns fast die Zungen wegätzt. "Wie ein Britney-Spears-Song", stellt ein Kollege fest, während er seinen Mund zu einer Schnute zieht und Erinnerungen an "Baby One More Time" heraufbeschwört. "Megasüß" bestätigt auch der Sommelier. "Er ist süffig, mit einem leichten Erdbeer-Joghurt-Touch." Bei den anwesenden Frauen löst diese Kombination vor allem eines aus: Brechreiz. "Ugh, WIDERLICH!!" und "Bäh!" klingt in Anbetracht der verzogenen Gesichter schon beinahe nachsichtig.

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Zum ersten Mal nutzen auch wir Aushilfs-Sommeliers die Spuckschüssel, in die Brandweiner den Billigsekt schon seit dem ersten Glas befördert. Echte Sommeliers testen bei einer professionellen Verkostung bis zu 600 Flaschen. "Man lernt spätestens bei der ersten Verkostung, dass man nicht schluckt. Man ist sonst zu besoffen", sagt er.

Burg Schöneck: 2,79 Euro (Lidl)

Nach den Enttäuschungen der letzten Runden, steigt meine Euphorie bei diesem Tropfen. Burg Schöneck, das hatte ich den Kolleginnen und Kollegen schon im Vorfeld angekündigt, ist seit Jahren mein persönlicher Billigsuff-Geheimtipp. Doch was würde der Experte zu dieser Einschätzung sagen? Ich fühle mich wie ein Crystal-Meth-Junkie, der glaubt, sich jahrelang den guten Scheiß geballert zu haben, und dann von Walter White mit seinem blauen Super-Meth vermittelt bekommt, dass man nicht nur ein Mensch mit einem Suchtproblem ist – sondern auch noch ausgesprochen schlecht darin ist, ein Mensch mit einem Suchtproblem zu sein. Brandweiner bekommt von meiner Mini-Existenzkrise nichts mit und erklärt derweil, dass wir "guten" Sekt jahrelang falsch getrunken haben.

"Eigentlich sollte man Sekt nach dem Einkauf ein paar Wochen liegen lassen. Wenn ihr ihn transportiert habt, braucht er erst wieder ein bisschen Ruhe", sagt er, während er die nächste Flasche öffnet und mit dem Korken fast den Fotografen abschießt. Klassischer Billigsekt sei hingegen für den direkten Verzehr bestimmt und wird mit zunehmender Lagerung schlechter. Wirklich mindblown sind wir allerdings erst, als Brandweiner ausführt, dass wahrscheinlich jeder unserer Testsekte aus roten Trauben hergestellt wurde. Die Farbe im Sekt oder Wein kommt nämlich nicht davon, welche Art von Traube man zur Herstellung nimmt – sondern von den hinzugefügten Traubenschalen. So nimmt der Saft die Taninstoffe auf und die Farbe an.

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Der Sommelier erklärt uns die Feinheiten der Sektgärung

Aus welchen Trauben er auch hergestellt sein mag, Burg Schöneck kommt sowohl bei uns Hobby-Trinkern als auch beim Experten gut an. "Alleine schon vom Aroma her ist der bisher am feinsten", entscheidet Brandweiner. "Man hat würzige Aromen, man hat Bittermandel und Orangenschalen, also auch zitronige Noten. Und auch am Gaumen wirkt er sehr harmonisch." Ein Kollege notiert auf seinem Zettel: "Bin ich per du mit."

Schloss Herrenbrunn: 2,79 Euro (Netto)

Mittlerweile sind wir bei der fünften und somit vorletzten Flasche angekommen. Vielleicht tun wir Schloss Herrenbrunn deswegen grundlegend Unrecht. Wir konzentrieren uns nämlich schon längst nicht mehr auf den Geruch der Drei-Euro-Plörre, die wir uns jetzt ganz ohne Schwenken großzügig in den Rachen kippen. Wir möchten mehr Insights aus der Winzer- und Alkoholbranche hören. Wer kontrolliert was, wo wird gemogelt, warum wussten wir vorher nicht, dass es eine Art Champagner-Ordnungsamt gibt?

"Ich habe mal eine Flasche aus Sachsen bekommen, die Brogunder heißt."

"Der hier hat direkt etwas Rauchiges", hält unser Gast-Sommelier tapfer am Konzept der Sektverkostung fest – und weiß, wie er unsere Aufmerksamkeit wieder ganz auf unsere Geschmacksnerven fokussieren kann. "Das riecht fast ein bisschen wie ein frisch ausgepacktes Kondom." "So schmeckt ein Kondom?!", fragt ein Kollege fassungslos nach, der offensichtlich noch nie so tun musste, als würde es Spaß machen, in Latex verpackte Körperteile im Mund zu haben. Brandweiner nickt und fragt: "Wisst ihr, woher das kommt? Vom Plastikkorken. Wenn man einen Billigsekt mit Plastikkorken zwei Jahre liegen lässt, schmeckt der ganze Sekt nach Plastik."

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Auch Schloss Herrenbrunn habe ich vor ein paar Jahren noch des Öfteren gekauft – und klassischerweise zu Partys mitgenommen, auf denen ich niemanden kannte. Bei den versammelten Hobby- und Profi-Trinkern fällt der Sekt in jedem Fall durch. Brandweiner notiert gnadenlose null Punkte. Auf dem Bewertungsblatt einer Kollegin steht einfach nur "Nein".

Herzog Alba: 2,79 Euro (Aldi Nord)

"Vom Etikett her finde ich den hier bisher am anspruchsvollsten", sagt Brandweiner und fummelt an der sechsten und letzten Testflasche: Herzog Alba. Man verkauft nämlich nicht nur mit ausgedachten Adelstiteln Sekt, sondern auch mit reduziert-eleganter Aufmachung. Allerdings gibt es laut dem Experten gerade bei kleineren Sekt- und Weinmarken den Trend zu bewusst jünger aufgemachten Tropfen. "Ich habe mal eine Flasche aus Sachsen bekommen, die Brogunder heißt", erzählt Brandweiner. Auf der Tonaufnahme des feuchtfröhlichen Abends klingt das Gelächter später, als hätte sich ein Babykrokodil an einer Flasche Moscato Spumante verschluckt.

"Kurze Frage", unterbricht ein Kollege die allgemeine Heiterkeit und blickt zweifelnd in sein Glas. "Das schmeckt jetzt alles wirklich nicht mehr so geil. Liegt das daran, dass die Nase langsam zugeht?" Brandweiner schüttelt grinsend den Kopf. "Nein, das liegt daran, dass das alles nicht so richtig geil ist." Trotzdem möchte er den Herzog Alba nicht vollends abstrafen. "Das ist für mich ein Charakter-Sekt. Der hat Ecken und Kanten, eine echte Persönlichkeit. Das andere ist Einheitsplörre." Auch der Geruch ist für den Sommelier spannend. "Der riecht richtig buttrig, wie Popcorn." Eine Kollegin ergänzt: "Er hat vielleicht Persönlichkeit, aber ich glaube, ich mag seinen Charakter nicht."

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Fazit

Auch wenn der Experte sich als Fan des Aldi-Sekts geoutet hat, reicht es für Herzog Alba am Schluss nur für den dritten Platz. Knapp abgeschlagen hinter dem halbtrockenen Rotkäppchen auf Rang zwei. Klarer Sieger des großen VICE-Billigsekt-Tastings ist Burg Schöneck von Lidl, der sprudelnde Held meiner verarmten Studentenparty-Zeit. Eine kollektive Entscheidung, mit der auch Mathias Brandweiner leben kann: "Der Burg Schöneck hat klar gewonnen, weil er am harmonischsten war. Der hat die Aromen, die beim Otto Normalverbraucher am besten ankommen."

"Wenn ihr euch wirklich einfach nur besaufen wollt, habt ihr von einer Flasche Wodka mehr."

Auf Platz vier, fünf und sechs folgen Fürst von Reitenau, Schloss Herrenbrunn und Moscato Spumante Dolce. Die Unterschiede sind im Billigsekt-Segment aber sehr gering. "Da kommt es eher auf persönliche Vorlieben an", erklärt unser Sommelier. Wer Sekt erstehen möchte, der nicht nur günstig, sondern auch aus professioneller Sicht gut ist, sollte sich in einer Vinothek beraten lassen, empfiehlt er. "Da kriegt man mit sieben Euro auch schon was Schönes."

Am Ende der Verkostung bleibt nur noch eine Frage zu klären – vor allem, weil wir Freizeittrinker dumm genug waren, den Großteil der sechs Gläser komplett zu leeren: Bekommt man von billigem Alkohol wirklich einen schlimmeren Kater? "Ja", sagt Brandweiner mit Nachdruck. Jahrgangssekt, Crémant oder Champagner, die mehr Zeit haben zu reifen, seien verträglicher, denn: "Kopfweh bekommt man in erster Linie von den Sulfiten. Je frischer Sekt ist, umso mehr Schwefel enthält er noch und umso schlechter geht es euch am nächsten Tag."

Der finale Tipp unseres Experten: Betrinkt euch einfach nicht hemmungslos mit Sekt, wenn ihr nicht bereit seid, etwas Geld zu investieren. "Wenn ihr euch wirklich einfach nur besaufen wollt, habt ihr von einer Flasche Wodka mehr."

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