Punks, die auf einer Parkbank sitzen
Punks, Kings Road 1979 ©Janette Beckman
Popkultur

Als Punk explodierte: Fotos aus dem London der 70er

Janette Beckman war mit ihrer Kamera dabei, als die Sex Pistols und The Police zu Legenden wurden.

"Ich wollte ausziehen, Künstlerin werden und Drogen nehmen!" Janette Beckman lacht, als sie erzählt, wie sie Mitte der 1970er ihr Elternhaus in London verließ.

Die Fotografin zog in ein von Kunststudierenden bevölkertes Haus im Stadtteil Streatham, wo sie sich für heute unfassbare fünf britische Pfund die Woche eine ganze Etage mietete. Ihr Vermieter war ein exzentrischer Professor der London University. "Er war Spiritist und stand mit seiner toten Frau in Kontakt", erinnert sich Beckman. Die Sommer verbrachte sie im Nudistencamp des Dozenten außerhalb der Stadt, wo die Gruppe auch Gras anbaute.

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Nachdem sie ihr Studium am London College of Printing abgeschlossen hatte, fing sie 1976 als Fotografie-Dozentin an der Kingsway Princeton School for Further Education an. Es war die Zeit, als Punk explodierte. Mitgerissen von der rauen Energie der Szene fand Beckman ein Thema, das ihr eine vier Jahrzehnte andauernde Karriere bescheren sollte.

Für die Veröffentlichung von Raw Punk Streets UK 1979–1982, erschienen bei Café Royal Press, taucht Beckman tief in ihr Archiv ein und holt Bilder aus den Gründungsjahren der britischen Punkszene hervor. Wir haben mit Beckman über ihre Arbeit und die Anfänge einer Subkultur gesprochen, die bis heute nicht totzukriegen ist.

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Die Islington Twins, London 1979 ©Janette Beckman

VICE: Wie bist du in der Punkszene gelandet?
Janette Beckman: Das Punk-Ding begann, als ich an der Kingsway Princeton anfing. John Lydon, besser bekannt als Johnny Rotten, hatte die Schule gerade erst verlassen. Eine Menge Punks aus diesem Viertel in East London waren auf der Schule. Sie kifften in der Dunkelkammer. Viele von ihnen lebten in besetzten Häusern. Ich war ein paar Jahre älter als sie. Es war toll, direkt nach der Uni so einen Job zu haben.

Mein erstes Porträt der britischen Jugendkultur habe ich von den Islington Twins gemacht. Ich kam gerade aus dem Unterricht und die beiden Jungs lehnten dort an der Mauer. Das waren die bestgekleideten und coolsten Typen, die ich je gesehen hatte. Ich habe sie angesprochen und das Foto gemacht. Wir sind bis heute befreundet.

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Etwa zur selben Zeit bin ich in das Büro des Musikmagazins Sounds gegangen und habe der Redakteurin Vivien Goldman meine Bilder gezeigt. Sie hat mich gefragt, ob ich am selben Abend noch ein paar Bands fotografieren möchte: Siouxsie and the Banshees und Spizzoil.

Spizzoil habe ich dann an dieser alten Tankstelle fotografiert. Danach bin ich zum Siouxsie-Konzert und habe vor Ort ausklamüsert, wie man Bands live fotografiert. Nach dem Gig bin ich zurück in meine Dunkelkammer gerannt, habe die Filme entwickelt und Abzüge gemacht. Als ich am nächsten Tag mit den Bildern bei Sounds ankam, gab mir Vivien gleich den nächsten Auftrag.

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Ladbroke Grove, London 1979 © Janette Beckman

Wie war London, als Punk aufkam?
Auf der Straße hat man immer mehr Jugendliche mit Iros gesehen. London wurde bunter. Ich ging mit Freunden zu Konzerten. Da war auch Dominique, eine durchgeknallte Australierin. Die hat bei einem Konzert ihre Klamotten ausgezogen und ist dann nackt rumgelaufen. Niemanden hat's interessiert. Am Ende waren alle hackevoll und wir konnten ihre Klamotten nicht finden, also haben wir einen alten Vorhang genommen und sie darin eingewickelt.


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Wie hat das Establishment auf Punk reagiert?
Es war eine andere Zeit. Als Punk aufkam, zerstörte er die alte Ordnung mit einem "Fuck you" an Queen und Vaterland. Etwas musste sich ändern. Der Wirtschaft ging es schlecht, die Menschen waren verzweifelt.

Ich war kein Punk. Ich war eine rebellische Kunststudentin, die die Szene dokumentierte. Ich erinnere mich noch, wie ich eines Tages in einem Madness-T-Shirt zur Post ging. Auf dem stand "Fuck Art, Let's Dance". Die Dame hinter dem Schalter rastete aus. "Wie können Sie hier so reinkommen?! Das ist ekelhaft!" Das "Fuck" war offensichtlich das einzige, was sie in dem Moment sehen konnte. Die ältere Generation fand das alles entsetzlich. Als Johnny Rotten zum ersten Mal im Fernsehen "fuck" sagte, war das ein landesweiter Skandal.

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Punk Girl, London 1979 © Janette Beckman

Wie war die Arbeit als Punkfotografin?
Ich begleitete die Undertones auf Tour und fühlte mich wie der Junge in Almost Famous. "Entschuldigung? Ich muss meine Fotos machen", sagte ich zum Manager. "Die Jungs sind noch nicht wach", bekam ich als Antwort. Also habe ich Fotos von Fans und den Auftritten gemacht. Als die Band dann kurz davor war, wieder im Tourbus zu verschwinden, hörte ich: "Du hast zehn Minuten."

Da hatte ich mir schon die perfekte Mauer in der Gegend ausgesucht. Ich stellte die Band davor auf, machte die Fotos und das war's. Die Undertones sind zu ihrem nächsten Gig und ich mit dem nächsten Zug nach London, um die Filme zu entwickeln. Am nächsten Tag habe ich die Abzüge beim Magazin abgegeben. Viel Geld habe ich nicht bekommen – 35 oder 50 Pfund, ohne Spesen –, aber so konnte ich dieses tolle Archiv aufbauen.

Wie war es, die Sex Pistols auf der Höhe ihres Ruhms zu fotografieren?
Ihr Manager Malcolm McLaren war ein unglaublich talentierter Strippenzieher. Ich habe verdammt viel Respekt für das, was er getan hat. Die Sex Pistols waren eine fabrizierte Band wie die Spice Girls. Als ich die Pistols in dem Müllcontainer fotografierte, haben sie laut vor sich hin überlegt: "Was sollen wir machen? Komm, wir schubsen die Dame von ihrem Fahrrad." Das waren nur ein paar Kids, die sich überlegt haben, was sie Böses für ein Foto anstellen können.

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Sex Pistols, London 1977 ©Janette Beckman

Welches Shooting ist dir am schärfsten in Erinnerung geblieben?
Ich habe für das Label Rough Trade gearbeitet und sollte Promobilder für Stiff Little Fingers machen, eine Punkband aus Belfast. Es muss damals furchtbar gewesen sein, als Protestant in Nordirland aufzuwachsen. Jeden Moment konntest du sterben. Das wollte ich einfangen.

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Auf der Suche nach einem Kind bin ich durch die Straßen Londons gelaufen. Es wurde dunkel, als ich in ein Sozialbaugebiet kam. Dort stand dieser Junge mit einer kleinen Spielzeugpistole. Ich habe ihn gefragt, ob ich ein Foto machen darf. Es war perfekt. Er war ein hartes Bürschchen und gleichzeitig verletzlich. Sie haben das Foto dann für die Single "Gotta Gettaway" verwendet.

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Kid, South London 1981 © Janette Beckman

Wann ist dir klar geworden, dass das ein richtiger Beruf sein könnte?
Ich habe The Police für Outlandos d'Amour fotografiert. Ich habe mir eine Hasselblad-Mittelformatkamera gekauft, weil Albumcover quadratisch sind. Die war extrem teuer und ich wusste nicht, wie man sie bedient. Wie immer. Es war mein erstes Cover. Danach bin ich zu meiner Mutter und habe gesagt: "Guck mal, ich habe 500 US-Dollar dafür bekommen! Ich kann davon leben!"

Ein paar Monate später war ich in Los Angeles und da war mein Foto auf einem riesigen Billboard über Tower Records zu sehen. Ich bekam fast einen Herzinfarkt. Als ich rein bin, war das Bild auf T-Shirts und Postern. Im Nachhinein denke ich mir nur: "Fuck! Ich habe für all das nie Kohle bekommen."

Scrolle runter für mehr Fotos. Weitere Arbeiten von Janette Beckman findest du hier.

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The Police, London 1978 © Janette Beckman

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Backstage at Aklam Hall, London 1979 ©Janette Beckman

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Punk Girls, Hyde Park, London 1979 ©Janette Beckman

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Punk, Coventry 1980 © Janette Beckman