Die Autorin sitzt vor einem Feld für Zyklusachtsamkeit
Alle Fotos: Yasmin Nickel

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Menstruation

In einem Zyklusworkshop habe ich gelernt, wie politisch meine Periode ist

"Eine Frau, die ihren Körper kennt, ist eine kraftvolle Frau", sagt die Kursleiterin.

"Ah! Ich habe meine Gebärmutter vergessen", ruft Birte. Die 39-Jährige springt aus ihrem Schneidersitz auf und läuft in eine Ecke des Altbauzimmers. In einem braunen Expedit-Regal, zwischen Filzdecken und zusammengerollten Yoga-Matten, liegt der Modell-Uterus. Birte greift danach und setzt sich wieder in unsere Runde. Ihre dunkelbraunen Haare sind zu einem Dutt gebunden, der Oberkörper von einem Wollpulli bedeckt. Ihre Ohrringe zappeln, als sie das fleischfarbene Modell in einen Beckenknochen aus Plastik schiebt, der zwischen ihren Beinen ruht.

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Mit mir sind sechs Frauen in die Heilpraxis in Berlin-Wilmersdorf gekommen. Sie sind zwischen 24 und 44 Jahren alt, zwei von ihnen haben Kinder, eine war am Vormittag in einem Pflanzenpädagogikseminar. In dem fünfstündigen Workshop bei Birte wollen wir heute "Zyklusachtsamkeit" erlernen. Klingt wie eine Fahrschulübung zur korrekten Nutzung eines Kreisverkehrs, bedeutet aber, ein besseres Gespür für den eigenen Körper zu entwickeln. "Der Zyklus ist ein Spiegel unseres Inneren", sagt Birte.

Birte heißt eigentlich anders, will ihren Namen in diesem Artikel aber nicht lesen. Sie sagt, es würde ihrem Geschäft schaden. Aber vielleicht hat sie auch einfach nur Angst, stigmatisiert zu werden.

Unsere Zyklusveränderungen beeinflussen unsere Gesundheit, unsere Beziehungen und auch unsere Leistung im Job. Eine Angestellte in puderrosafarbenem Rollkragenpulli erzählt, sie habe Myome, also gutartige Tumore, an der Gebärmutter. Eine Frau mit Blumen-Leggings hat Endometriose, eine andere ist vor der Periode ähnlich launenhaft wie ich. Jede von uns erhofft sich eine Art Leitfaden fürs Leben mit einem rebellierenden Uterus.


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Menstruationsbedingter Durchfall ist nur eines der Symptome, mit denen uns Birte heute unseren Zyklen näherbringen will. "Die Gebärmutter liegt zwischen Enddarm und Harnblase", erklärt die Heilpraktikerin. "Wenn sie vor der Blutung anschwillt oder in eine bestimmte Richtung liegt, müssen manche Frauen öfter aufs Klo." Dann hebt sie beide Arme, lässt ein paar Wellenbewegungen durch ihren Oberkörper fahren, und wird so selbst zu einem kontrahierenden Organ.

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Mit 14 habe ich angefangen, die Pille zu nehmen. Erst zehn Jahre später setzte ich sie ab. Bis dahin behandelte ich meinen Zyklus wie einen penetranten Typen im Club: Ich weiß, dass er existiert, und er nervt, aber ich kann ihn ignorieren. Ohne die hormonelle Verhütung habe ich in den Tagen um meinen Eisprung eine hyperaktive Libido, bekomme eine Woche vor meiner Periode schmerzende Brüste und mutiere am 25. Zyklustag zu einer sehr, sehr wütenden Frau. Dieser Workshop soll mir helfen, meine Emotionsschwankungen in den Griff zu kriegen. Oder wenigstens zu verstehen.

"Hallo, ich bin Rebecca und ich habe heute meine Periode bekommen"

Zwei Stunden vorher: Um kurz vor 13 Uhr komme ich in der kleinen Erdgeschosswohnung an. Es ist Samstag, die Sonne scheint durch die Milchglasfront der Heilpraxis. In der Mitte des Raumes liegt ein weißer Teppich, darauf flackert eine blutrote Stumpenkerze. Zwei Schnüre teilen die Fläche in vier gleiche Teile. Sie entsprechen den vier Jahreszeiten, die Birte mit den vier Phasen des Menstruationszyklus vergleicht. Der Winter steht für die Blutung, der Sommer für die Blüte – und den Eisprung.

Frau hält ein Modellbecken

Die Autorin und das weibliche Modellbecken

Ich steuere zielgerichtet auf einen grauen Pouf neben einer blonden Frau mit Blumen-Leggings zu. "Ich habe heute meine Tage bekommen", sage ich in die Runde, "passend zum Workshop." An der Wand neben mir stapeln sich Zykluskalender, an den Wänden hängen Illustrationen von Uteri. Birte sitzt mir gegenüber. Die Perioden-Pick-up-Line kommt gut bei ihr an.

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"Eine Frau, die ihren Körper kennt, ist eine kraftvolle Frau", sagt Birte.

"Dann hast du dich genau vor die richtige Zyklusphase gesetzt", sagt Birte, lacht und zeigt auf die Fläche vor meinen Füßen. Im meinem Menstruationsabschnitt liegen 16 handgeschriebene Zettelchen, darauf stehen Worte wie "Loslassen" oder "Sich eigenen Raum schaffen". Die verschiedenen Abschnitte sollen helfen, körperliche, mentale oder emotionale Veränderungen wahrzunehmen und einzuordnen. "Eine Frau, die ihren Körper kennt, ist eine kraftvolle Frau", sagt Birte.

Kann man lernen, seine Menstruation zu lieben?

Birte beginnt die unterschiedlichen Zyklusphasen anhand der Jahreszeiten zu erklären. Ich kenne viele Metaphern für blutende Vaginen: die Erdbeerwoche, die rote Tante, das rote Meer. Dass die Periode mit "der dunklen Jahreszeit" verglichen wird, habe ich noch nie gehört.

Birte erklärt das Bild damit, dass die Gebärmutter sich leer blutet und so für einen Neuanfang vorbereitet. Im Frühling erhöhe sich der Östrogengehalt wieder, der Körper baue neue Energie auf. Der Sommer bilde mit dem Eisprung den Höhepunkt. "Mit dem Herbst beginnt die dunkle Zeit", führt Birte ihre Allegorie fort. Es sei wichtig, dass Frauen besonders in dieser Phase Nein sagen, wenn sie Abstand brauchen. Auch dann, wenn die Menschen in ihrem Umfeld sie dafür als PMS-Furien stigmatisieren. "Die dunkle Zeit wird in der Gesellschaft nicht wertgeschätzt", sagt Birte.

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Workshop Zyklusachtsamkeit

Birte vergleicht die vier Zyklusphasen mit den vier Jahreszeiten

Birte bittet uns um den Teppich zu laufen, um unsere Zyklusphasen verstehen zu lernen. Die Frau in den Leggings beugt sich laut ausatmend vor dem Frühling nach vorne. Eine andere Teilnehmerin, sie trägt ein braunes Kleid und Stulpen, hockt minutenlang vor dem Winter.

Ich spaziere durch die Jahreszeiten, aber am Herbst halte ich nicht an. Mein PMS-Tag war in den letzten Monaten so schlimm, dass ich mich fast vor ihm fürchte. Ich weiß an diesen Tagen schon morgens, dass ich mich unsicher fühlen und bei Kleinigkeiten wütend werde. Meist dauert es auch nicht lange, bis ich mich mit meinem Freund streite. Könnte ich mir eine Jahreszeit aussuchen, würde ich wohl ständig ovulieren und so selbstbewusst und glücklich durchs Leben stolzieren, als wäre ich Beyoncé (in ihrer Ovulationsphase).

Könnte ich mir eine Jahreszeit aussuchen, würde ich wohl ständig ovulieren und so selbstbewusst und glücklich durchs Leben stolzieren, als wäre ich Beyoncé (in ihrer Ovulationsphase).

Mein Hormonhaushalt hält aber nichts von einer ständigen Queen-Attitude. Kann ich das ändern? Birte erklärt, es sei für die meisten Frauen schwer bis unmöglich, sich immer nach Sommer zu fühlen. "Es kann sein, dass man im Sommer Power hat und drei Tage später die innere Stimme das ganze Leben in Frage stellt", sagt Birte. Es ist wie Sommer in der Dachgeschosswohnung: eine Woche geil, bis man bei 40 Grad dahinschmilzt.

Zyklusarbeit bedeutet nicht, diese Phasen zu stoppen, sondern sie zu akzeptieren. Man solle keine Angst vor dem Erwartbaren haben. Vor allem ist es wichtig, über die Stimmungen zu sprechen und dem Partner, der Chefin oder den Kindern zu erklären, dass sie keine Schuld daran tragen, wenn sie eine menstruierende Person am falschen Tag erwischen und deswegen unter einer Wut-Lawine begraben werden.

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Gespräche über Blutklumpen in der Unterhose können politisch sein

Es ist kurz nach 17 Uhr, ich sinke mit einem Kamillentee in der einen und ein paar Haselnüssen in der anderen Hand zurück auf mein Sitzkissen. Die meditierende Teilnehmerin, das Flackern des Kerzenlichts, wir sprechen über Gefühle – das ist schon ziemlich esoterisch. Doch gerade, als ich mich frage, ob mein wohliges Gefühl oder meine innere kritische Stimme das Duell in meinem Kopf gewinnen wird, unterbricht Birte meine Gedanken.

Ein Modellbecken und ein Uterus

Birte zeigt uns am Modellbecken, wo die Gebärmutter und die Harnblase liegen

"Auf Facebook kommentieren manchmal Männer meine Posts und fragen, was ich da für einen Scheiß mache", sagt Birte. Besonders im Zyklus-Winter fühle sie sich verletzbar. Birte merke dann, wie anstrengend es sei, sich als Frau zu positionieren – und die gesellschaftlichen Konsequenzen dafür zu tragen. Eine befreundete Managerin müsse sich in ihrem Job ständig gegenüber ihren Mitarbeitern beweisen. In der Menstruationszeit habe sie dafür auch oft keine Kraft. "Aber sie kann ja schlecht ihre Meetings absagen, weil sie blutet."

Ist das hier alles Gefühls-Wellness für Besserverdienende? Tatsächlich schließen allein die Teilnahmegebühren viele Betroffene von solchen Veranstaltungen aus: Fünf Stunden Zyklusachtsamkeit kosten je nach eigenem Ermessen 60 bis 80 Euro. Aber wenn sich Frauen über ihre Vaginen, Gebärmütter und Emotionen austauschen, ist das auch politisch: Sie reißen damit gesellschaftliche Barrieren ein. Barrieren, die ihnen suggerieren, dass die Periode ein Makel sei, sie schwäche oder sie sich dafür schämen müssten. Nicht umsonst hieß es schon in den Frauenbewegungen der siebziger Jahre: Das Private ist politisch.

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Im Februar wurde mit Period. End of Sentence. ein Kurzfilm mit dem Oscar ausgezeichnet, der das Tabu der Menstruation und die damit verbundene Frauenfreindlichkeit thematisiert. Vielleicht versteht also auch bald der Letzte, dass die meisten Menschen mit Uteri einmal im Monat menstruieren. Und dass das nur die Person angeht, aus deren Unterleib das Blut tropft.

Kerze auf einem Teppich

Eine der Aufgaben in der Menstruationsphase: sich eigenen Raum schaffen

Eine Traumreise in unseren Uterus soll den Workshop abrunden. Ich lege mich auf den Rücken, meine Hände ruhen unter einer Filzdecke auf meinem Venushügel. Dann schlafe ich ein – und werde erst wieder wach, als die Teilnehmerin neben mir ihre Arme ausstreckt. Ich habe das Innere meiner Gebärmutter weder gesehen, noch habe ich heute gelernt, wie ich im Alltag mein PMS bekämpfe. Aber ich weiß jetzt, dass viele andere Frauen solche Gefühle auch einmal im Monat haben. Und dass ich meine Wut, wenn ich ohnehin nichts gegen sie tun kann, lieber an ein paar Sexisten im Internet auslassen sollte als an meinem direkten Umfeld.

Einen praktischen Anleitungshinweis für Menstruationsprobleme im Alltag hat Birte am Ende übrigens doch. "Ich kommuniziere offen, in welcher Zyklusphase ich bin", sagt sie. Bei ihrer Arbeit sitze sie dann mit einer Wärmflasche vor ihren Klientinnen. Und ab und zu zieht sie sich ins Auto zurück, und fährt einfach irgendwo hin, weil es ihr schwerer fällt, unter vielen Menschen zu sein. Die Reaktionen seien immer positiv. "Die meisten können damit umgehen", erklärt Birte. "Ich sage dann: 'Hey ich kann dir heute nicht so gut zuhören. Ich sehe dich in fünf Tagen wieder.'" Vielleicht entgehe ich Konflikten in Zukunft einfach, in dem ich im Rahmen meiner Möglichkeiten abwesend bin. Also: Ich menstruiere gerade, mein Uterus macht ein paar Aerobic-Übungen in meinem Bauch. Meine Geduld ist so belastbar wie ein vollgesogener Tampon.

Bitte schickt mir eure Kommentare zu diesem Text erst in drei Tagen.

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