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Verbrechen

Schlecker-Prozess: Ein Gefängnispsychologe erzählt, was Prominenten hinter Gittern droht

"Im Gegensatz zu manch anderen Insassen sind sie es vielleicht nicht gewöhnt, sich einmal die Woche in einer Kneipe zu prügeln."
Uwe Kazenmeier in seinem Büro in der JVA Tegel | Foto: Matern Boeselager

Ende November wurden die Kinder des Ex-Drogerie-Unternehmers Anton Schlecker unter anderem wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Betrug zu Haftstrafen verurteilt. Zwei Jahre und neun Monate für Lars Schlecker, zwei Jahre und acht Monate für seine Schwester Meike. Sollten sie mit ihrem Einspruch gegen das Urteil scheitern, müssen sie ins Gefängnis. Das kann problematisch werden, denn sie sind prominent und reich. Uli Hoeneß soll in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech während seiner Haft "verleumdet, erpresst und ausspioniert" worden sein.

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Uwe Kazenmaier ist Psychologe in der Sozialtherapeutischen Anstalt der JVA Tegel, wo er jeden Tag mit Mördern, Vergewaltigern und Gewaltverbrechern zu tun hat. Wir haben ihn gefragt, wie solche Leute auf Prominente reagieren, die im selben Gefängnis einsitzen.

VICE: Was macht das mit einem, wenn man eben noch prominent war und plötzlich nur noch ein normaler Häftling ist?
Uwe Kazenmaier: Prominenz ist in der Regel mit gewissen Privilegien versehen. Das ändert sich im Gefängnis drastisch, diese Leute werden heruntergestuft. Sie werden plötzlich mit gesellschaftlichen Schichten und einem rüden Umgangston konfrontiert, den sie nicht kennen. Das können sie als bedrohlich empfinden. Auch weil sie es im Gegensatz zu manch anderen Insassen vielleicht nicht gewöhnt sind, sich einmal die Woche in einer Kneipe zu prügeln.

Wie kommen diese Menschen ohne den Luxus klar, den sie sonst haben?
Wir haben hier Leute, für die in Haft die Lebensqualität steigt. Für die sind eine regelmäßige Mahlzeit und ein warmer, trockener Raum nicht selbstverständlich. Bei wohlhabenden oder prominenten Menschen ist es das Gegenteil. Das ist ein Schock. Mitunter können sie es auch narzisstisch als kränkend empfinden, dass man ihnen so etwas zumutet. Aber die Leute unterliegen alle den gleichen Gesetzen und deshalb unterscheiden sich weder die Hafträume noch die Grundausstattung der einzelnen Inhaftierten.


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Wie behandeln Häftlinge Mitinsassen, die prominent sind?
Das hängt stark vom Delikt ab. Kindesmissbrauch ist hierarchisch sehr weit unten angesiedelt, wie alle Delikte, die mit Kindern zu tun haben. Solche Leute werden verachtet und würden entsprechend spießrutenlaufen. Als JVA würden wir diese Leute, so gut es geht, gesichert unterbringen, genauso wie bekannte Mitglieder verfeindeter Rockerclubs. Aus psychologischer Sicht hat es einen Sinn, sich von anderen Staftätern abzugrenzen. Ein Bankräuber wertet sich auf, indem er sich sagt: Ich bin nicht so schlimm wie der, es gibt noch jemanden unter mir. Wie ein Schnapstrinker, der sagt, ich kenne einen, der schon morgens trinkt, ich fange aber erst mittags an. Deshalb versuchen Inhaftierte, Delikte zu verschleiern. Prominente können das natürlich nicht.

Hilft es, wenn im Gefängnis alle wissen, dass man reich ist?
Eher nicht. Manche Mitinhaftierte könnten versuchen, sich an dir zu bereichern. Entweder, indem man sich anfreundet, dich fragt, was du brauchst und sich in irgendeiner Form gefällig erweist. Oder indem man Druck ausübt. Auf die Art: "Hier kann dir ganz schnell was passieren. Ich kümmere mich um dich, aber dafür will ich auch was haben." Diese Dinge können hier drinnen genauso passieren wie draußen. Auch Uli Hoeneß soll ja in seiner Haft erpresst worden sein.

Als Uli Hoeneß in der JVA Landsberg saß, gab es andererseits Gerüchte, er würde eine Vorzugsbehandlung erhalten.
Die Gefangenen macht sowas richtig sauer. Wir beobachten hier das Phänomen, dass Inhaftierte sehr auf Gleichbehandlung und Gerechtigkeit achten. Der Vollzug ist per Definition ein Mangelsystem, das Leute in ihren Möglichkeiten und ihrer Freiheit einschränkt. Darum achten sie wahnsinnig genau darauf, ob und warum einer mehr bekommt. Das wird meistens sehr argwöhnisch bis aggressiv verarbeitet. Die Aggression kann sich auch untereinander entladen. Deshalb achten wir als Mitarbeiter sehr auf Gleichbehandlung.

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Die Mauer der JVA Tegel, in der Uwe Kazenmaier arbeitet | Foto: imago | Schöning

Wo stehen Wirtschaftsstraftäter wie Lars und Meike Schlecker in der Gefangenenhierarchie?
Die mag unter den Inhaftierten keiner. Ich glaube, das ist für die sehr unangenehm. Es ist dieses typische "wir Underdogs gegen die Reichen da oben". Manche Inhaftierten könnten denken: "Die haben uns um unser Geld beschissen". Egal, ob das stimmt oder nicht. Dazu kommt eine gefühlte Befriedigung: "Das geschieht denen recht, jetzt kommen auch mal solche Leute in Haft, die haben nie was geleistet und nur geerbt." Sozialneid spielt eine große Rolle. Im zweiten Schritt wird dann unterstellt, dass die gar nicht so lange im Gefängnis sitzen werden – womöglich auch nicht ganz zu Unrecht.

Warum das?
Es wäre falsch zu denken, Reiche kaufen sich mit teuren Anwälten frei. So einfach ist es natürlich nicht. Aber Leute, die Steuern hinterzogen haben, haben eine eher geringe Wiederholungsgefahr und werden oft vorzeitig entlassen, wenn bei gutem Haftverlauf keine Gefährlichkeit mehr zu erwarten ist.

Was ändert sich für eine JVA, wenn ein Prominenter dort inhaftiert ist?
Als Mitarbeiter, der mit dieser Person zu tun hat, begebe ich mich ein Stück weit mit in die Öffentlichkeit. Wenn eine unbekannte Person auf Freigang einen Regelverstoß begeht, wäre das keinen Artikel in der Zeitung wert. Bei einem Prominenten aber schon. Als Jörg Kachelmann entlassen wurde, verabschiedete ihn ein Vollzugsbeamter vor der Tür mit einer Umarmung. Das Verhalten war natürlich falsch und der Mitarbeiter hat danach sicher intern Ärger bekommen. Aber wenn das nicht Kachelmann gewesen wäre, wäre der Mitarbeiter der Öffentlichkeit gar nicht aufgefallen.

Wie sollten sich Prominente im Gefängnis also am besten verhalten?
Es kann nie verkehrt sein, angemessen bescheiden aufzutreten. Wenn Leute ihre Bekanntheit oder ihren Reichtum in den Vordergrund stellen, wird das schnell als Angeberei übersetzt, nicht nur bei Mitgefangenen, sondern genauso bei Bediensteten. Es wäre besser, wenn Mitinhaftierte positiv von der Freundlichkeit einer Person überrascht wären. Ich weiß von einem bekannten Onlinebetrüger, der die Mitinhaftierten sehr beeindruckt hat: Obwohl er reich war, aß er das Gefangenenessen und trug die Standardkleidung der Inhaftierten. Dabei dürfen Inhaftierte in der JVA Tegel in der Regel Privatkleidung tragen, theoretisch auch teure Marken. Schon welche Dinge man einkauft, kann ein Signal über den Lebensstandard senden. Ich würde also raten: Bleib bescheiden und versuche, möglichst unauffällig durchzulaufen. Es bringt dir hier drin keine Vorteile, eine Rolex zu tragen. Versuche deine Zeit in Haft zu nutzen, indem du in dich gehst, das bringt vielleicht mehr fürs Leben.

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