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Deutsche Kultur

Wir haben internationale Studenten gefragt, was sie an Deutschland komisch finden

"Ich sage nicht, dass deutscher Humor nicht witzig ist. Ich verstehe ihn nur nicht."

Deutschland ist merkwürdig. Alle mampfen Sauerkraut, tänzeln dabei in Lederhosen herum und torkeln irgendwann mit einem Maßkrug in der Hand nach Hause. Das weiß jeder, der schon mal die Simpsons geguckt hat oder in Shanghai, Addis Abeba, Pittsburgh oder Sydney aufs "deutsche" Oktoberfest gegangen ist. Ganz so abgefahren ist die Wirklichkeit dann aber doch nicht – denken die Deutschen. Aber was wissen die schon! Wie es in Deutschland wirklich zugeht, können nur Leute beurteilen, die eigentlich woanders wohnen. Am besten Austauschstudenten. Die reisen durchs Land und hängen (gezwungenermaßen) zumindest ein paar Stunden am Tag mit Deutschen ab. Dabei diskutieren und trinken sie. Und schauen den Deutschen in die Seele.

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In diesem Jahr studieren über 355.000 ausländische Studierende an deutschen Hochschulen, sagt das Statistische Bundesamt. Das sind nicht nur 37 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren, es sind sogar so viele wie noch nie. Und nur in den USA, Großbritannien, Australien und Frankreich studieren mehr Studenten aus dem Ausland.

Wir haben internationale Studenten in Deutschland gefragt, was sie an Deutschland komisch finden. Sauerkraut und Lederhosen waren nicht dabei. Aber ein paar andere Sachen.

Andrea aus Spanien, 24, Musikwissenschaften

Foto bereitgestellt von Andrea

"Ich war schockiert, als mich die Professoren in Deutschland gesiezt haben. In Spanien duzen wir uns mit den meisten Professoren. So war das in der Schule, auf dem Gymnasium danach und auch an den Unis. Meine Freunde kennen es auch nur so. Wir haben den Professor immer beim Vornamen genannt, ich wurde auch nie 'Frau Granada' genannt. Im Spanischen gibt es die Höflichkeitsform 'usted, ustedes', aber selbst die wenden wir selten bei Professoren an. Nur weil man sich mit dem Vornamen anspricht oder sich duzt, bedeutet es nicht, dass man befreundet ist. Man hat trotzdem Respekt vor den Professoren.

Wenn Erstsemester einen neuen Professor kennenlernen, kommt es darauf an, wie er sich vorstellt. Mein alter Professor hat uns mit 'Willkommen in der Vorlesung, mein Name ist Herman Cassada' begrüßt, dann war es klar, dass man ihn duzt. Es gibt aber Ausnahmen, zum Beispiel wenn es ein sehr alter Professor ist oder er sich als 'Professor Cassada' vorstellt. Dann würde man ihn mit Titel ansprechen. Das ist mir aber noch nie passiert."

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Aline aus Mexiko, 27, Kulturwissenschaften und Spanisch

Foto: Hanko Ye

"Im Vergleich zu Mexiko konsumieren die Menschen hier viel mehr. Hier sagen die Leute jedes Jahr, dass sie neue Pullis brauchen. Diesen Konsum sieht man an vielen Aspekten des Lebens. Auch was Drogen angeht. Es wird sehr offen darüber gesprochen. Mir ist es egal, ob jemand etwas nimmt oder nicht. Aber ich will nicht immer wissen, wie scheiße sie sich am nächsten Tag fühlen, weil sie MDMA genommen haben. Das fand ich am Anfang sehr komisch.

Viele Studenten nehmen Drogen einfach nur, um wach zu bleiben, zum Beispiel bei Klausuren. Und dann kiffen sie, um wieder einzuschlafen. Ich finde das total absurd. In Mexiko kiffen die Leute auch und nehmen auch mal etwas, aber nicht so krass wie hier. Drogen sind dort kein großes Tabu mehr, aber man würde nicht mit jedem darüber sprechen. Mexikaner, die solche Mengen wie hier zu sich nehmen, sind Drogenabhängige, die ernsthafte Probleme haben. Hier ist es supercool, Drogen zu nehmen, um Spaß zu haben, oder zwei Tage und Nächte in einem Club zu bleiben. Das finde ich traurig."


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Yao aus China, 25, Englische Literatur

Foto: Hanko Ye

"Einmal war ich in einem Club in Berlin-Friedrichshain. Ich habe hauptsächlich mit meinen Freunden gesprochen, aber trotzdem bemerkt: Die Leute haben so viele Drogen genommen! In China nehmen die Leute auch Drogen, aber es ist streng verboten. Darauf steht die Todesstrafe [Anm. d. Red.: Bei Besitz von mindestens 50 Gramm Rauschgift oder Drogenhandel kann die Todesstrafe verhängt werden]. Trotzdem nimmt man in chinesischen Clubs etwas. Die jungen Leute denken, es wäre cool, oder sie tun es gegen den Stress.

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Für Alkohol dagegen gibt’s keine Altersbeschränkung wie in Deutschland. Theoretisch kann ein Fünfjähriger in einen Laden gehen und Alkohol kaufen, keinen wird es interessieren. In Berlin laufen viele mit einem Bier in der einen Hand, Zigarette in der anderen rum. Das ist in China undenkbar. Zumindest tagsüber. Ich rauche nicht, trinke nicht und nehme auch nichts. Also das Klischeebild einer langweiligen Chinesin. Viele Deutsche finden es uncool, wenn man auf einer Party keinen Alkohol, sondern 'nur' eine Apfelschorle trinkt. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich nicht trinke, sagen sie: 'Oh! …' Deshalb bestelle ich manchmal trotzdem einen Drink, aber eigentlich mag ich es gar nicht.

In Deutschland rauchen sowohl Männer als auch Frauen. In China rauchen hauptsächlich Männer. Es ist für Frauen nicht verboten, aber einfach nicht 'normal'. In der westlichen Welt rauchen Frauen teilweise auch nur, weil Zigaretten promotet werden, zum Beispiel als die amerikanische Werbeindustrie Rauchen mit Unabhängigkeit und Feminismus verbunden hat."

Nika, Manas und Balaji, alle International Law

Nika, Manas, Balaji und ihr Freund Cris (zweiter von rechts) | Foto: Hanko Ye

Nika aus der Ukraine, 23:

"Es ist hier viel schwerer als in der Ukraine, eine Wohnung zu finden. Viele Vermieter sind sehr gierig oder sehr anspruchsvoll. Entweder verlangen sie viel mehr Geld als nötig, zum Beispiel 600 Euro für ein Zimmer, das eigentlich 300 Euro kostet. Oder sie machen extra ein Bewerbungsgespräch für dich. Es war viel einfacher, an der Humboldt-Universität angenommen zu werden, als eine Wohnung zu finden. Wenn man nicht deutsch ist, hat man viel weniger Chancen.

Ich habe mich einmal für ein Zimmer beworben. Das Mädchen, das in der Wohnung wohnte, und ich haben uns sehr gut unterhalten. Alles lief perfekt. Als sie herausfand, dass ich aus der Ukraine komme, sagte sie nur: 'OK, davon habe ich noch nie gehört. Ich glaube, ich nehme jemand anderen.' Sie hat sich dann abrupt verabschiedet und das war’s. Deine Herkunft spielt also immer noch eine große Rolle, nicht jeder in Deutschland ist offen für Multikulti."

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Manas aus Kirgistan, 22:

"In der U-Bahn sehe ich ständig Menschen, die trinken. Das war für mich ziemlich ungewöhnlich, denn in Kirgistan ist es nicht erlaubt. Wir haben zwar keine U-Bahn, aber es ist verboten, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu trinken. Außerdem ist der Großteil der Bevölkerung in Kirgistan muslimisch, trinkt also keinen Alkohol.

Ich bin wirklich überrascht, wie viel Bier Deutsche trinken. Für sie ist es wie Wasser. Es ist auch komisch, wo die Deutschen überall Bier trinken. Selbst in der Uni gibt es Leute mit Bierflaschen in der Hand. Das wäre vollkommen verrückt in Kirgistan. Bei uns trinkt man natürlich auch Alkohol. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es eine große Krise in Kirgistan, da fingen viele Leute mit dem Alkohol an. Heute trinken die jungen Leute auch, aber normalerweise nur am Wochenende.

Verglichen mit anderen Getränken ist Bier wirklich billig. Was hier teurer ist, Kaffee oder Cola, ist in Kirgistan sehr billig. Als ich nach Deutschland kam, warnte mich ein Freund, der bereits länger hier wohnte: 'Rechne nicht alles in unsere Währung um. Es wird dich deprimieren!'"

Balaji aus Indien, 25:

"Ich verstehe wirklich nicht, was die Leute hier essen. In Indien gehören zu einer Mahlzeit normalerweise Reis und verschiedene Fladenbrote, ein Gericht mit Sauce und eines ohne Sauce, verschiedene Gemüse, Linsen und Fleisch. Hier essen die Leute ständig Pasta mit Käse oder Kartoffeln. Wirklich schweres Essen mit vielen Kohlenhydraten.

Das mit der Höflichkeit ist hier sehr widersprüchlich. Ich saß einmal in der Tram und gegenüber von mir stand ein etwa 60-jähriger Rentner. Aus Indien kenne ich es, dass man den Älteren den Sitz anbietet, sie darauf kurz 'Danke' sagen und sich dann setzen. Aus Gewohnheit habe ich dem Mann meinen Sitz angeboten, doch er wurde sehr wütend. Das habe ich schon öfters erlebt. Auf der anderen Seite sind Deutsche auch sehr zuvorkommend, zum Beispiel wenn es um Reihenfolgen geht. In der Bibliothek gibt es für die Studenten Schließfächer. Die deutschen Studenten schauen immer, wer zuerst da war. Selbst wenn ich nicht in der Schlange stehe, aber zuerst da war, warten sie ab und lassen dir den Spind."

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Anete aus Lettland, 21, Integrierte Chinastudien

Foto bereitgestellt von Anete

"Am komischsten finde ich deutschen Humor. Den habe ich bis heute nicht verstanden. Ich sage nicht, dass deutscher Humor nicht witzig ist. Ich verstehe ihn nur nicht. Viele deutsche Studenten sind sehr sarkastisch, das habe ich in meinem Austauschjahr in Hamburg gemerkt. Lettischer Humor ist einfacher zu verstehen und deutlich weniger sarkastisch.

Es könnte daran liegen, dass die Deutschen ihre Meinung hinter Witzen verstecken, weil sie Angst haben, sie offen zu sagen. Deshalb geben sie nur einen sarkastischen Kommentar ab. Meistens sage ich dann nichts und mache ein Poker Face. Oder ich fake-lache für zwei Sekunden."

Caterina aus Italien, 24, Anglistik und Germanistik

Foto bereitgestellt von Caterina

"Das Studientempo hier ist gelassener als in Italien. Viele deutsche Freunde haben sich nach der Schule erstmal ein Jahr frei genommen. Ein Mitbewohner von mir hat ein Jahr in Ecuador ehrenamtlich als Englischlehrer gearbeitet. In Deutschland ist ein Gap Year nichts Ungewöhnliches, auch während des Studiums, zum Beispiel für ein Praktikum. Oder um Erfahrungen zu sammeln; um ein paar Dinge auszuprobieren, damit man sich danach besser auf ein Studium festlegen kann.

In Italien macht das praktisch keiner, weil wir uns sehr aufs Studium und aufs Lernen fokussieren. Schnell immatrikulieren, studieren und dann abschließen. Man muss eine Extragebühr zahlen, wenn man die Regelstudienzeit überzieht. Ein anderer Grund ist die schreckliche Arbeitssituation in Italien. Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei fast 40 Prozent [Anm. d. Red.: Im September 2017 lag sie bei 35,7 Prozent]. Deswegen wollen alle schnell fertig werden, weil sie sich bessere Jobchancen erhoffen."

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Arthur aus Frankreich, 20, Politikwissenschaften

Foto bereitgestellt von Arthur

Die Universität hier ist sehr international. Alle in der Klasse sind in der Lage, komplexe Themen auf Englisch zu diskutieren. Für mich ist das eine Überraschung, weil Englisch in Frankreich fast ein No-Go ist, vor allem an staatlichen Universitäten. Ich war neben der Uni noch auf einer Grande école, wo ein wenig Englisch gesprochen wurde. Doch an der Uni ist es ein Witz. Es wird nur auf Englisch diskutiert, wenn ein Kurs auf Englisch ist.

Viele deutsche Studenten kommen mir viel reifer vor. Vielleicht weil viele von ihnen über 20 sind, wenn sie anfangen zu studieren. Und mindestens ein Gap Year hatten. Viele der Studenten sind auch älter. Es ist nichts Ungewöhnliches, auf Leute zu treffen, die acht Jahre gearbeitet haben, um dann wieder ihr Studium aufzunehmen. Diese Option ist eigentlich ganz praktisch, es ist nur etwas komisch, wenn man einen Studenten aus dem 18. Semester Soziologie trifft. In Frankreich gibt es viel weniger ältere Studenten, weil wir in der Regel keine Pause vom Studium machen."

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