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Popkultur

'Germany’s Next Bundeskanzler/in' zeigt, wie man junge Menschen endgültig zu Nichtwählern macht

Dagegen war dieses YouTuber-Merkel-Ding das beste Format aller Zeiten.
Alle Screenshots: Alex TV

Junge Menschen scheinen eines der größten Mysterien unserer Zeit zu sein. Wofür interessieren sie sich? Wie spricht man sie an? Wie sorgt man dafür, dass nicht nur die Menschen sich an der politischen Entscheidungsfindung beteiligen, die die Konsequenzen nicht mehr vollends miterleben werden? Und tatsächlich ist es eine wichtige Frage. Wie politisiert man Personen, die dem Klischee nach House of Cards binge-watchen, aber sich nur an Diskussionen beteiligen, wenn es dazu einen Trending Hashtag gibt? Die Antwort, da scheint sich die deutsche Medienbranche einig, ist simpel: irgendwas mit YouTube-Stars.

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Vor zwei Wochen stellte sich Angela Merkel Tech-, Polit- und Beauty-Vloggern einem Fragefeuerwerk zwischen Dieselskandal und Lieblings-Emojis. Jetzt musste eben noch mal LeFloid ran und in einer bunt zusammengewürfelten Jury aus Journalist (Nikolaus Blome von der Bild), Jungpolitikerin (Ronja Kemmer von der CDU) und Geschäftsfrau (Johanna Strunz von den Jungen Unternehmern) Germany's Next Bundeskanzler/in wählen.


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Über die offizielle Website zur Aktion konnten Politikbegeisterte zwischen 18 und 25 Jahren drei Bewerbungsvideos einsenden, in denen sie sich vorgegebenen "Challenges" stellen und deutlich machen mussten, welche politischen Themen ihnen wichtig sind. Die fünf Kandidaten mit den meisten Stimmen wurden schließlich nach Berlin eingeladen, um sich erst umfassend coachen zu lassen und anschließend vor dem desinteressiertesten Live-Publikum aller Zeiten gegenseitig zu zeigen, wie klug sie sind.

Das erklärte Ziel der Aktion: junge Menschen für Politik begeistern. Und offenkundig schafft man das, indem man angestrengt bis überfordert wirkende Menschenroboter um 10.000 Euro kämpfen lässt, die sich – bis auf die einzige Frau – primär durch die unterschiedlichen Hellblauschattierungen ihrer Hemden auseinanderhalten lassen. All das natürlich am Puls der Zeit, weshalb man innerhalb der fast zweistündigen Sendung genau zweimal "live ins Internet" schaltete und zwei Frauen vor aufgeklappten Laptops erklären ließ, dass es ganz viele positive Kommentare "bei Facebook Live" gäbe. Zumindest bei Twitter, sonst recht sicheres Barometer dafür, was die Netzgemeinde gerade so interessant, tauchte der Hashtag zur Sendung (#gnbk) kein einziges Mal unter den Trending Topics auf.

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Nicht, dass irgendjemand etwas verpasst hätte.

Na? Schon Bock, wählen zu gehen?

Schon die Kandidaten wirken wie aus einem Stockfoto-Shooting für den Begriff "Karriere" entflohen und wurden eingangs in kurzen Videos gezeigt, wie sie ganz normale Dinge tun, die ganz normale junge Menschen machen – spazieren gehen und in sonnendurchfluteten Küchen seinen Partner umarmen, zum Beispiel. Das wird nach mehreren Ton- und Bildausfällen allerdings recht schnell aufgegeben und die Kandidaten müssen sich selbst vorstellen.

Da wäre zum Beispiel Theresa Hein, 22 Jahre alt und die einzige Frau. Sie ist Mitglied bei der Jungen Union, lebt in Hannover und liebt die vielleicht farbloseste Stadt Deutschlands so sehr, dass sie ihr einen eigenen Instagram-Account gewidmet hat. Andreas Bergholz, 24, hingegen kommt aus Nürtingen, ist der einzige Finalist mit Migrationshintergrund und "der cleverste Mensch", den seine Freundin je kennengelernt hat.

Christoph Zander, 22, von den Jungen Liberalen ist wiederum der älteste junge Mensch der Welt und hat deswegen auch ein besonders aufregendes Hobby: im Wald spazieren gehen. Dagegen wirkt SPD-Mitglied Julius Freund so richtig crazy. Der 23-jährige Kölner hat einen Künstler zum Vater, ist in einer Galerie aufgewachsen und verbringt große Teile seines Vorstellungsvideos damit, seine Freundin zu küssen.

Mein persönlicher Favorit ist allerdings der 21-jährige Nicolas Klein-Zirbes, der bei den Jungen Liberalen aktiv ist, im Freundeskreis den Spitznamen "Bundeskanzler" trägt und schon mit 21-Jahren so viel Talent zum teflonbeschichteten Wirtschaftslobbyisten hat, dass man ihm das mit dem Spitznamen fast glaubt. Steve Bannon hatte über seinen republikanischen Erzfeind Paul Ryan mal gesagt, dass der nicht geboren, sondern von einem konservativen politischen Think Tank in einer Petrischale gezüchtet worden sei. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die FDP ihren fotogenen Nachwuchs auf ähnliche Art und Weise rekrutiert.

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Die Sendung als solche war in verschiedene Wettbewerbe gegliedert, in denen jungen Menschen alte Fragen gestellt wurden und bei denen weder Form noch Inhalt vermuten ließen, dass man sich hier an irgendjemand anderes richten möchte als die Leute, die sowieso schon mehrfach die Woche zu Anne Will und Co. einschlafen.

Scheinbar willkürlich ausgewählte Zitate raten? Sich zu Themen wie TTIP oder dem bedingungslosen Grundeinkommen mit unterschiedlich farbigen Karten positionieren, als wäre man in einer Soziologie-Doppelstunde gefangen, für die sich der Lehrer kurz vorm Renteneinstiegsalter noch mal "was anderes" überlegt hat?

Interessant wurde es eigentlich erst, als die Kandidaten in einer jeweils 60-sekündigen Rede ihre wichtigsten Positionen statuieren und anschließend gegen die Konkurrenz und eine zunehmend gelangweilter wirkende Jury verteidigen mussten.

So sehen Sieger aus

Theresa spricht von "mehr Werten, weniger Konformität" und muss nach mehreren konsternierten Nachfragen beinahe zugeben, dass sie selbst nicht so genau weiß, was das eigentlich heißt. Christoph wünscht sich mehr miteinander zwischen Jung und Alt und vergisst den Namen der Person, die er direkt zu Beginn seiner Ansprache zitieren möchte. Nicolas wünschte sich mehr Streit und Debatten in der deutschen Politik, so als wäre die aktuelle weltpolitische Lage nicht schon anstrengend genug. Und Julius muss sich dafür verteidigen, sich mit dem Klimawandel ein krudes "Nischenthema" ausgesucht zu haben. Da konnte es dann auch nicht mehr sonderlich irritieren, dass der sehr nervöse Andreas in seiner improvisierten Rede von einer Art großdeutschem Reich unter dem Namen "Die Vereinigten Staaten von Europa" fantasierte, mit dem man sich Russland, den USA und China entgegenstellen müsse, um die Welt zu retten.

In einer Verleihung, die nur dann antiklimatischer sein könnte, wenn Putzkräfte währenddessen schon mal anfangen würden, den grauen Studioteppich abzusaugen, wurde schlussendlich Julius zum Sieger gekürt. Neben einer beeindruckend unanschaulichen Trophäe darf er sich 10.000 Euro in die Tasche stecken und sich "Germany's Next Bundeskanzler" in die Twitter-Bio schreiben. Ob er es wirklich mal zu einem der mächtigsten Männer der Welt bringt, bleibt abzuwarten. Vielleicht klappt's ja als YouTube-Star.

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