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Wie es war, Teilnehmerin einer Schönheits-OP-Sendung zu sein

Der Reality-TV-Boom der 2000er gipfelte in Formaten wie 'The Swan' und 'Bridalplasty'. Teilnehmerinnen berichten, wie die Nasen- und Brust-OPs vor der Kamera ihr Leben verändert haben.
Bridalplasty Teilnehmerinnen mit Verbänden nach der Operation
Standbilder von Bridalplasty | Fotos von 'Bridalplasty'

"Ich habe diesen Rettungsring da unten, manchmal kann ich ihn sogar sprechen lassen." Allyson Donovan steht in der Sprechstunde von Schönheitschirurg Dr. Terry Dubrow. Mit ihren langen Acrylnägeln quetscht sie ihren Bauch so zusammen, dass er ein abstraktes Lippenpaar formt. "Hilf mir", sagt er.

Die Szene stammt aus der ersten Folge Bridalplasty, einem grotesken Reality-Hybrid aus Traumhochzeit und Makeover-Format. Die Sendung wurde in den USA zum ersten Mal 2010 ausgestrahlt und nach einer Staffel wegen schlechter Einschaltquoten abgesetzt. Die Teilnehmerinnen wetteiferten darin um eine Prinzessinnen-Hochzeit auf Fidschi im Wert von 100.000 US-Dollar. In den Spielen mussten sie unter anderem Dom Pérignon von Erdbeersekt unterscheiden. Die Siegerinnen wurden mit Nasenkorrekturen, Brustvergrößerungen, Wangenliftings und Schenkelstraffungen belohnt.

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Im Vorspann hämmert Dr. Dubrow einen silbernen Meißel in den Nasenknorpel einer Patientin, malträtiert Schenkelfett mit Kanülen und quetscht Silikonimplantate in aufgeschnittenes Fleisch. Es ist der passende Auftakt für einen der brutalsten Auswüchse des Reality-TV-Booms der späten 00er Jahre.

Bridalplasty war nicht die einzige Serie ihrer Art, aber sie markierte den Tiefpunkt einer Schwemme chirurgischer "Makeover"-Shows, die in den 00er Jahren durch die US-amerikanischen Medien geisterte. Vor Bridalplasty gab es bereits The Swan (2002) Addicted to Beauty (2009), Extreme Makeover (2002) und I Want a Famous Face (2004). Letzteres wurde über MTV auch in Deutschland ausgestrahlt und mit The Swan – Endlich Schön, moderiert von Verona Pooth, und Extrem schön! – Endlich ein neues Leben gab es auch mindestens zwei deutsche Adaptionen.

Extreme Makeover hatte in den USA zu Spitzenzeiten 10 Millionen Zuschauer. Die mageren 600.000, die 2011 noch zu Bridalplasty einschalteten, markierten das Ende des Genres. In Deutschland hatte es gar nicht erst fußfassen können.

Die plastischen Makeover wurden in diesen Sendungen als Wohltat dargestellt: Frauen aus unteren Einkommensschichten bekamen Eingriffe geschenkt, die bis dahin den Reichen vorbehalten waren. Tatsächlich zeigten diese Formate Frauen, die davon überzeugt waren, dass ihr Weg zum Glück über ein Skalpell führt. Tiefsitzende Probleme wurden mit Silikon aufgefüllt.

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"Das Makeover-Format startete nach 9/11 durch", sagt Patti White, eine damalige Produzentin von Extreme Makeover. "Die Leute wollten sich unbedingt gut fühlen, weil es eine so düstere Zeit für die amerikanische Kultur war. Extreme Makeover sprach Unsicherheiten von Menschen an, wie es bis dahin noch nicht getan worden war. Die Message war: 'Es ist OK, eine Schönheitsoperation machen zu lassen. Es ist OK, sich besser fühlen zu wollen.'"

Cressida J. Heyes von der University of Alberta hat zu kosmetischen Eingriffen im Reality TV geforscht. Sie sieht vor allem in der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit nach dem Finanzcrash von 2008 die Ursache für den Erfolg des Genres. "In den Sendungen finden sich immer wieder Aschenputtel-, Dornröschen oder andere Märchennarrative, bei denen es um die plötzliche und unerwartete Lösung aller Probleme geht", sagt Heyes. "Die Menschen standen während der 00er Jahre unter wachsendem finanziellem Druck. Ihre Reallöhne schrumpften und die Konkurrenz für 'gute Jobs' wuchs. Es war kein Wunder, dass wir Frauen sehen wollten, die waren wie wir und die mit einer radikalen Transformation aus dem ökonomischen und persönlichen Stress ausbrachen."

Die Reality-TV-Formate jener Zeit verließen sich vor allem auf ihren Schockwert. Die 00er waren auch das Goldene Zeitalter von Frauentausch und diversen Supernanny-Formaten. Weil die Sendungen sich jedoch immer weiter gegenseitig überbieten mussten, brannte das Genre langsam aus. "Sie mussten immer schockierender werden, um unsere Aufmerksamkeit zu sichern", so Heyes.

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Während Whites Zeit bei der Sendung gab Extreme Makeover im Schnitt 90.000 bis 200.000 US-Dollar für die Verwandlung der Teilnehmerinnen aus. White kann sich auch noch an ihre Lieblingskandidatin erinnern, die 20-jährige Micha Snodderly aus Knoxville, Tennessee. "Als Vierjährige ist Micha hingefallen und hat sich ihren Kiefer am Kaffeetisch aufgeschlagen. Sie hatte kein Kinn mehr", sagt White. Snodderlys Familie konnte sich die nötige Operation nicht leisten und Micha lebte zurückgezogen. Nach Extreme Makeover begann Snodderly ein Studium.

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Stacey Hoffman vor ihren Operationen | Foto mit freundlicher Genehmigung von Stacey Hoffman

Aber nicht alle Makeover-Geschichten sind so erbaulich. In ihren schlimmsten Momenten bestärkten die Sendungen ein weißes Schönheitsideal, das jegliches Herkunftsmerkmal aus den Gesichtern der Frauen entfernte. "Ich habe eine amerikanische Ureinwohnerin in mir. Ich habe die große Nase und vollen Wangen meiner Urgroßmutter geerbt", sagt die 47-jährige Stacey Hoffman aus Nebraska. Obwohl Hoffman eigentlich wegen einer Nasenkorrektur zu Extreme Makeover gekommen war, schlugen die Chirurgen der Sendung weitere Eingriffe vor. "Ich war fast zehn Stunden unter dem Messer", sagt Hoffman. "Ich bereue keinen meiner Eingriffe, allerdings fand ich es nicht so gut, dass sie meine Haare rot gefärbt haben. Dadurch sah meine Haut so blass aus."

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Größere Probleme bereitete Hoffman die Rückkehr in ihr altes Leben. "Viele Menschen haben meinen Wandel nicht akzeptiert", sagt sie. "Ich habe am Ende meinen Job als Krankenpflegerin gekündigt und bin von Wahoo zu meinen Eltern nach Lincoln, Nebraska, gezogen. Die Leute in Kleinstädten mögen keine Veränderungen. Sie waren mir gegenüber reserviert und unfreundlich. Ich habe eine Freundin verloren, weil sie immer wieder sagte, ich sei eine 'hochnäsige Schnöselin'. Als ich zurück zur Arbeit kam, hat mich meine Chefin noch nicht mal erkannt."

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Hoffman ist nicht die einzige, die sich nach ihrem Fernsehauftritt nur schwer wieder in der Normalität einfand. Die kalifornische Hilfspolizistin Lorrie Arias hatte sich für The Swan beworben, um sich nach einem drastischen Gewichtsverlust überschüssige Haut zu entfernen lassen. 2002 ließ die damals 34-Jährige im Laufe des dreimonatigen Drehs Eingriffe im Wert von 300.000 US-Dollar machen, inklusive Bauchdeckenstraffung, Po-Straffung, Innenschenkel-Straffung, dualer Gesichtsstraffung, Oberlippenstraffung, Unter- und Oberliedstraffung, Endoskopisches Augenbrauenlifting, Nasenkorrektur, Brustvergrößerung und Bruststraffung. 2014 sagte Arias der Huffington Post, dass sie das verlorene Gewicht wieder drauf habe, obendrein sei sie agoraphobisch geworden. "Ich bin ein 150-Kilo-Wrack, das Angst hat, vor die Tür zu gehen."

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Matt Addis, ein Produzent von The Swan, sagt, er habe bereits während der Show Bedenken gehabt: "Ich habe alle Teilnehmerinnen ein paar Monate nach ihren Eingriffen interviewt", sagt er. "Sie schienen alle glücklich oder sogar sehr glücklich mit dem zu sein, was sie getan hatten. Aber meiner Meinung nach hätten sie mehr therapeutische Gespräche zu ihren Selbstwahrnehmungsproblemen bekommen sollen. Allerdings unterziehen sich Menschen ständig schönheitschirurgischen Eingriffen und suchen weder vorher, noch nachher eine Beratungsstelle auf."

Die Bridalplasty-Teilnehmerin Cheyenne Stoll aus New Jersey, sagt, sie habe vor allem verstört, direkt nach dem Eingriff gefilmt zu werden. Für ein Spiel sollten die Kandidatinnen ihre Hochzeitsschwüre aufschreiben. Gewinnerin war die, deren Schwüre denen ihres Verlobten am meisten ähnelte. Cheyenne Stoll schwor, "immer den Deckel auf die Zahnpasta-Tube zu drehen" – und gewann eine Nasen-OP. Eine Blende später wacht sie mit geschwollenen blauen Augen auf. Sie sieht schwach aus, steht eindeutig neben sich, ihre Stimme schwankt. "Sich in einem seiner verletzlichsten Momente filmen zu lassen, war nicht leicht", sagt die 33-jährige Stoll heute. "Aus der Anästhesie aufzuwachen, geschwollen und voller Schmerzen im Bett zu liegen und dann eine Kameralinse wenige Zentimeter vor das Gesicht gehalten zu bekommen, machte die Genesung alles andere als ideal."

Am Ende gewann Donovan Bridalplasty. In der letzten Folge schritt die biertrinkende Truckerbraut, wie sie sich selbst beschrieben hatte, graziös und in mehrere Schichten Taft gehüllt zum Altar. Mit 16 Kilo weniger auf den Rippen hatte ihr Bauch nichts mehr zu sagen.

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