Cannabis in Plastiksäcken
Die griechische Polizei trug säckeweise Cannabis in verschiedenen Verarbeitungsstufen aus den Gebäuden der beiden Deutschen | Alle Fotos: astynomia.gr  

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Wegen Cannabis müssen zwei Deutsche in Griechenland lebenslang in Haft

Wir haben mit den beiden gesprochen und einen Anwalt gefragt, was die beiden tun können, um früher rauszukommen.

Die Haftbedingungen in Patras sollen hart sein. Kakerlaken im Bad, Bettwanzen in den Matratzen und Schimmel an den Wänden. Bis zu acht Gefangene sollen sich in dem griechischen Gefängnis in einer fünf mal fünf Meter große Zellen drängen. Doch im Gegensatz zur U-Haft in Komotini, dem Knast, den dort Inhaftierte "Friedhof der Elenden" tauften, sei Patras eine Verbesserung. Das sagt einer der beiden Brüder aus Deutschland, die in Griechenland wegen Cannabis-Handel zu lebenslanger Haft verurteilt worden sind. VICE hat mit den beiden telefoniert, um über den Prozess und die Haftbedingungen zu sprechen. Was ihnen vorgeworfen wird, wäre auch in Deutschland nicht harmlos. Das harte Urteil demonstriert aber, wie unterschiedlich die Cannabis-Gesetze innerhalb der EU noch immer sind.

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Bereits am 14. Oktober 2017 stürmten gegen Mittag mehrere griechische Polizeieinheiten eine Wohnung und ein Gehöft in der Nähe von Kavala, einer Stadt im Norden Griechenlands. Als sie die grauen Plastikvorhänge an einem der Gebäude beiseite schoben, muss ihnen ein ziemlich strenger Geruch entgegengeschlagen sein. Zwischen grauen Wänden lagerte Cannabis auf mehreren Etagen einer improvisierten Bretterkonstruktion. In einem anderen Raum trocknete das Gras auf Netzen, gespannt zwischen Wänden und einer Hantelbank. Um die 100 Kilo unverarbeitetes Hanf und ein Kilogramm verarbeitete Cannabis-Blüten beschlagnahmten die Einsatzkräfte an diesem Tag.


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Am Rande des Hofs, abgeschirmt durch ein Getreidefeld, entdeckte die Polizei außerdem 80 Hanf-Pflanzen samt einer professionellen Bewässerungsanlage. Noch auf dem Hofgelände verhafteten sie die beiden Deutschen. Im Polizeibericht steht, dass die heute 34- und 42-jährigen Brüder laut Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft das Gras verkaufen wollten.

Dieser Punkt könnte entscheidend dazu beigetragen haben, dass die Deutschen lebenslänglich, also 25 Jahre, in griechischer Haft bleiben sollen.

Das Urteil fiel am 18. Juni 2018 und verpflichtet die beiden außerdem, jeweils 100.000 Euro Strafe zu zahlen. Griechische Medien berichteten seit der Verhaftung nicht mehr über den Fall. Erst die Seite Marijuana.com machte das Urteil öffentlich. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, der Fall sei bekannt und werde von der Botschaft Athen konsularisch betreut. Weiter könne man sich dazu im Moment nicht äußern. Doch nicht nur wie die beiden Verurteilten die Gerichtsverhandlung beschreiben, wirft ein paar Fragen auf, sondern auch die offizielle Zusammenfassung des Urteils.

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Nach nur 20 Minuten lautete das Urteil lebenslänglich

"Das Verfahren lief ein bisschen merkwürdig", sagt einer der beiden Inhaftierten am Telefon im Gespräch mit VICE. Das, was er sagt, klingt nicht vorwurfsvoll. Eher verwundert. Wegen der schlechten Griechischkenntnisse der Angeklagten sollte ein Dolmetscher übersetzen. Nach einer EU-Richtlinie ist das Pflicht. Allerdings habe die Richterin den Übersetzer ständig unterbrochen. Der Mann sei nicht hinterhergekommen und habe vieles auslassen müssen, sagt der ältere Bruder: "Wir konnten dem Verfahren nicht folgen."

Geerntetes Cannabis

Geerntete Cannabis-Pflanzen, wie sie die griechische Polizei in mehreren Räumen auf dem Hof der beiden Brüder fand

Die gesamte Verhandlung habe ungefähr 20 Minuten gedauert. Die drei Richter und die Staatsanwältin hätten teilweise gebrüllt. Auch ihm, seinem Bruder und der griechischen Pflichtverteidigerin sei das Gericht ins Wort gefallen. Den Cannabis-Anbau hätten sie zugegeben, sagt der 42-Jährige. "Das war ja offensichtlich." Aber nicht den Handel. Darum sei es im Verfahren, soweit sie ihm folgen konnten, auch nie gegangen. Dann habe sich das Gericht zur Urteilsfindung zurückgezogen.

Für ihren Fall und vier weitere, die an diesem Tag verhandelt worden seien, soll sich das Gericht 15 Minuten lang beraten haben. "Das sind drei Minuten pro Fall, in denen man uns zu lebenslänglich und 100.000 Euro Strafe verurteilt hat", sagt der 42-Jährige. Das Urteil sei nicht übersetzt worden. Erst auf dem Weg aus dem Gerichtssaal habe ihm die Anwältin auf Englisch gesagt, dass er und sein Bruder lebenslänglich bekommen haben. "Ich war platt", sagt er. Auch die Lebensgefährtin eines der beiden sagt, sie sei nicht im entferntesten auf das Urteil vorbereitet gewesen: "Wir waren fassungslos und standen alle unter Schock." Zu diesem Zeitpunkt, der inzwischen fast sechs Monate her ist, glaubte der ältere Bruder noch, für den Anbau verurteilt worden zu sein, so sagt er. Dass es stattdessen um mehrfachen Handel ging, habe er erst vor ein paar Tagen erfahren, als ein deutscher Unterstützer ihnen eine Übersetzung des griechischen Urteils schickte.

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Die Erzählungen aus dem Gerichtssaal lassen sich ohne das Protokoll nur schwer überprüfen. Ein griechisches Gericht, das einen Dolmetscher nicht ausreden lässt, würde gegen eine EU-Richtlinie über das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen. Tatsache ist, dass sich die deutsche und die griechische Strafprozessordnung stark unterscheiden. Alleine schon, dass eine Rechtsanwältin zwei Angeklagte vertritt, wäre in Deutschland verboten, sagt Ulrich Kerner. Der Berliner Fachanwalt für Strafrecht organisiert mit einem Kollegen von Deutschland aus die Verteidigung der beiden im Berufungsverfahren. Dafür, dass die Strafe hier dermaßen hoch ist, gebe es laut Kerner nach griechischem Recht mehrere Gründe.

Ein deutsches Gericht hätte milder urteilen müssen

In Griechenland schnellt das Strafmaß in zwei Fällen besonders schnell nach oben: "Beim Vorwurf der Gewerbsmäßigkeit und wenn der geschätzte Umfang des Deliktes mehr als 75.000 Euro beträgt", sagt Kerner. In der Zusammenfassung der vorläufigen Urteile, die VICE vorliegt, lautet der Urteilsspruch jeweils auf "gemeinschaftlicher und wiederholter Handel mit Betäubungsmitteln in der Form des Anbaus, der Ernte und des Besitzes von indischem […] bei einem zu erwartenden Nutzen von über 75.000 Euro". Sobald diese finanzielle Schwelle überschritten ist, wird die Strafe verschärft, sagt Kerner. "Deshalb steht in dem Urteil auch nicht 98.000 oder irgendeine andere Summe, sondern lediglich 'über 75.000 Euro'."

Das könnte auch erklären, warum das Dokument weder die Menge an konfiszierten Pflanzen auflistet noch die Höhe des THC-Gehalts. Vor allem Letzteres wäre für das Strafmaß in Deutschland relevant.

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Ein Cannabis-Feld

An die zwei Meter sollen manche der Cannabis-Pflanzen gemessen haben, die auf dem Gelände der Deutschen wuchsen

Lebenslänglich hätten die beiden sicher nicht bekommen. Das gibt es in Deutschland nur bei Mord oder Totschlag in einem besonders schweren Fall. Außerdem sind beide nicht vorbestraft, das wäre zu beachten. Hätten sie als Teil einer Gang oder bewaffnet gehandelt, wären mindestens fünf Jahre Gefängnis möglich. Dafür liefern die griechischen Dokumente aber keine Beweise. Deshalb könnte ein deutsches Gericht die beiden Männer höchstens für gewerbsmäßigen Handel verurteilen – nach den Paragrafen 29a oder 30 im Betäubungsmittelgesetz. Doch auch dann müsste man nachweisen, dass sie vorhatten, mehrfach mit Gras zu dealen und damit Gewinne zu erzielen.

Außerdem käme es in Deutschland darauf an, wie viel THC die beiden produziert haben. Die Polizei würde nur die THC-haltigen Pflanzenteile trocknen und den Durchschnittswert im Labor ermitteln. "Je nachdem, wie viel das ist, wäre man in Berlin im Bereich von drei bis maximal acht Jahren Haft", schätzt Kerner. Aber all das spielt 2.000 Kilometer südlich von Berlin keine Rolle.

Die Verurteilten wollen ihre Strafe in Deutschland absitzen

Noch fehlt das ausführlich begründete Urteil. Erst wenn das vorliege, könne man es rechtlich prüfen, sagt Kerner: "Wie lange das dauert, kann ich noch nicht sagen." Man hätte beantragen können, die vollständigen Urteile schneller abzufassen. Das habe die Pflichtverteidigerin jedoch abgelehnt. Für die beiden Verurteilten könnte das eine lange Wartezeit bedeuten.

Die beiden Deutschen haben gegen das Urteil bereits Rechtsmittel eingelegt. "Bei vielen Gefangenen kann es sechs oder sieben Jahre dauern, bis die Berufungsverhandlung zustande kommt", sagt der ältere der beiden Brüder. "Man bekommt einen Termin, der dann jedes Jahr immer weiter verschoben wird." Aber erst wenn ein griechisches Gericht über die Berufung entschieden hat, wird das Urteil rechtskräftig. Und erst dann können die Verurteilten beantragen, ihre Strafe in Deutschland abzusitzen. Das wäre grundsätzlich zwischen EU-Staaten möglich. Die griechischen Behörden dürften ohnehin wenig Interesse daran haben, zwei Deutsche 25 Jahre lang durchzufüttern. Sollte Griechenland einem Überstellungsantrag zustimmen, stünde die deutsche Seite vor einem neuen Problem. Sie müsste klären, wie sie mit dem Urteil umgeht. Denn lebenslange Haft wegen Drogenhandel ist im deutschen Recht nicht vorgesehen.

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