Ein Mann schleift Äste hinter sich her zum Camp
Menschen

Zu Besuch bei den Geflüchteten im Camp Moria auf Lesbos

Auf Lesbos leben 20.000 Geflüchtete auf engstem Raum, davon fast die Hälfte Kinder. Die EU schaut zu.

"Vielleicht wollte Gott mir zeigen, dass man wirklich in Zelten leben kann", sagt Zainab und guckt mit ihren schwarzen Augen an mir vorbei. In der Grundschule erzählte ihr Lehrer von einem Nomadenstamm im Norden Afghanistans, aber sie konnte das nicht glauben: "In Zelten? Bei Regen? Im Winter?" Sie lacht auf und streicht eine Strähne ihrer Kurzhaarfrisur aus dem Gesicht. Zainab ist 22 Jahre alt und wir sind auf der griechischen Insel Lesbos. Achttausend Meter Meer trennen hier die Europäische Union und die Türkei. Zainab will mir ihr altes Zuhause zeigen: Moria, das Camp auf dem ehemaligen Militärgelände, ausgelegt für 2.200 Menschen. Wer dort keinen Platz bekommt, zieht mit dünnen Zelten in den anliegenden Olivenhain, ohne Schutz vor Regen und Kälte, ohne Toiletten und Strom. Hier leben 20.000 Menschen auf einem Quadratkilometer.

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"Im August vergangenen Jahres erreichte unser Schlauchboot den Norden der Insel", sagt Zainab. "Wir haben vor Freude geweint. Wir waren voller Hoffnung, wir dachten: Hier werden ein paar unserer Rechte respektiert, wir können die Vergangenheit hinter uns lassen."


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Vergangenheit, das ist für Zainab die viertgrößte Stadt Afghanistans, Masar-e Sharif. "Dort machte ich nie Pläne für die Zukunft, weil es so unsicher war, ob ich sie je erlebe." Sie habe persönlich Gewalt und Drohungen durch die Taliban erlebt, sagt Zainab, allerdings wolle sie nicht mehr darüber reden. "Es war schrecklich, das soll reichen." Die erste Zeit auf Lesbos habe sie mit ihrem Onkel auf der Straße geschlafen, ohne Zelt. "Eine Decke legten wir unter, eine über uns. In Moria gab es nur Platz für alleinstehende Frauen, aber ich wollte bei meinem Onkel bleiben, ich hatte solche Angst. Nach zwei Wochen im Straßengraben entschied ich zu gehen. Es gab keine andere Option."

Eine Halde mit unzähligen kaputten Schwimmwesten

Der Life Jacket Graveyard | Foto: Simon Grothe

Nach dem EU-Türkei-Abkommen von 2016 erreichten weniger Schlauchboote die griechischen Inseln. Doch schon bevor Erdoğan die türkisch-griechische Grenze für Flüchtende im Februar öffnete, kamen immer mehr Menschen an. Besonders in der zweiten Hälfte 2019 gingen die Zahlen trotz des einbrechenden Winters kaum zurück. Derzeit harren etwa 13.000 Menschen an der türkisch-griechischen Landesgrenze aus, werden mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen am Grenzübertritt gehindert.

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Videos, die Menschen mit Schusswunden zeigen, wurden von den griechischen Behörden als Fake News bezeichnet. Ein Forscherkollektiv aus London bestätigte jedoch den Tod des Syrers Muhammad al-Arab mit Schussverletzungen an der griechischen Landesgrenze. Zudem haben sich Bürgerwehren gegründet, die mit Hunden und Gewehren patrouillieren. Im März setzte der griechische Premierminister das Asylrecht aus. Wer neu ankommt, wird eingesperrt und ohne Verfahren abgeschoben. Griechenland macht seine Grenze zum rechtsfreien Raum. Und die EU schaut zu.

"Willkommen im Dschungel", sagt Zainab

Auf einem Straßenschild steht Moria in lateinischen und griechischen Buchstaben. Es hat den ganzen Tag geregnet und gestürmt. Das Wasser spritzt, als das Taxi durch die Schlaglöcher ruckelt. Und dann stehen Zainab und ich vor einem Zaun mit Stacheldraht, der alle fünfzig Meter aufgebogen ist. Wir laufen an Obstständen vorbei. Auf einer Plane verkauft ein Junge Nägel, Feuerzeuge, Gaskartuschen – Moria Essentials. Das Camp ist blau und weiß und braun. Müllsäcke, Zelte, Matsch. "Willkommen im Dschungel", sagt Zainab und schlängelt sich durch die Müllberge, vorbei an Frauen mit Wäschekörben, zu einem größeren, weißen Zelt, vor dem Kinder Murmeln flitschen.

Zainab sitzt mit schwarzer Jacke und schwarzer Hose auf Betonstufen

In ihrer Heimat Afghanistan habe Zainab keine Pläne für die Zukunft gemacht, erzählt sie: "Weil es so unsicher war, ob ich sie je erlebe." | Foto: Raphael Knipping

"Als ich in Moria ankam und die Menschen in den Zelten sah, war ich geschockt. Ich habe eine Woche lang geweint. Ich wusste, dass wir in einem Camp leben würden, aber ich dachte nicht, dass es aus Zelten bestehen würde, die Menschen normalerweise für ihre Ferien benutzen. Zelte, die nicht gegen Regen und Kälte geschützt sind, ohne Privatsphäre. Ich dachte, nach ein paar Wochen darf ich in einen Container umziehen, vielleicht zu meinem Onkel, aber dann sprach ich mit Menschen, die seit neun Monaten oder einem Jahr dort zelten. Ich wollte nicht akzeptieren, so lange zu bleiben, aber ich musste. Es gab keine Alternative. Ich habe mich mit den zehn Frauen in meinem Zelt ganz gut verstanden, aber du kannst niemandem in Moria vertrauen. Niemand ist normal da. Niemand hat ein normales Leben, einen normalen Alltag."

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Als die Sonne durch die Wolken bricht, wird Moria lauter. Jungs mit Boomboxen laufen über die Hauptstraße, dazu das rhythmische Klingen eines Hammers. Es riecht nach Ruß, als wir an den Öfen im Boden vorbeikommen, in denen alte Männer Brot backen. Über die Jahre haben sich die Menschen organisiert. Moria ist eine Kleinstadt. Es gibt Barbershops, Kioske und Falafel, eingewickelt in griechische Lidl-Prospekte. Es ist eine friedliche, heitere Stimmung. Ein paar Kinder sitzen um eine Feuertonne und reden über deutsche Städte. "Stuttgart is shit", sagt ein Junge.

Ein Straße am Camp, an der Seite stapeln sich die Müllsäcke

Neben dem Camp leben die Menschen in einfachsten Zelten. Eine Müllabfuhr gibt es nicht | Foto: Raphael Knipping

Javad aus Afghanistan: "Justin Bieber gefällt den Taliban nicht"

Javads Vollbart kratzt auf meiner Haut, als er einen Kuss auf die Wange andeutet. Er heißt eigentlich anders, aber seine Identität soll hier geschützt werden. Javad hat sich verändert. Sein WhatsApp-Profilbild zeigt ihn mit einem fein getrimmten Bart und rotem Jackett. Zu Hause in Kabul moderierte er eine tägliche Musiksendung. "Justin Bieber gefällt den Taliban genauso wenig wie mein Tattoo", sagt Javad und streckt mir seinen Hals mit drei Sternen hin. "Nachdem sie mich zusammenschlugen und drohten, meine Kinder zu töten, verkaufte ich mein Haus und mein Auto und betrat das Fernsehstudio nie wieder." Er habe ein vergleichsweise angenehmes Leben in Kabul gehabt, sagt er. "Sowas gibt man nicht leichtfertig auf."

Javad, seine Tochter Zahra und andere Kinder in einem Zelt

Javad und seine Tochter Zahra (Mitte) | Foto: Simon Grothe

Die Lage in Afghanistan ist auch heute noch angespannt. Die Taliban verursachten 2019 so viele Angriffe wie seit zehn Jahren nicht mehr. Für mehr als die Hälfte der 2.563 zivilen Todesopfer von Januar bis September 2019 waren laut einem UN-Bericht die US-Armee und deren Alliierte verantwortlich. Experten befürchten, dass die Taliban nach dem Rückzug der USA ihre Macht weiter ausbauen. Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sind Abschiebungen in Kriegsgebiete.

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Javad hat auf vier Holzpaletten ein Zelt gebaut. Auf den Matratzen im Inneren sitzen sieben Kinder und sagen der Reihe nach: "Boat. Shop. Train." Jeden Tag kommen sie zu Javads Unterricht. Auch heute, am Sonntag.

"Die Kinder lachen und spielen, aber alle sind traumatisiert. Sie wissen nicht, was passiert, wohin es geht, was die Zukunft bringt. Jeden Tag werden Menschen in Moria verrückt."

Javads Tochter Zahra ist elf Jahre alt und erklärt in bestem Englisch, dass sie Pilotin werden will. Es klingt weniger nach einem kindlichen Plan als nach einer Feststellung. "I will go the USA, to Canada and to Africa", sagt sie und beginnt ein Klatschspiel mit ihrer Freundin. In der öffentlichen Wahrnehmung geht oft verloren, dass 42 Prozent der Geflüchteten auf Lesbos Kinder sind. Die Generation Moria wächst dort heran.

Nach der Stunde kuschelt sich Javads Tochter in seinen Schoß. Er sagt: "Die Kinder lachen und spielen, aber alle sind traumatisiert. Sie wissen nicht, was passiert, wohin es geht, was die Zukunft bringt. Jeden Tag werden Menschen in Moria verrückt. Ich suche einen Ort, an dem ich mit meiner Familie in Frieden leben und an dem ich wieder als Journalist arbeiten kann. Dieses Land kann Griechenland oder Deutschland heißen, das ist mir egal. Ich möchte nie wieder um das Leben meiner Familie bangen."

Vergangene Woche gab es die erste erfasste Coronavirus-Infektion auf Lesbos

Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen ruft zur dringenden Evakuierung von Moria auf, warnt vor sexueller Gewalt in dem Camp, in dem Frauen in Windeln schlafen, weil sie sich nachts nicht auf die Toilette trauen. Ein Iraner erhängte sich am 6. Januar im Gefängnis von Moria, zwei Geflüchtete wurden seit Beginn des Jahres erstochen. Ärzte ohne Grenzen berichtet immer wieder über Suizidversuche von Minderjährigen.

Zwei Dixi-Toiletten

Dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen zufolge trauen sich Frauen aus Angst vor sexualisierter Gewalt nachts nicht auf die Toilette | Foto: Michael Trammer

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Vergangene Woche gab es den ersten erfassten Coronavirus-Fall auf der Insel. Eine Infektionswelle im Camp würde sich rasend schnell verbreiten. In manchen Abschnitten teilen sich 1.300 Menschen einen Wasserhahn, ohne Seife oder Desinfektionsmittel. Geflüchtete schneidern im Schichtbetrieb Atemschutzmasken, versuchen, mit selbstgemalten Plakaten die Camp-Bewohnerinnen zu informieren. "Wir haben genaue Anleitungen zum Maskenschneidern auf der Website der Weltgesundheitsorganisation gefunden", sagt ein Aktivist dem Spiegel. Während sich die Menschen in Deutschland um dreilagiges Klopapier sorgen, sind die Flüchtenden in Moria auf sich allein gestellt. Wenn in dieser Enge ein Feuer ausbricht, gibt es kaum Fluchtmöglichkeiten, so eng leben die Menschen aneinander. Erst am Montag brach tatsächlich ein Feuer aus, bei dem mindestens ein Kind in einem der Zelte starb.

Seit der Reform des griechischen Asylrechts Anfang dieses Jahres stecken über 41.000 Menschen auf den Inseln Lesbos, Chios, Kos, Samos und Leros fest. Die griechische Regierung verbietet ihnen, die Inseln zu verlassen, um sie bei negativer Asylentscheidung leichter in die Türkei abschieben zu können. Auch die Verfahren werden im Eiltempo durchgepeitscht. Innerhalb von sieben Tagen nach Ankunft sollen Flüchtende, die bis zur Aussetzung des Asylrechts vor zwei Wochen ankamen, ihr erstes Asylinterview haben. Wenige Tage später soll es eine Entscheidung geben. Ich treffe eine Frau, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, weil sie am Tag des Interviews ein Kind gebar. Früher konnte die Abwesenheit begründet werden, nun ist Einspruch kaum möglich. Es wird behauptet, die flüchtende Person hätte nicht mit den Behörden kooperiert, und sie wird abgeschoben.

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Ein Schwarzer Mann vor einem behelfsmäßigem Zelt

Manche Geflüchtete sind seit Jahren im Camp – wie dieser Mann aus Nigeria, der seit vier Jahren in Moria lebt | Foto: Raphael Knipping

Aber auch in den Anhörungen sind die Behörden alles andere als kooperativ. Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara beantragen oft ein Asylinterview in ihrer Muttersprache. Das ist ihr Recht, aber da die Behörden keine Übersetzer für diese Sprachen auftreiben, werden sie in den Kolonialsprachen Englisch oder Französisch interviewt. Das griechische Magazin Efsyn veröffentlichte die behördliche Mitschrift des Asylinterviews eines 45-jährigen Senegalesen vom 8. Januar. Es dauerte genau fünf Minuten: von 9:17 Uhr bis 9:22 Uhr. Fünf Minuten, die über seine Zukunft entscheiden. Doch er versteht die Menschen nicht, die entscheiden, sagt wieder und wieder den Namen seiner Muttersprache.

"Guten Morgen."

(Bewerber guckt den Übersetzer an)

"Verstehen Sie den Übersetzer?"

"Wolof."

"Sie sprechen Französisch?"

(Bewerber antwortet nicht)

"Bei Ihrer Registrierung wurde Französisch als Sprache angegeben. Warum?"

"Kein Französisch, nur Wolof."

"Ich möchte Sie informieren, dass unter dem neuen Gesetz das Asylinterview in der Sprache geführt wird, die bei der Registrierung angegeben wurde. (…) Verstehen Sie noch immer nicht den Übersetzer und behaupten, nur Wolof zu sprechen?"

"Wolof, Wolof."

"Das Interview ist vorbei, vielen Dank."

Zwei Tage später erhielt er der Zeitung zufolge die Ablehnung seines Asylgesuchs und die Ankündigung einer Abschiebung in die Türkei. Eine NGO hat seinen Fall übernommen und Einspruch eingelegt.

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Viele Inselbewohnende waren fünf Jahre solidarisch – doch die Stimmung kippt

Um die Frist von sieben Tagen einhalten zu können, werden die Fälle Tausender Menschen, die im vergangenen Jahr ankamen, nach hinten geschoben. Mir werden Einladungen für Interviews im Jahr 2021 und 2022 gezeigt. Bis dahin müssen die Flüchtenden in Moria bleiben, ohne Perspektive, ohne Sicherheit. Und die Lage scheint zum Dauerzustand zu werden.

Über fünf Jahre zeigten sich die meisten Inselbewohner solidarisch mit den Flüchtenden. Auch weil sie es als vorübergehendes Phänomen sahen. Mit der zunehmenden Gewissheit, dass Lesbos mit immer größeren Lagern zu einer dauerhaften Außenstelle der europäischen Asylbürokratie wird, wollen sie sich nicht abfinden. In den vergangenen Wochen heizten rechtsextreme Terroristen immer erfolgreicher die Stimmung auf. Stundenlang belagerten Hunderte Menschen die Militärbasis, in die sich die Polizei zurückgezogen hatte, warfen Flaschen, Steine, Feuerwerkskörper, errichteten Straßenblockaden. Am Folgetag wurden die zusätzlichen Einheiten wieder von der Insel abgezogen.

Ein Pick-up-Truck mit zersplitterter Frontscheibe

In den vergangenen Wochen belagerten Menschen die Militärbasis, in der sich die Polizei verschanzt hatte | Foto: Michael Trammer

Seither ziehen rechte Mobs über die griechischen Inseln, erstellen Listen in Facebook-Gruppen mit Wohnorten von NGO-Mitarbeiterinnen. Die deutschen Journalisten Michael Trammer und Raphael Knipping dokumentierten, wie Anwohner Flüchtende in einem Schlauchboot mit Plastikflaschen bewarfen und nicht an Land ließen. Dann wurden sie im Beisein von etwa hundert Anwohnern zusammengeschlagen, Trammers Kamera ins Hafenbecken geworfen. Es gibt hochaufgelöste Fotos von den Gesichtern der Angreifer. Dies zeigt, wie sicher sie sich fühlen.

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Auch Äußerungen wie die der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Griechenland als das "Schild" der EU gegenüber Flüchtenden bezeichnet hat, können faschistische Mobs darin bekräftigen, freiwillige Helferinnen, Journalisten und Flüchtende anzugreifen. Europaweit versuchen Rechtsextreme, zur "Verteidigung Europas" zu mobilisieren. Vier deutsche Neonazis wurden auf Lesbos von der Antifa verprügelt und verließen dann die Insel. Weitere Neonazis wurden neben dem angezündeten Community Center "One Happy Family" dabei beobachtet, wie sie sich als Journalisten ausgaben.

"Es wird weitere Proteste geben"

Zahlreiche NGOs haben Lesbos mittlerweile verlassen. Nur wenige Freiwillige blieben zurück, stellten die Arbeit jedoch weitgehend ein. Neu ankommende Flüchtende schliefen tagelang ohne medizinische Versorgung und ohne Zelte am Strand, bis sie ein griechisches Militärschiff nach Athen brachte, um sie von dort aus abzuschieben. Eine weitere Gruppe von etwa 92 Flüchtenden, davon mehr als zehn Kinder, schläft seit einer Woche am nördlichen Strand der Insel. In Moria wird aktuell niemand registriert. Allein die Zufahrt zum Camp war tagelang von Anwohnenden blockiert.

Protestierende vor einer Straßenblockade

Seit Wochen gibt es auf der Insel Proteste | Foto: Michael Trammer

"Es wird weitere Proteste geben", sagt Sami Azizi. Als Community Leader vertritt er einen Teil der Afghanen gegenüber den Behörden. "Es gibt kaum Strom, die Interviews für Asyl liegen so weit in der Zukunft, keiner weiß, wie es weiter geht. Wir leben in ständiger Angst." Jeden Tag werden in Moria die Grundrechte von Menschen verletzt. Kinder spielen barfuß zwischen Müllbergen im Matsch, ohne Zugang zu Toiletten, Strom, angemessener medizinischer Versorgung, geschweige denn Schulen. Fünf Jahre nach 2015, als es so viele Helferinnen gab, dass sie sich anderen Volunteers zufolge um Selfies mit Babys in den Booten kloppten, ist ein würdeloses Leben Alltag an den Außengrenzen Europas.

Zainab hat es vorerst geschafft, das Camp zu verlassen. Sie arbeitet als Übersetzerin in der Arztpraxis einer NGO in der Nähe von Moria. "Ich bin so glücklich. Ich habe mein Leben wieder in der Hand. Ich kann entscheiden. Ich kann das wirklich fühlen. Ich glaube, ich kann es schaffen. Ich muss. Ich habe keinen anderen Weg. Ich möchte Ärztin werden. Ich habe als Kind schon mit so Sachen gespielt. Und ich möchte Gitarre spielen. Das löst all die Anspannung."

Zainab sagt all das mit einer solchen Überzeugung, dass es kaum zu glauben ist, dass sie ihr Asylinterview noch vor sich hat. Am 5. März 2020 kommt nach sieben Monaten Wartezeit der Tag, an dem griechische Beamte über ihre Zukunft richten sollten. Doch der Termin wird nach den Eskalationen der vergangenen Wochen verschoben: auf Dezember. Für die Zwischenzeit hat sich Zainab ein Deutsch-Buch besorgt, Level A1.

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