Kanye West trägt eine "Make Amerika Great Again"-Mütze und reibt sich verheißungsvoll die Hände.
Symbolfoto || Flagge: imago images | Panthermedia | Kanye: imago images | MediaPunch
Politik

Frauen, nehmt euch ein Beispiel an Kanye West!

Seine Kandidatur als US-Präsident ist absolut größenwahnsinnig – und genau das will ich von ihm lernen.

Stellt euch vor, Capital Bra würde in die CDU eintreten und verkünden, dass er Kanzler werden möchte. Etwas ähnliches passiert gerade in den USA. Kanye West verkündete nämlich am 5. Juli auf Twitter: "Ich trete an, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden". 1,2 Millionen Menschen gefällt dieser Tweet. Donald Trump gefällt er nicht, er sagte nur: "Das ist sehr interessant." Und die Zeit würde knapp, aber Kanye solle es doch als "Testlauf" verstehen, für die Wahl in vier Jahren. Trump nimmt die Kandidatur also ernst.

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Dass Kanye West – Musikproduzent, Modedesigner, Milliardär und Mann von Kim Kardashian – es wirklich schafft, sich noch in allen Bundesstaaten zur Wahl registrieren zu lassen und dann genügend Stimmen bekommt, ist absolut unwahrscheinlich. Die Wahlen sind schon am 3. November. Knapp vier Monate Zeit hat Kanye West also für seinen Wahlkampf, dann wählen die US-Amerikanerinnen und Amerikaner zum 59. Mal ihren Präsidenten. Ja, es wird auf jeden Fall ein Mann, eine Frau steht – zumindest als Spitzenkandidatin der zwei großen Parteien – nicht zur Wahl. Kurz gesagt: Ich denke nicht, dass das klappt. Aber ich bin auch eine Frau.

Wenn ich in einer Jobausschreibung lese, dass ich mindestens fünf Jahre Berufserfahrung haben muss, um mich zu bewerben, fange ich an zurückzurechnen, ob Ausbildungsjahre dazugehören und das Praktikum bei der Lokalzeitung in der 11. Klasse – und wenn ich am Ende nur auf 4,5 Jahre komme, bewerbe ich mich nicht. Aus Angst, nicht qualifiziert genug zu sein. Dahinter stecken zwei Probleme: Die gesellschaftliche Erwartung an Frauen, beweisen zu müssen, dass sie es trotzdem können – und fehlender Größenwahn.


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Frauen sind es nämlich gewohnt, beweisen zu müssen, dass sie das, was sie wollen, auch wirklich können. Also, dass sie trotzdem fähig sind, obwohl sie eine Frau sind. Vor allem in der Politik. Als zum Beispiel Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin wurde, und später Annegret Kramp-Karrenbauer, da haben sich viele darüber aufgeregt, dass sie selbst nicht bei der Bundeswehr gewesen seien. Wie sollen die denn da wissen, was es bedeutet, das Militär zu führen? Und jedes Mal, wenn dann wirklich was Dummes passiert ist, wurde es darauf zurückgeführt. Ein Spiegel-Redakteur war sich 2014 nicht zu schade, zu schreiben, von der Leyen hätte es geschafft, über den roten Teppich drüberzumarschieren, ohne zu stolpern, der ihr bei einem Staatsbesuch im Iran ausgerollt wurde. Jens Spahn hingegen – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – der vor seinem Politikstudium eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht hat, ist heute unser Gesundheitsminister. Der hat nicht mal ein Pflegepraktikum gemacht, zumindest steht keines in seinem Lebenslauf. Da hat sich niemand beschwert. Und ich finde es auch nicht schlimm. Corona managt er ja ganz gut.

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Ich bin weder Fan von der Leistung von Ursula von der Leyen noch von Annegret Kramp-Karrenbauer, aber es gibt genug Männer, die ihren Job nicht gut gemacht haben und wer würde darauf kommen, ihnen vorzuwerfen, das hätte an ihrem Geschlecht gelegen? Diese Männer sind dann keine unfähigen Männer, sie sind einfach als Person in ihrem Amt gescheitert. Als Frau hätte ich auch gerne das Recht, einfach ungeeignet zu sein – und nicht qua Geschlecht vorverurteilt zu werden.

Viele Männer scheinen sich ganz selbstverständlich befähigt für Positionen zu fühlen, für die sie eigentlich absolut unqualifiziert sind. Sie trauen es sich einfach zu. Und sie schaffen es. Trotzdem. So wie Donald Trump und nun eventuell Kanye West.

Kanye und Trump haben insofern einiges gemeinsam. Beide haben vor ihrer Kandidatur keine politische Erfahrung gesammelt. Sie haben sich politisch geäußert – wenn auch nicht besonders qualifiziert, denn Kanye West ist auch Verschwörungstheorien zugetan –, aber sie haben keine Politik gemacht. Sie bringen etwas anderes mit: Sie sind reich und sie sind berühmt. Kurz gesagt: Sie haben Macht. Und das reicht. Denn Macht ist die Währung der Politik.

Kanye West hat seine Kandidatur nicht verkündet, weil er die Erfahrung und das politische Wissen mitbringt, die ihn zu einem guten Präsidenten machen würden – sondern einfach nur, weil er Präsident sein will. Hillary Clinton hingegen hatte alles, was eine Präsidentin braucht: Sie hat Politik- und Rechtswissenschaften studiert, saß jahrelang im Senat, war Außenministerin. Aber sie unterlag in den letzten US-Wahlen Donald Trump, einem populistischen Bau- und Medienmogul. Skandale gab es vorher um beide: Trump hat gezeigt, dass er Frauen verachtet, Clinton hatte Mails von einem privaten Server verschickt. Trump wurde gewählt – trotzdem. Clinton nicht.

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Trump, der ja gerne US-Präsident bleiben will und eine Wiederwahl anstrebt, findet die Bewerbung von Kanye West nun also "sehr interessant". Das drückt nicht unbedingt Begeisterung aus. Das ist verständlich, schließlich sind Kanye und Trump nun Konkurrenten. Kanye war nämlich lange Trumps Fan, setzte sich sogar eine "Make America great again"-Kappe auf, was er später als "Scherz" verkaufte.

Als der französische Philosoph René Descartes sich im 17. Jahrhundert gefragt hat, was den Mensch im Innersten wirklich ausmacht, hat er nach langem Grübeln folgenden Satz aufgeschrieben: Ich denke, also bin ich. Der Satz wurde ein Grundprinzip der Philosophie. Knapp vierhundert Jahre später scheint dieser Satz in leicht abgewandelter, kapitalistischer Form noch immer zu gelten: Ich denke, ich kann das schaffen, also werde ich. Wer nur überzeugt genug von sich ist, der kann eigentlich alles. Und wenn man dann auch noch genug Macht hat, wenn einen aus dem Fernsehen sowieso jeder kennt und man einen Wahlkampf bezahlen kann, dann kann man auch locker Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden.

Ja, man sollte nicht alles genauso machen wie Kanye West. Bei Trump sieht man ja, was dabei raus kommt: nichts Gutes. Man sollte sich als Frau nur ab und zu fragen: Was würde ein Mann tun? Gerhard Schröder soll mal am Tor des Bonner Regierungssitzes gerüttelt und gesagt haben "Ich will hier rein!". Da haben einige gelacht. Dann wurde er Kanzler. Vielleicht sollte ich das gleiche an der gläsernen Pforte des Spiegel-Gebäudes tun und bei meinem Bewerbungsgespräch sagen, dass ich gerne eines Tages hier mal Chefin wär.

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Ich wäre mir dabei selbst nicht besonders sympathisch. Aber es würde ja vielleicht schon reichen, das zu denken. Die kleine Schwester von Größenwahn ist nämlich Selbstvertrauen. Man muss seine Ziele also nicht gleich an die große Glocke hängen, man kann sie aber haben. Oder Frau.

Ich möchte deshalb einen Vorschlag machen: Beyoncé for President. Sie steht für Gleichbereichtigung ein und gegen Sexismus, engagiert sich für die Rechte Schwarzer Frauen und gegen Krebs, unterstützt Opfer von Umweltkatastrophen und, ach ja: Sie ist eine der reichsten Frauen Amerikas. Ich glaube, sie schafft das.

Update vom 10. Juli 2020, 15:00 Uhr:
In einer früheren Versionen dieses Textes stand, im November würde der 59. Präsident der USA gewählt. Das ist nicht korrekt. Die Wahlen finden zum 59. Mal statt. Der amtierende Präsident Donald Trump ist der 45. Präsident der USA.

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