Ein Eimer mit Cannabis darin und eine Schaufel am Strand. In Crailsheim hat eine Waldorfschule Gras auf dem Schulhof gefunden
Bilder: Alex Person/ Unsplash und IMAGO / Panthermedia | Collage: Philipp Sipos
Drogen

Was passierte, als eine Waldorflehrerin ein halbes Kilo Cannabis fand

"Das war so, als ob man einen Koffer mit Geld findet oder eine Schatulle mit Goldmünzen", sagte ihr Kollege vor Gericht.

Crailsheim werden die meisten von euch eher nicht kennen. Eine Stadt im Norden Baden-Württembergs, 34.000 Einwohner und auf den ersten Blick betrachtet eher unaufregend. 

Doch auch in Crailsheim können Dinge passieren, die es so eigentlich nur in Filmen gibt. Dass wir das wissen, verdanken wir der lokalen Südwest-Presse. Die ist glücklicherweise auf einen Prozess aufmerksam geworden, der selbst in einer Stadt wie Berlin ziemlich skurril gewesen wäre. Fünf Angestellte der örtlichen Waldorfschule sind am Amtsgericht Crailsheim angeklagt. Der Vorwurf: Besitz und Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Aber was ist passiert?

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Der Fund

Es ist der 15. Juni 2022. Eine Lehrerin der Waldorfschule Crailsheim, nennen wir sie Frau A., geht über einen Spielplatz neben dem Schulgebäude, der öfters von den Schulklassen genutzt wird, und entdeckt dabei drei Päckchen, die neben den Schaukeln versteckt sind. Dort liegen, in Frischhaltefolie eingewickelt und halb verbuddelt, über 500 Gramm frisch duftendes Cannabis.

OK, es ist nicht das erste Mal, dass Menschen auf Spielplätzen Drogen finden. Aber es ist das erste Mal in Crailsheim – und wahrscheinlich auch das erste Mal, dass deswegen eine ganze Schule ins Chaos stürzt.

Denn anstatt die Drogen bei der Polizei zu melden, steckt die 58-Jährige die Päckchen ein, und … bringt sie ins Lehrerzimmer, legt sie auf den Tisch und klebt ein Post-It mit "Was ist das?" darauf. Vor Gericht sagt Frau A. später, sie habe wirklich nicht gewusst, um was es sich bei den Päckchen handele. "Da brauchte es erst andere", sagt sie.

So weit, so rührend. Doch ab jetzt beginnen die Entscheidungen der Frau A. ins Skurrile abzurutschen. Als man ihr dann nämlich erklärt, worum es sich bei der geheimnisvollen, intensiv riechenden grünen Substanz handelt, beschließt sie, eines der drei Päckchen mit nach Hause zu nehmen. Damit der Geruch im Haus nicht zu intensiv wird, teilt sie das Päckchen auf zwei Gläser auf und stellt diese – ganz in Waldorfschulen-Manier – ins Regal zu ihrem Lindenblütentee. 

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Der Kollege

Doch die Nachricht über den sonderbaren Fund hat im Kollegium schon Wellen geschlagen. Und so bittet sie ein 56-jähriger Kollege, nennen wir ihn Herr B., ihr doch ein Glas davon abzugeben. "Das war so, als ob man einen Koffer mit Geld findet oder eine Schatulle mit Goldmünzen. Ich wollte es nicht sofort abgeben, ich wollte es echt haben, studieren", sagt B. später vor Gericht aus. Er begründete seine Entscheidung also mit Neugier: "Wie ein Film, den ich weiterschauen wollte. Wie eine Novelle, die ich weiterlesen wollte." Zum Ausprobieren war die Neugier dann allerdings doch nicht groß genug – er habe, beteuert B., nur ab und an mal an dem Glas gerochen. Ob das wirklich so stimmt, kann niemand überprüfen. 

In einem Gespräch mit VICE sagt die zuständige Richterin Dorothea Keck: "Mir ist versichert worden, ob man das jetzt glauben kann oder nicht, dass das alles gewesen wäre." Sie glaube nicht, dass einer der Beteiligten einen Teil verschwinden lassen oder behalten habe. Es könne aber sein, dass jemand "zwischendurch mal konsumiert hat". 

Die Geschäftsführung

Angeklagt sind neben den beiden Lehrkräften, die einen Teil der Drogen bei sich zu Hause gebunkert hatten, auch zwei Geschäftsführer der Schule. Die Staatsanwaltschaft macht sie für das "Totalversagen" verantwortlich. Der Grund dafür: Es habe erst eine Schulführungskonferenz einberufen werden müssen, da die Geschäftsführer laut eigener Aussage über keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den Lehrkräften verfügen. Es sollte also gemeinsam entschieden werden, ob man das Gras nicht vielleicht doch zur Polizei bringt.

Die Richterin Keck sagt, dafür brauche es keine Schulführungskonferenz, die Rechtslage sei in diesem Fall eindeutig. Am Ende dauert es deswegen eine Woche, bis die Drogen aus der Schule an die Polizei übergeben werden. Allerdings nicht alle: Frau A.'s Teil verweilt noch eine ganze weitere Woche im Glas neben dem Lindenblütentee. 

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Das Urteil

Am Ende spricht das Gericht die beiden Geschäftsführer und eine weitere ehemalige Aushilfslehrerin frei. Die Hauptangeklagten Frau A. und Herr B., dem sie ein Glas ihres Fundes mitgebracht hatte, bekommen jeweils fünf und drei Monate Haft auf Bewährung sowie Geldstrafen wegen des Besitzes und der Abgabe von Betäubungsmitteln. 

Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft geht in Berufung. Das kann allerdings noch einige Monate dauern. Die Geschichte dieses Fundes wirkt wie eine Geschichte von harmloser Naivität und unglücklichen Verkettungen, endet aber wahrscheinlich mit umso ernsteren Folgen für die Beteiligten. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, dürften die beiden verurteilten Lehrkräfte nämlich ihren Job verlieren. Menschen, die wegen Betäubungsmitteln verurteilt sind, dürfen laut Jugendarbeitsschutzgesetz keine Jugendlichen beaufsichtigen. 

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