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Interviews

Ein Ex-Facebook-Manager verrät, wie es in dem Konzern wirklich zugeht

"Es gibt geheime Facebook-Gruppen, in denen Mitarbeiter darüber reden, wie sie mit dem ganzen Reichtum umgehen sollen."
Der ehemalige Facebook-Mitarbeiter Antonio García Martínez | Foto: Helena Price

Wir nutzen es jeden Tag, verraten dort unsere Geheimnisse und teilen Bilder intimer Momente. Andererseits wissen wir selbst nur wenig über Facebook. Denn kaum jemand spricht darüber, wie es hinter den Kulissen aussieht. Stillschweigevereinbarungen halten Mitarbeiter davon ab. Wer doch redet, muss mit millionenschweren Klagen rechnen und verbaut sich seine Zukunft im Silicon Valley. Dort, in der Region um San Francisco, sitzen die Giganten der Netzwelt: Google, Apple und eben Facebook.

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Antonio García Martínez bricht das Schweigen. Der 40-Jährige arbeitete von 2011 bis 2013 als Manager bei Facebook. In seinem Buch Chaos Monkeys hat er als Erster über seine Zeit bei dem Unternehmen geschrieben.

Im Gespräch verrät er Geheimnisse aus dem Inneren von Facebook und erklärt, wie das Unternehmen mit unseren Daten Geld verdient.

VICE: Wie sind Sie zu Facebook gekommen?
Antonio García Martínez: Ich hatte mein Werbe-Start-up an Twitter verkauft. Deswegen hatte ich vorher aber auch Gespräche mit Facebook geführt. Die wollten zwar nicht das ganze Unternehmen, aber mich. Und so habe ich 2011 bei Facebook angefangen, ein Jahr vor dem Börsengang.

Wie war Ihr erster Tag?
Facebook ist wie eine Sekte. Am Anfang gibt es ein Aufnahmeritual, wo man quasi getauft wird. So wird man in das Unternehmen eingeführt. Ab dann feiert man nicht mehr seinen Geburtstag, sondern seinen Faceversary, den Jahrestags des Einstiegs bei Facebook.

Damals war Facebook noch nicht in dem riesigen Hauptsitz in Menlo Park, sondern in zwei normalen Industriegebäuden. Ungefähr 2.000 Menschen arbeiteten damals dort, aber es war alles noch sehr improvisiert. Es sah aus wie in dem Haus einer Studentenverbindung: Regale waren schief, Teppiche hatten Flecken und jede Abteilung eine eigene Bar.

Was war Ihr Job?
Ich war Produktmanager für Ads Targeting. Die Aufgabe war, die Nutzerdaten von Facebook brauchbar zu machen, damit Unternehmen dich ganz gezielt mit ihrer Werbung erreichen können. Das heißt: Wir nehmen deine Daten und machen sie zu Geld.

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Martínez mit seinen Kollegen. Damals waren etwa 30 Leute für Werbung zuständig, heute sind es Tausende | Foto: Antonio García Martínez

Facebook weiß ziemlich viel über mich.
Es weiß, wer du bist, egal, welches Gerät du gerade nutzt, wo du warst, mit wem du gesprochen hast, und auch, was du einkaufst.

Finden Sie das nicht unheimlich?
Nicht wirklich. Die meisten Informationen, die Nutzer an Facebook geben, sind sehr persönlich: Nachrichten an die Freundin und Bilder von Partys. Aber die Realität ist, dass diese Dinge für Facebook keinen Wert haben. Facebook will wissen: Was hast du gekauft? Verreist du in die USA und brauchst ein Hotel?

Statt also deine Informationen zu verkaufen, kauft Facebook noch andere Daten dazu und stellt Werkzeuge zur Verfügung, mit denen dich andere Unternehmen beobachten können. Amazon zum Beispiel nutzt ein System von Facebook, mit dem deine Aktivität auf der Seite nachverfolgt wird. Facebook schluckt all diese Informationen und kontrolliert sie.

In dem Buch beschweren Sie sich über Ihr Gehalt. Warum?
Insgesamt habe ich mit Gehalt und Unternehmensanteilen ungefähr eine Million Dollar im Jahr bekommen. Das ist aber nichts im Vergleich zu den frühen Mitarbeitern von Facebook. Die haben Hunderte von Millionen oder Milliarden verdient. Es gibt sogar geheime Facebook-Gruppen, in denen diese Mitarbeiter darüber reden, wie sie mit dem ganzen Reichtum umgehen sollen. Viele sind Anfang 20 und wissen überhaupt nicht, was sie mit dem ganzen Geld machen sollen.

Halten Sie das für gerecht?
Ein Mythos im Silicon Valley ist, dass Erfolg auf Leistung basiere. Daran glauben Menschen wie an eine Religion. Ist jemand wirklich hundert Millionen mal besser als der neben ihm, der hundertmal weniger verdient? Sie haben das Geld vor allem wegen einer ganzen Menge Glück, es war ja nicht immer klar, dass Facebook so erfolgreich sein würde. Das gibt aber natürlich niemand öffentlich zu.

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"Wir brauten das Bier am Abend des Börsengangs von Facebook. Es war eigentlich illegal, das im Büro zu tun, aber keiner sagte etwas" | Foto: Antonio García Martínez

Was war Ihr Eindruck von Mark Zuckerberg?
Jeder hatte den gleichen kleinen Tisch im Großraumbüro, auch Mark Zuckerberg. Er interessiert sich nicht wirklich für Geld und ist überhaupt nicht so wie in dem Film The Social Network, kein Geek oder Nerd.

Im Unternehmen hat er einen gottesähnlichen Status. Es gab einen Konferenzraum, das Aquarium. Das war wie ein Thronsaal, wo Zuckerberg immer Hof gehalten hat. Jedes Meeting mit ihm fand dort statt. Aber trotzdem ist er kein Narzisst wie beispielsweise Donald Trump. Er führt auch keinen ausschweifenden Lebensstil. Seit dem Beginn von Facebook ist er mit derselben Frau zusammen und macht nicht etwa auf Partys mit Anderen rum.

Wieso haben Sie Facebook verlassen?
Nach zwei Jahren wurde ich gefeuert, weil sich das Unternehmen für eine andere Werbestrategie als meine entschieden hatte.

Die Feier anlässlich des milliardsten Nutzers auf Facebook. Heute sind etwa 1,7 Milliarden Menschen auf Facebook | Foto: Antonio García Martínez

Wie sehen Sie Facebook heute?
Ich glaube nicht, dass Facebook an sich böse ist. Aber man muss auf der Seite niemanden je persönlich treffen oder etwas lesen, dem man nicht zustimmt. Das hat die politische und soziale Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben, wie wir hier in den USA sehen, bei dem immer größer werdenden Graben zwischen Republikanern und Demokraten.

Außerdem simuliert Facebook zwar die Gemeinschaft einer Kleinstadt, aber das echte Leben ist viel besser als das nachgebildete. Facebook verhält sich zu einer Kleinstadt wie Pornos zu richtigem Sex. Aber Menschen tun eben alles, um Einsamkeit zu vermeiden.

Sie haben einen Teil des Buchs in Berlin geschrieben. Wegen der wachsenden Start-up-Szene sehen es viele als eine Art neues Silicon Valley. Glauben Sie das auch?
Jeder versucht, das Silicon Valley zu kopieren. Aber da gibt es zwei Probleme: Erstens gibt es hier nicht wie im Valley Unternehmer, die ihr verdientes Geld nehmen und es in andere Start-ups investieren. Damit ermöglicht man ja die Start-ups von morgen. Außerdem gibt es hier keine großen Firmen, die ein kleines Unternehmen mit drei Leuten für 10 Millionen kaufen würden. Facebook und Google haben Abteilungen, die nur für solche Übernahmen zuständig sind. Letztendlich fehlt es hier einfach an Geld.

Wie wird Facebook in zehn Jahren aussehen?
Das Unternehmen glaubt daran, die Welt zu verbinden. Mark Zuckerberg wird nicht ruhen, bis jeder auf dem Planeten auf Facebook ist. Im Silicon Valley gibt es keinen Stillstand. Entweder du wächst oder du stirbst. Die einzige Gefahr derzeit ist Snapchat, welches allein ein Drittel aller im Netz geteilten Bilder ausmacht. Das ist enorm!

Wenn es Facebook überhaupt noch gibt in zehn Jahren, wird es nicht mehr eine einfach Timeline geben. Die Plattform wird dann mit Augmented oder Virtual Reality arbeiten.