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Deutschlands peinliche Integrationspolitik muss enden!

Deutschland versagt als Einwanderungsland. Migrationsexperten fordern die künftige Bundesregierung deshalb auf, das politische und ministerielle Chaos im Bereich Integration anzugehen und gegebenenfalls ein neues Ministerium für die Integration...

Ein gebündeltes Ministerium als mögliche Lösung für das Kompetenzenwirrwarr?

Deutschland ist ein Einwanderungsland, auch wenn es manche noch nicht begriffen haben oder begreifen können. Knapp jeder fünfte Bundesbürger hat einen Migrationshintergrund und allein 2012 ist die Anzahl der Ausländer in Deutschland so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Laut dem Statistischen Bundesamt bekamen 2012 mehr als 112.300 Ausländer einen deutschen Pass. Das entspricht 5,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Trotz dieser Zahlen versagt Deutschland in Sachen Integration ausländischer Mitbürger und das deutsche System wird deshalb in einem diesjährigen OECD-Bericht als „restriktiv" bezeichnet.

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Der Berliner Migrationsforscher Professor Klaus Bade sieht das Problem bei der Politik: „Es gibt in der Einwanderungsgesellschaft einen rasanten und eigendynamischen Wandel von Strukturen und Lebensformen. Das macht vielen Menschen Stress, Sorge und Angst um ihre vertrauten Lebensbedingungen. Übergreifende gesellschaftspolitische Antworten auf solche Kernfragen der Einwanderungsgesellschaft sind aus dem Bundesministerium des Innern in der vergangenen Legislaturperiode nicht bekannt geworden.“

Bade gehört, zusammen mit 60 Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, der Initiative DeutschPlus unter Federführung des Rats für Migration zu den Erstunterzeichnern der Petition „An die neue Bundesregierung und die politischen Parteien im Deutschen Bundestag: Institutionelle Reform der Integrations- und Migrationspolitik“ auf Change.org. Ziel dieser Petition ist es, eine Reform der derzeitigen Zuständigkeiten im Bereich Integration neu zu definieren und zur Debatte zu stellen.

Zurzeit herrscht bei den Zuständigkeiten für Integration in Deutschland nichts Geringeres als schieres Chaos. So liegt die Zuständigkeit für Fragen der Arbeitsmigration beim Arbeitsministerium, die Visavergabe unterliegt dem Außenministerium, im Bundeskanzleramt bekleidet die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), ein eher symbolisches Amt und hat keine Zuständigkeit für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, welches für Integrationskurse verantwortlich ist und dem Bundesinnenministerium untergeordnet ist. „Wir haben ja noch nicht einmal einen jährlichen und kontinuierlich fortgeschriebenen Migrations- und Integrationsbericht; denn der Migrationsbericht wird in Nürnberg gemacht, und der Integrationsbericht bei Frau Böhmer in Berlin, nebeneinander her und mit unterschiedlichen Berichtszeiträumen. Das ist eines Einwanderungslandes unwürdig“, fasst Bade die Unübersichtlichkeit und das Kompetenzenwirrwarr der deutschen Integrationspolitik zusammen.

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Die zentrale Teilverantwortung bündelt sich in diesem recht unübersichtlichen Kompetenzennetz beim Innenministerium, das per se jedoch eher Expertise bei Sicherheits- und Ordnungsbelangen und für die Bekämpfung von Terrorismus besitzt und nach Ansicht vieler Experten definitiv der falsche Ansprechpartner für soziale und kulturelle Integration ist.

„Eine fördernde Gesellschaftspolitik ist eher nicht Teil der ,DNA‘ dieses Ministeriums. Daher auch die Idee, den Bereich Migration und Integration im Ministerium für Arbeit und Soziales anzusiedeln. Denn es geht um Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an der Gesellschaft und die wird am besten über Teilhabe am Arbeitsprozess und am sozialen Leben gewährleistet“, so Farhad Dilmaghani, der als Staatssekretär für die Bereiche Arbeit und Integration in der Berliner Landesregierung zuständig war und 2010 die Initiative „Deutsch-Plus – Initiative für eine plurale Republik“ mitgründete. „Menschen mit Migrationshintergrund hätten dann einen Ansprechpartner mit einem koordinierten Politikansatz und den entsprechend zur Verfügung gestellten Mitteln und mit gesetzgeberischen Grundlagen, um diese Politik voranzutreiben. Das bedeutet insbesondere im Bereich der Migration und Integration, dass die Einwanderungspolitik besser nach Deutschland gesteuert werden sollte und dass man eine Willkommenskultur etabliert, beispielsweise indem man die Ausländerbehörden interkulturell öffnet.“

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Die Forderung nach einer Bündelung der Kompetenzen und einer Öffnung der Institutionen ist jedoch nichts Neues. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer setzte sich bereits 2009 für ein eigenes Integrationsministerium ein, scheiterte damals jedoch am Widerstand der CDU/CSU und der FDP.

Auf Länderebene sieht die Sache jedoch ein wenig anders aus, so hat Baden-Württemberg bereits ein eigenes Integrationsministerium. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz haben zumindest Querschnittsministerien geschaffen. Ein Konzept, das so auch von den Unterzeichnern der Petition auf Bundesebene gefordert wird.

Trotz allem stößt das Integrationsministerium in Baden-Württemberg ebenfalls auf erbitterten Widerstand der CDU und FDP. Diese fordern, das Ministerium, das erst 2011 ins Leben gerufen wurde, mit Verweis auf die Kosten und durch Kritik an der Messbarkeit der Erfolge wieder abzuschaffen.Der ausgeschiedene Amtschef des Integrationsministeriums, Manfred Stehle, summierte nach seinem Ausscheiden aus diesem Amt vor ein paar Monaten jedoch die Probleme zu Beginn des Ministeriums: „Null Personal, null Räume, null Technik.“

Auf Bundesebene sind die Kosten, die eine Reform mit sich ziehen würde, noch nicht abzusehen, da das Chaos innerhalb der verschiedenen Ministerien einer einheitlichen Kostenaufstellung im Wege steht. „Es wird in jedem Fall ein dreistelliger Millionenbetrag sein, wenn man daran denkt, dass allein für die Integrationskurse schon rund 200 Millionen Euro pro Jahr aufgewandt werden. Demgegenüber ist der Etat des Integrationsministeriums in Baden-Württemberg klar zu knapp gehalten“, so Bade.

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Doch Geld sollte keine Rolle spielen, denn der demographische Wandel wird Deutschland in Zukunft von Fachkräften aus dem Ausland abhängig machen  und der erste Schritt, für diese eine Willkommenskultur zu schaffen, ist eine Neudefinierung des  Begriffes „Integration“ laut Farhad Dilmaghani: „Integrationspolitik beschäftigt sich schon per Definition meistens mit den Defiziten der Einwanderer. (…) Gerade weil der Integrationsbegriff so unbestimmt ist. ,Wann ist man eigentlich gut integriert?‘, fragen sich die jungen Menschen. ,Ich bin doch schon immer hier, in was soll ich mich denn integrieren?‘ Darum halten wir von DeutschPlus den Integrationsbegriff für veraltet und sprechen lieber von Partizipation und Teilhabe.“

Die Petition auf Change.org ist somit zumindest ein Schritt zu einer aktiven Teilhabe und Partizipation und der Versuch, die über Jahrzehnte verkrusteten und veralteten Strukturen des im Ausland als „restriktiv“ (aber auch das Wort „peinlich“ würde hier passen) wahrgenommenen Einwanderungslandes Deutschland aufzubrechen.

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