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Arbeit oder Umwelt? Wie Braunkohle die Lausitz entzweit

Mit einer acht Kilometer langen Menschenkette zwischen Deutschland und Polen wollten Anwohner und Umweltaktivisten gegen die Zerstörung ihrer Heimat demonstrieren.

In der Lausitz herrscht ein erbitterter Kampf zwischen den Bewohnern, die Region um die deutsch-polnische Grenze ist gespalten. Es geht um den Abbau von Braunkohle, mit der Kraftwerke betrieben, Strom gewonnen und vor allem eine Menge Geld verdient wird. Die einen sehen darin eine Chance auf die strukturelle Aufwertung einer ohnehin wirtschaftlich schwachen Region und die Schaffung dringend benötigter Arbeitsplätze, andere warnen vor den negativen Auswirkungen auf die Umwelt und umfangreichen Problemen für die Anwohner.

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Im Jahr 2007 ließ der schwedische Konzern Vattenfall erstmals verlauten, den Tagebau Jänschwalde nach Norden erweitern zu wollen, zusätzlich plant PGE auf polnischer Seite eine Ausweitung des Standorts Weltzow Sued II. Unmittelbar betroffen wären von dieser Erweiterung die Dörfer Kerkwitz, Grabkow, Atterwasch und Grabice. Konkret würde das die Umsiedlung von rund 900 Menschen bedeuten. Mit einer acht Kilometer langen Menschenkette zwischen Kerkwitz und Grabice wollten Anwohner und Umweltaktivisten am Wochenende zeigen, dass sie sich geschlossen gegen die Pläne des Stromriesen aussprechen. Die Aktion bewies aber vor allem, dass es keine einfache Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Energieregion gibt.


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So viele verschiedene Menschen wie am 23. August sieht man im polnischen Teil der Lausitz wohl nicht all zu häufig. Zumindest im Kerkwitzer Klimacamp sind die Rollen klar verteilt: Von hier aus wollen Anwohner und Greenpeace-Aktivisten aus über 20 Ländern eine geschlossene Kette über mehrere Kilometer bilden. Damit auch wirklich genug Leute zusammenkommen, um bis zum Zielort Grabice zu reichen, gibt es in unmittelbarer Nähe einen improvisierten Campingplatz. Die angereisten Umwelt-Aktivisten sehen Braunkohlewerke als klaren Verstoß gegen den Energiewandel. Die Leute, die in der Region wohnen, wollen für das Recht kämpfen, in ihren Dörfern, ihrer Heimat, bleiben zu dürfen.

Dass die Braunkohle-Lobby mindestens ebenso laut für ihre Überzeugung eintreten kann, beweist die Pro-Lausitzer-Braunkohle e.V, eine Lobbyorganisation des schwedischen Energieunternehmens Vattenfall. In der Nähe des Tagebaus Jänschwalde veranstalten sie statt einer Menschenkette gleich zwei Gegenveranstaltungen—wenn auch vor vergleichsweise spärlichem Publikum. Der Verein und sein Vorsitzender Wolfgang Rupieper sprechen über fehlende Alternativen zur Kohle (spätestens nach Fukushima dürfte eine Rückkehr zum Atomstrom keine wünschenswerte Option sein), die Wichtigkeit des Energiestoffes für die schwache Wirtschaft der Lausitz und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die so dringend benötigt werden. Vattenfall ist hier der Dreh und Angelpunkt—selbst für die Unternehmen, die nicht direkt mit dem Stromlieferanten in Verbindung stehen. Ob es Zulieferer sind oder Servicekräfte, die den massiven Fuhrpark des Großkonzerns warten. „Die Stabilität kommt von der Kohle", erklärt Andreas, einer der Braunkohle-Sympathisanten. Außerdem seien die Vorwürfe gegen Vattenfall unbegründet. Schließlich würde der Konzern viele Schritte in Richtung regenerativer Energieerzeugung tun. Hinter den in Reisebussen heran gekarrten Protestierenden vermuten die Anhänger des Vereins die Solarenergie-Lobby.

Zurück in Kerkwitz herrscht heller Aufruhr. Überwiegend grüngekleidete Menschen eilen in Richtung Neiße, am Flussufer skandieren bereits mehrere Aktivisten und Anwohner mit Trillerpfeifen und Luftballons bewaffnet ihren Schlachtruf: „Nein zur Kohle, nein zur Kohle!" Schließlich ertönt ein Horn. „Die Kette ist geschlossen!" Es ist vollbracht, die grenzübergreifende, acht Kilometer lange Protestkette war ein Erfolg. Ein Zeichen haben sie damit definitiv gesetzt, während Greenpeace mit der Aktion für ordentlich Publicity gesorgt haben dürfte, ist die direkte Auswirkung für die Bewohner der Lausitz allerdings unklar.

Es sind Leute wie Gabi Bönsch, nicht wirtschaftlich denkende Großkonzerne oder angereiste Umweltschützer, die von dem Streit um den Braunkohle-Abbau wirklich betroffen sind. Wenn die geplanten Erweiterungen der Tagebau-Standorte durchgeführt werden, muss sie ihr Heimatdorf Grabkow verlassen. „Ich kann meine Familiengeschichte bis zum 30-jährigen Krieg zurückführen, sie alle haben auf diesem Grundstück gewohnt", sagt die Mutter, die mit ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn auf einem alten, liebevoll hergerichteten Gehöft wohnt. Zum Wohnhaus und den Stallungen gehören dazu auch große Teile des umliegenden Landes und Waldes. Sie will den Hof um jeden Preis halten, auch wenn die Chancen in ihren Augen denkbar schlecht stehen.Für Frau Bönsch sind die Stromriesen der Feind, was eine wirtschaftlich tote Region für die junge Generation bedeuten kann, musste ihre Familie allerdings auch schon am eigenen Leib erfahren. Ihr Sohn Dominik wird das heimische Anwesen in den nächsten Wochen verlassen und nach Berlin ziehen. In der Lausitz hätte er nur bei Vattenfall einen Ausbildungsplatz finden können.